Perfektes Familienprogramm - epd medien

22.10.2024 07:09

In der Kategorie "Kindermedien" des Robert Geisendörfer Preises der evangelischen Kirche gingen die Auszeichnungen in diesem Jahr an Ilka Lorenzen und Patricia Pantel für den "Kakadu"-Postcast "Was ist Antisemitismus?" (DLF Kultur) sowie an Marcus H. Rosenmüller, Korbinian Duffner und Matthias Pracht für die RTL-Serie "Neue Geschichten vom Pumuckl". Die Jury tagte unter dem Vorsitz von Udo Hahn am 26. April in Mainz. Die Preisverleihung war am 8. Oktober in Hamburg. Tilmann Gangloff berichtet aus der Jury Kindermedien.

Aus der Geisendörfer-Jury Kindermedien

Pumuckl und Florian Eder (Florian Brückner) in der RTL-Produktion "Neue Geschichten vom Pumuckl"

epd Geht es um Kinderfernsehen, fällt häufig das Wort "Augenhöhe": Die Redaktionen sollen die Zielgruppe nicht von oben herab behandeln, sondern der kindlichen Perspektive gerecht werden. Handwerklich lässt sich das zum Beispiel umsetzen, indem Kameraleute in die Knie gehen, wenn sie Kinder filmen. "In die Knie" heißt jedoch nicht "auf die Knie": Viele Produktionen privater Sender zeigen, was dabei herauskommt, wenn man versucht, sich mit bunten Bildern und nervtötend lauten Stimmen beim jungen Publikum anzubiedern.

Gutes Kinderprogramm gefällt jedoch auch Erwachsenen. Das gilt keineswegs nur für Jurymitglieder, wie das Durchschnittsalter bei der "Sendung mit der Maus" beweist. Man muss nicht im Herzen jung geblieben sein, um auch die Informationsangebote des Kinderhörfunks zu schätzen. In den Dokumentationen und Reportagen für Radio und Fernsehen werden die komplexen historischen Hintergründe aktueller Ereignisse so gut erläutert, dass sie sich womöglich auch vielen Müttern und Vätern erst jetzt richtig erschließen. Ähnlich wie gute Kinderbücher sprechen die besten Filme, Serien oder Podcasts für Kinder auch deren Eltern an.

Ein kleines Wunder

Bester Beleg für diese These ist die RTL-Serie "Neue Geschichten vom Pumuckl" aus dem Kindermedienjahrgang 2023. Wer in den 80ern mit der BR-Serie aufgewachsen ist, war zunächst womöglich skeptisch, es gibt genug Beispiele für wenig charmante neue Digitaladaptionen von Zeichentrickklassikern. Mit den von Marcus H. Rosenmüller auf handwerklich hohem Niveau inszenierten 13 Folgen ist Neuesuper-Produzent Korbinian Duffner, der gemeinsam mit Matthias Pracht auch maßgeblich für die Drehbücher verantwortlich war, ein kleines Wunder gelungen, denn die Serie findet eine vorbildliche Balance: Die mit viel Liebe zum Detail ausgestattete Produktion ist das perfekte Familienprogramm.

Sehr schön die Idee, nicht einfach ein Remake zu konzipieren, sondern eine originalgetreue, aber dennoch behutsam modernisierte Fortsetzung zu entwickeln: Der von Florian Brückner sehr sympathisch verkörperte Neffe von Meister Eder erbt mit der Werkstatt des verstorbenen Onkels auch den Pumuckl, der in den neuen Folgen deutlich kindlicher ist. Die Bücher bieten eine ausgewogene Mischung aus lustigen und ernsten Momenten. Besonders berührt war die Jury von der Folge, in der der junge Eder dem Kobold erklärt, was es mit dem Tod auf sich hat.

Die Inszenierung nimmt sich viel Zeit für die komplexe Beziehung der beiden Hauptfiguren. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz ist es gelungen, den Pumuckl-Sprecher Maxi Schafroth wie die Stimme von Hans Clarin klingen zu lassen. Große Anerkennung gebührt auch Studio Soi für die herausragende Animation der in die realen Bilder integrierten Titelfigur. Auch hier zeigt sich die große Sorgfalt, mit der die Drehbücher umgesetzt worden sind.

