01.11.2024 09:10
Trauerrede von Torsten Körner auf Lutz Hachmeister
epd Am Abend des 26. August saßen wir - Dieter, ich und ein paar andere Menschen - in Berlin im Kino und verfolgten die Premiere meines neuen Films. Lutz starb, während wir im Kino saßen. Eine seiner letzten SMS-Botschaften galt Dieter und dieser Premiere. Komisch, dachte ich nach diesem Tod, was das Leben auch immer ist, es ist stets auch ein Film, der sich an kein Genre hält.
Kaum drei Wochen später musste ich beruflich nach Köln, und da alle Hotels der Stadt komplett ausgebucht waren, fand ich Unterschlupf in der Wohnung von Lutz. So saß und schlief ich inmitten der Dingwelt, die am 26. August wie ein Bild eingefroren war. Die Pfeifen, die Lutz so genussvoll schmauchte, lagen kalt und ratlos herum, die Bilder an der Wand starrten ins Leere, die vielen Gewürze auf dem Küchenregal protestierten gegen ihre Vernachlässigung, die Hemden ließen die Schultern hängen und die Bücher in den Regalen wirkten wie Vollwaisen. Was soll nur aus uns werden?
Ich zog eine soziologische Studie von Zygmunt Bauman über postmoderne Lebensformen aus dem Regal und stieß auf dem Vorsatzblatt auf ein Zitat von Rilke: "Die Geschichte des zerbrochenen Lebens kann nur in Bruchstücken erzählt werden."
Schon auf dem Weg zur Grundschule wusste Lutz seine Mitschüler - auch wenn sie größer und älter waren - nachhaltig zu beeindrucken. Er erzählte abenteuerliche Geschichten und klang bereits damals wie ein kleiner Weltreisender oder Seeräuber in Ausbildung.
Lutz' Piraten-Phantasie - geschult an Joseph Conrad und B. Traven - kannte keine Grenzen: Heute erobere ich Minden und morgen die ganze Welt. Auf dem Herder-Gymnasium war er der Schrecken denkfauler Lehrer, ein Freibeuter, der auch schon mal eine Stinkbombe warf, im Chemieunterricht mit Aplomb vorsätzlich ein Thermometer zerschmetterte und beide Male nur knapp dem Schulverweis entkam.
"Was soll nur aus dir noch werden?" war ein vielgehörter Satz im Hause Hachmeister. Aber die sorgenvolle Frage übersah ja, dass Lutz immer schon jemand war, nämlich der Lutz. Und der Lutz, seine eigene Institution, war anderen längst über den Kopf gewachsen, während diese noch dachten, sie schauten auf ihn herab.
Mit dem gleichen freibeuterischen Elan nahm Lutz Hachmeister das Publizistik-Studium in Münster auf. Gleich im allerersten Seminar verkündete er, dass er beabsichtige, eine Geschichte der Kommunikationswissenschaft zu schreiben. In der Studenten-WG in der Kellermannstraße hieß er bereits "Dr. Lutz", lange bevor er promoviert hatte. Er tanzte und turnte durch alle WG-Zimmer, hütete aber sein eigenes Reich mit Nachdruck. Er war auch der einzige, der zwei Zimmer sein eigen nennen durfte.
Während die anderen in Parkas durch Münster schlurften, trug er Trenchcoat. Die anderen rauchten Selbstgedrehte, Lutz Zigarillos, man trank Bier, Lutz schlürfte Cocktails mit Blue Curaçao - und wenn alle wie Horst Schimanski aus Duisburg sein wollten, träumte er sich eher in die Gesichter und Gestalten von Alain Delon und an die Côte d’ Azur.
Enzensberger und McLuhan sahen ganz schön alt aus.
Mitte der 80er Jahre musste dann auch Münster einsehen, dass Lutz längst über diese altehrwürdige Stadt hinausgewachsen war. Er hinterließ ihr 1984 auf dem Weg nach Berlin seinen Aufsatz mit dem Titel "Der Walkman ist eine akustische Bombe, die Augen zu Kameras macht und Dich zum Regisseur". Der Essay erschien in der Studentenzeitschrift "Journal für Publizistik und Kommunikation". Quasi im Vorübergehen belehrte der sprungbereite Autor darin Hans-Magnus Enzensberger und Marshall Mc Luhan und erklärte ihnen und uns allen, was es mit der Medienrevolution durch den portablen Walkman wirklich auf sich hatte.
Und ja, Enzensberger und Mc Luhan sahen da ganz schön alt aus neben dieser hedonistisch-fatalistischen Lesart von disruptiven Medientechnologien. Jede Hoffnung, die Welt durch Medien zu verbessern, humaner und gerechter zu gestalten, sei antiquiert, Politik sei nur eine Nebenbaustelle der Medien und diese seien eben eine ganz eigene Welt, in der sich das Individuum tausendfach spiegele, verliere, erfinde, verwoben würde mit allen und allem anderen. "In meinem Film bin ich der Star, ich komm auch nur alleine klar", zitierte Lutz den Song "Eiszeit" von Ideal.
