Opfer ihrer Gefühle - epd medien

31.10.2024 09:20

Der ZDF-Spielfim "Mein Kind" erzählt ohne ästhetische und dramaturgische Mätzchen von der Herausforderung, eine ukrainische Leihmutter im Krieg zu sein.

"Mein Kind": Judith Koch (Lisa Maria Potthoff, links) und Oksana Smirnova (Alina Danko)

epd "Ich bin kein Opfer." Diese Aussage der jungen Leihmutter Oksana (Alina Danko) wirft die Frage auf, wer eigentlich bestimmt, wer ein Opfer ist. Entscheidet man das wirklich selbst? Die junge Ukrainerin möchte jedenfalls nicht als Opfer angesehen werden, sondern als clevere Geschäftsfrau, die gutes Geld macht, indem sie ihre Gebärmutter samt zugehörigem Körper an ein Münchner Ehepaar verkauft, um deren befruchtete Eizelle auszutragen.

Durch den Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 wurde auch die dortige Leihmutter-Industrie, die bis dahin auf vollen Touren lief, schwer in Mitleidenschaft gezogen. Darüber, dass dort in den Körpern von Ukrainerinnen herangereifte und frisch geborene Kinder von ihren Bestellern kriegsbedingt nicht abgeholt werden konnten, war 2022 in den Medien zu lesen. Von Leihmüttern, die mit ihren Babys in Kellern lebten, während Luftangriffe tobten, lasen auch ZDF-Redakteur Matthias Pfeifer und Produzentin Anna Oeller und begannen an dem Fernsehfilm zu arbeiten, der nun zu sehen ist.

Spontanes Angebot

Der Film enthält sich geradezu vorbildlich moralischer Beurteilungen und überlässt diese den Zuschauerinnen und Zuschauern. Das erlebt man in Filmen, die sich, wie "Mein Kind" ans breite Publikum richten, nicht oft. Die notwendigen Fragen werden dennoch aufgeworfen oder stellen sich von ganz allein. Denn Oksana aus dem Kiewer Vorort Butscha steht kurz nach Kriegsausbruch mit ihrer kleinen Tochter Nadja plötzlich vor der kleinen Versicherungsagentur, die die Erzeuger von Ei- und Samenzelle, Judith und Niclas Koch (Lisa Maria Potthoff und Maximilian Brückner), betreiben. Das Anonymitätsprinzip war von der Agentur auf Bitte der Kochs hin aufgrund der Ausnahmesituation durchbrochen worden. Als sich Oksana in Lebensgefahr sah, hatte sie spontan das ebenso spontan ausgesprochene Angebot von Judith angenommen, doch nach Deutschland zu kommen.

Die Kochs sind normale Leute, ganz nett. Eine andere Möglichkeit als die Leihmutterschaft, um Eltern zu werden, sahen sie nicht mehr. Und was machbar ist und mit rund 60.000 Euro für Leute wie die Kochs gerade noch bezahlbar ist, wird eben auch gemacht. Gebrochen und gespiegelt wird die komplizierte Sache mit der Elternschaft und den Kindern einerseits durch Judiths eigene Mutter (Suzanne von Borsody), zu der ihre Töchter kein einfaches Verhältnis haben. Andererseits durch die Figur von Judiths Schwester. Die ist von einem One-Night-Stand schwanger, verheimlicht das und treibt ab, um ihren Mann nicht zu verlieren und ihre bestehende Familie nicht zu gefährden.

Drohung mit Vertragsstrafe

Warum ist vielen eigentlich so wichtig, wo ein Kind herkommt? Das eine Kind darf nicht sein, das andere soll um jeden Preis her.

Oksana bleibt nicht lang in München, kurz nach dem Massaker in ihrem Heimatort Butscha will sie zurück. Darf sie das? Kann sie überhaupt noch über sich selbst bestimmen, wenn diesen Deutschen doch gehört, was in ihrem Bauch heranwächst? Oksana gehört auch der Agentur, an die sie ihren Körper verliehen hat und die sie mit einer Vertragsstrafe belegen will, die sie nicht bezahlen kann, wenn sie das Kind nicht, wie geplant, in Kiew zur Welt bringt.

Die Bindung zum Kind

Ohne zu bewerten und ohne ästhetische und dramaturgische Mätzchen erzählt dieser Film eine unglaubliche Geschichte, die sich so oder so ähnlich in Wirklichkeit vielfach zugetragen haben dürfte. Mit schusssicheren Westen bekleidet, holen die biologischen Eltern nach einer aufregenden (und fürs Publikum spannenden) Fahrt durchs nächtliche Osteuropa ihr eigen Fleisch und Blut aus Krieg und Lebensgefahr.

Doch der Krieg hat nicht nur das Anonymitätsprinzip ausgehebelt, er machte auch erforderlich, dass die Auftrags-Gebärenden ihre Kinder nach der Niederkunft selbst betreuten. Vorgesehen war, dass sie diese nie zu Gesicht bekommen hätten. "Geschäftsfrau" Oksana blieb somit nicht erspart, eine Bindung zu dem Säugling aufzubauen, den sie wenig später abgeben muss. Oksana, die sich keinesfalls als Opfer sehen wollte, ist zu einem geworden. Zumindest zum Opfer ihrer Gefühle.

infobox: "Mein Kind", Fernsehfilm, Regie: Christine Hartmann, Buch: Kathrin Bühlig, Kamera: Alexander Fischerkoesen, Produktion: Bavaria Fiction (ZDF, 28.10.24, 20.15-21.45 Uhr, ZDF-Mediathek, seit 19.10.24)



Zuerst veröffentlicht 31.10.2024 10:20

Andrea Kaiser

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, KZDF, Fernsehfilm, Hartmann, Bühlig, Kaiser

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