Heikles Thema

Der zweite Preisträger, der "Kakadu"-Podcast "Was ist Antisemitismus?" von Ilka Lorenzen (Redaktion, und Buch) und Patricia Pantel (Moderation und Buch) ist eine ideale Ergänzung zu der RTL-Serie. Der Preis ist auch eine Würdigung des Versuchs, sich dieses brisanten Themas vor dem Hintergrund des Hamas-Massakers und der Proteste gegen die israelischen Militäraktionen im Gazastreifen anzunehmen. In vielen Schulen wird darüber nicht gesprochen, wohl auch aus Angst davor, dass die Diskussion aus dem Ruder laufen könnte. Entsprechend hoch ist es Deutschlandfunk Kultur anzurechnen, diese Lücke geschlossen zu haben.

Das Ergebnis ist weder verharmlosend noch bevormundend und angesichts des Zielgruppenalters sehr beeindruckend: Das Kinderprogramm "Kakadu" ist für Sechs- bis Zwölfjährige gedacht, ein Publikum also, bei dem nur wenig Vorwissen erwartet werden darf (selbst wenn die Autorinnen bei der Konzeption vermutlich eher Kinder ab zehn Jahren vor Augen hatten). Ihr Podcast behandelt nicht nur die Frage, woher der Hass gegen Juden rührt und was er anrichtet, sondern informiert auch über die jüdische Kultur.

Zwar ließe sich kritisch anmerken, dass die Perspektive nicht auf den Gazakrieg ausgeweitet wurde, aber das erschien der Jury legitim, dieser Aspekt hätte den Rahmen der halbstündigen Sendung gesprengt. Gleiches gilt für den Hinweis, dass Antisemitismus in Deutschland in den letzten Jahren nicht zuletzt durch die muslimische Migration neu befeuert worden ist.

Große Bereicherung

Es sind vor allem die Aussagen der jungen jüdischen Mitwirkenden, die den Podcast mit ihren Glaubensbekenntnissen zu einem herausragenden Hör-Erlebnis machen. Er ist ein mustergültiges Beispiel dafür, wie sich anspruchsvolle Informationen zu einem heiklen Thema sachlich und zielgruppengerecht aufbereiten lassen. Dem Autorinnenduo ist eine Sendung gelungen, die auch dank der sympathischen jüdischen Komoderatorin ein starkes Zeichen setzt, im besten Fall Eltern und Kinder miteinander ins Gespräch bringt und keinen Zweifel an ihrer Botschaft lässt: Antisemitismus geht uns alle an.

Die Geisendörfer-Jury bemüht sich in der Regel um Einmütigkeit der Entscheidungen. In der nunmehr 20-jährigen Geschichte des Kinderpreises gab es noch nie eine Kampfabstimmung. Trotzdem war die Entscheidung beim dokumentarischen Preis denkbar knapp: Bei anderer Gemengelage wäre Siham El-Maimouni, laut einem Juror "eine unfassbare Bereicherung fürs Kinderfernsehen", als Präsentatorin der "Marokko-Maus" sichere Preisträgerin gewesen. Vielleicht wäre die Entscheidung auch anders ausgefallen, wenn sie nicht bereits den Grimme-Preis bekommen hätte.

Respekt und Neugier

Für die zweiteilige Sonderausgabe der "Sendung mit der Maus" (WDR, Autorin: Birgit Quastenberg) hat die gebürtige Duisburgerin das Heimatland ihrer Eltern bereist. Über diese persönliche Ebene finden die beiden Filme und so auch das Publikum einen ganz besonderen Zugang zu dem Land: "Informativ, aber nicht belehrend, mit viel Respekt und Neugier", so die Jury, biete die Reportage ausgezeichnete Einblicke in ein Land zwischen uralten Traditionen und Moderne. Auch wenn es hinsichtlich eines Details Zweifel an der journalistischen Sorgfalt gab, erschienen die beiden Teile dennoch geeignet, Vorurteile abzubauen. Außerdem gäben sie eine intelligente Antwort auf jene Frage, die Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund immer wieder hören: "Wo kommst du eigentlich her?"

Jenseits dieser drei früh favorisierten Einreichungen gab es weitere positiv diskutierte Sendungen, die aber aus verschiedenen Gründen nicht für einen Preis infrage kamen. Die Jury hatte es in diesem Jahr mit knapp 30 Produktionen zu tun, bei rund der Hälfte hatte sie keinen Gesprächsbedarf. Die von Funk eingereichten Beiträge wirkten deplatziert. Das Online-Angebot von ARD und ZDF richtet sich zwar an Jugendliche ab 14 und überschneidet sich so eben noch mit der "Kindermedien"-Zielgruppe, aber die eingereichten Sendungen richteten sich eindeutig eher an junge Erwachsene.

Mehr Hörspiele und Podcasts

Eine echte Leerstelle tat sich diesmal bei der Animation auf. Es gibt kaum noch anspruchsvolle Zeichentrickserien. Wenn doch, dann handelt es sich um internationale Koproduktionen, deren deutsche Anteile oft überschaubar sind. Gutes Kinderfernsehen muss man sich leisten können und wollen. Daher war ProSiebenSat.1 gar nicht vertreten, die RTL-Gruppe dagegen mit immerhin vier Sendungen. In diesem Jahr gab es deutlich mehr Hörspiele und Podcasts unter den Einreichungen, die Erweiterung der früheren reinen Kinderfernseh-Kategorie hat sich offenbar herumgesprochen.

Auch inhaltlich war das Spektrum breitgefächert. Nahezu alle Themen, die die Gesellschaft im vergangenen Jahr bewegt haben, spiegelten sich in den Einreichungen wider. Angesichts der Relevanz dieser Beiträge und natürlich auch mit Blick auf die Statuten kam allerdings deutlich zu kurz, "was Kindern Spaß macht", wie die Jury bedauerte. Das hing nicht zuletzt mit einem in diesem Jahrgang deutlichen Übergewicht der nonfiktionalen Produktionen zusammen. Die Weihnachtsmärchen von ARD und ZDF, sonst regelmäßig dabei und auch schon mehrfach ausgezeichnet, wurden nicht eingereicht.

Überdeutliche Botschaften

Bei der Serie "Slava der Hund" (NDR, Buch und Regie: Maria von Heland) über eine geflüchtete ukrainische Familie wurde neben dem optischen Aufwand der Mut bewundert, eine Geschichte über und für Kinder unter zehn zu erzählen, aber die Umsetzung litt unter dem offenkundigen Anspruch einer möglichst künstlerischen Gestaltung. Die Szenen mit den erwachsenen Mitwirkenden (Heike Makatsch, Sandra Borgmann, Sibel Kekilli) bleiben für Kinder oft völlig undurchschaubar, die Synchronisation war stellenweise miserabel.

Ähnlich differenziert fiel die Bewertung der Kika-Serie "Gong! - Mein spektrakuläres Leben" (Regie: Hannah Lisa Paul) aus: Die einzelnen Folgen wirkten uneinheitlich, die Botschaften wurden überdeutlich und zudem wiederholt vermittelt. Der erzählerische Ansatz fand jedoch großen Anklang: Die von Julia Kovács sehr glaubwürdig verkörperte Heldin der Serie, Eileen, ist ein sympathisches autistisches Mädchen, das unbedingt dazugehören möchte. Die Mitwirkenden in den Nebenrollen waren jedoch weit weniger überzeugend.

Generationelles Miteinander

Der NDR, in früheren Jahren regelmäßig mit den "Pfefferkörnern" vertreten, hatte sich diesmal mit "Klein gegen Groß - Das unglaubliche Duell" um einen Preis beworben. Dafür kam die Samstagsshow zwar schon wegen ihres Alters nicht infrage - den von Kai Pflaume moderierten Talentwettbewerb zwischen Kindern und prominenten Erwachsenen gibt es bereits seit 2011 -, aber die Einreichung wurde trotzdem positiv zur Kenntnis genommen: Produktionen dieser Art fallen auch in der Wahrnehmung durch die Fernsehkritik gern durchs Raster und sind vermutlich nicht nur beim Geisendörfer-Preis unterbewertet. Dabei steht "Klein gegen Groß", wie die Jury anerkannte, ähnlich wie "Frag doch mal die Maus" (WDR) "für ein generationelles Miteinander": Beide Shows werden von Kindern und Eltern gemeinsam gesehen. Familienfernsehen dieser Art gibt es kaum noch.

Enttäuscht war die Jury von Marco Giacopuzzis Film "Lian" (HR). Im Mittelpunkt des Beitrags für die Kika-Reihe "Schau in meine Welt!" steht ein Zehnjähriger, der keinen Kontakt mehr zu seinem Vater hat. Die Szenen mit dem Jungen sind sehr authentisch, weil Giacopuzzi (Geisendörfer-Preisträger 2017) Lians Traurigkeit jederzeit glaubhaft vermittelt, doch die Qualität des Films wird ganz erheblich durch den Schluss konterkariert. Da taucht der abwesende Vater plötzlich wie ein Deus ex machina auf. Wie auch immer die tatsächlichen Begebenheiten gewesen sein mögen: Das Happy End wirkt, als sei es eigens für die Kamera initiiert worden. Schade um dieses wichtige Thema, denn viele Kinder in vergleichbaren Situationen fühlen sich hilflos, weil ihnen die Welt der Erwachsenen fern und verschlossen erscheint.

Identitätskonflikt wird ausgespart

Ähnlich einhellig war das Urteil zu "Julia - Ich bin, wer ich bin" (RBB, Buch und Regie: Stefanie Köhne). Auch bei diesem "Schau in meine Welt!"-Film lobte die Jury die Auswahl des Themas und der Protagonistin: Die zehnjährige Julia ist als Junge zur Welt gekommen. Die Sendung zeigt sie in ihrem Alltag und zeichnet ein rundum positives Bild, ist aber insgesamt sehr konventionell und wirkt stellenweise inszeniert.

Außerdem werden wichtige Aspekte nicht angesprochen: Der Identitätskonflikt des Kindes wird ebenso ausgespart wie die Frage, wie es wohl weitergehen mag, wenn Julia in die Pubertät kommt. Weil die Autorin offenbar keinen Schatten auf die freundliche Anmutung fallen lassen wollte, werde die Problematik zugunsten der Botschaft "alles easy" geradezu verniedlicht, kritisierte die Jury: "Wenn ich Hormone nehme, werde ich ein Mädchen." Dass Julia nicht nur auf Kinder verzichten müsse, sondern womöglich auch ihre Libido einbüße, werde ignoriert. Die Reportage sei in gewisser Weise "unehrlich und ideologisch".

Power und Lebenslust

Die dritte Produktion über ein besonderes Mädchen war "Juli tanzt". Die Titelheldin des ZDF-Musicals (Regie: Melanie Waelde, Buch: Maike Rasch) wird wegen ihrer fülligen Statur gehänselt. Als Mitschüler Micky sie bittet, als Tänzerin in einem Video mitzuwirken, fürchtet Juli, der Freizeit-Rapper wolle sich über sie lustig machen. Aber sein Song, ein Liebeslied mit viel Gefühl, gefällt ihr - und Micky auch.

Von der Idee, die Problematik des "Bodyshamings" in Form eines Musicals aufzubereiten, war die Jury ebenso angetan wie von Hauptdarstellerin Jedidah-Isabel Annor, die "Power und Lebenslust" ausstrahlt. Kritisiert wurden die holzschnittartigen Nebenfiguren sowie die spannungsarme und optisch einfallslose Umsetzung. Die Szenen in einem leeren Schwimmbad, in dem Juli aus Micky einen Tänzer machen will, seien viel zu lang geraten. Trotzdem gab es großes Lob für das ZDF: Abgesehen von den ARD-Märchen sind kurze Langfilme wie "Juli tanzt" oder im letzten Jahr "Geheime Schatten" die einzigen 60-Minuten-Produktionen im deutschen Kinderfernsehen.

Tolle Protagonisten

Für- und Gegen-Argumente gab es auch bei einer Ausgabe von "Logo! Extra". Linda Joe Fuhrich (Buch und Regie) hat anlässlich des Weltkindertages Familien besucht, die jeden Cent umdrehen müssen. Die Jury beanstandete angesichts ausführlicher Rückblicke auf eine frühere Sendung zum selben Thema jedoch, dass sich der Film "Reiches Deutschland - arme Kinder?" allzu sehr in Selbstreferenzialität gefalle. Wenn Fuhrich schon ausdrücklich darauf hinweise, dass "Wir als 'Logo!'" seit Jahren über das Thema berichteten, hätte sie auch erklären müssen, warum sich trotzdem nichts geändert habe. Von den Gefühlsfragen, die sie den Kindern stelle, ganz zu schweigen. Außerdem differenziere der Film nicht zwischen Armut und Armutsgefährdung.

Auch hier wurden jedoch die Auswahl des Geschwisterpaars und der gute Draht der Reporterin zu den beiden gelobt. Diese Feststellung zieht sich seit Jahren durch die Diskussionen gerade über "Schau in meine Welt!", aber auch über andere Reportagen. In diesem Jahr galt sie auch für einige der szenischen Produktionen: Die Redaktionen finden oft wichtige Themen und tolle Hauptfiguren, machen jedoch zu wenig daraus.

Tilmann Gangloff Copyright: Foto: privat Darstellung: Autorenbox Text: Tilmann Gangloff ist freier Journalist und war Mitglied der Jury Kindermedien.



Zuerst veröffentlicht 22.10.2024 09:09 Letzte Änderung: 31.10.2024 10:53

Tilmann Gangloff

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Radio, Kinder, Auszeichnungen, Preise, Geisendörfer Preis, Jury Bericht, Gangloff, NEU

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