Lutz wäre aber nicht Lutz, wenn er die "Eiszeit" nur als Dystopie oder endlos narzisstische Spiegelung gelesen hätte. Für ihn war das Spiegel-Spiel, das mediale Verwoben-, Geborgen- und Gefangensein in all den Bildern und Zeichen auch eine Form der Sinnlichkeit, ja, der Erotik, der unausweichlichen Conditio humana im ausgehenden 20. Jahrhundert. Sein Interesse an Medien und ihren Erzählungen war eben nicht nur wissenschaftlich, sondern auch lustvoll begründet, ja, Daseinshingabe.
Schließlich war Lutz selbst ein Medium, ein Geschichtenerzähler, ein Mediaholic, der durch die Medien lebte, wie diese durch ihn, denn ob als Redakteur, Grimme-Direktor, Festival-Erfinder oder Podiumsgast, kein Medium war nach der Begegnung mit Lutz dümmer als zuvor. Er war ein Schlaumacher, Aufklärer, ein Medienanwalt, Arzt und Apotheker, den man gern zu Hilfe rief, wenn man sich in all den medialen Spiegeln zu verlaufen drohte. Lutz war der fleischgewordene Denkanstoß.
Jeder Mensch ist bereits zu Lebzeiten ein Fragmentarium, denn wir sind immer mehr das, was wir nicht geworden sind, als das, was wir sind. Und das, was wir sind, ist immer eine Schwundstufe dessen, was wir mal hofften, werden zu können. Nun ist Lutz sicher kein Mensch gewesen, dem alles gelang, aber ihm gelang so viel, dass andere angesichts dieser Vielfalt des Gelungenen erbleichten.
Beim Schreiben dieser Rede habe ich mich einmal verschrieben, da stand dann nicht Hachmeister, sondern Machmeister und augenblicklich hielt die pedantische Autokorrektur, die jeden Hachmeister rot unterstrich, die Klappe. Ja, Lutz war ein Macher, ein Machmeister, ein Mann der Tat, darin war er auch männlich und mitreißend. Früh trank er Whiskey, um seine Stimme tiefer zu legen, und siehe da, Lutz erwarb sich eine geradezu coole Stimme fürs Heldenfach.
Zu seiner Attraktivität gehörte auch eine ganz undeutsche Lässigkeit, seine an und später in Frankreich geschulte Lebensart, die weit über die handelsübliche Frankophilie hinausging. In Frankreich hat er sich wohl selbst noch einmal zur Welt gebracht und aus seinen Helden, von Flaubert zu Marcel Proust, von Alain Delon zu Isabelle Adjani, eine intime Familie entworfen. Er hat sich in das Blau des Meeres und in die azurblauen Zigarettenschachteln der Marke Nil verloren, und immer ging es auch darum, der deutschen Schwere und düsteren Geschichte zu entkommen.
"Ich seufze, also bin ich. Ich stöhne, also leiste ich." Das sind sehr deutsche Sätze und Wesensarten. Lutz sagte wohl eher: Ich lächle, also bin ich. Ich lache, also lebe ich. Wer nicht gut aß und trank, war ein Banause. Eine Zeit lang trug Lutz teure Hemden und Sakkos, gute Schuhe besaß er auch nicht zu knapp, aber er wusste all diesen Häuten seine spezifische Lutz-Signatur einzuweben. Die Herren Dior, Armani und Prada durften froh sein, mit ihm durchs Leben zu schlendern.
Lutz ließ sich von niemandem an die Kette legen, nicht von Marken, Institutionen, dem Zeitgeist oder gar dem Geld. Irgendwie hatte er immer Geld oder auch nicht, aber er konnte Worte in Geld verwandeln, jedenfalls lange Zeit, und knausrig war er keineswegs. Wenn ein Redner 30.000 Dollar aufrief und Lutz ihn haben wollte, dann bekam er das irgendwie hin. Und wenn eine Taxifahrt 300 Euro kostete, dann war dieser Preis einfach zu akzeptieren. Jedenfalls wenn es darum ging, eine Fähre nach Porquerolles zu erreichen.
Doch, doch - Lutz hatte einen Führerschein, aber er ist nie gefahren. Und das kam so: Als angehender Führerscheinbesitzer, noch vor der ersten Prüfung, setzte er einmal das elterliche Auto beim Rückwärtsfahren auf der Hofeinfahrt gegen einen Baum. Im Auto saß die elfjährige Sylke, und eine väterliche Standpauke ereilte den zukünftigen Steve McQueen. Was hätte alles passieren können! Den nicht unbeträchtlichen Schaden musste Lutz durch Ferienjobs abstottern. Aber war es ohnehin nicht viel lässiger, sich chauffieren zu lassen? Und waren heutige Autos nicht ohnehin ausnahmslos hässlich?
Er war ein Menschenfresser, der alle verstehen wollte.
"War Lutz eigentlich einsam?", wurde Dieter von einem Journalistenkollegen gefragt. Ich weiß es nicht, denn ich war nicht eng mit Lutz befreundet, aber ich habe mir aus der Ferne oft Gedanken über ihn gemacht, weil er so ein faszinierender Mensch war. Er war ein totaler Rationalist einerseits, andererseits im Habitus und Sehnen wohl auch ein Romantiker. Detektivgeschichten, abenteuerliche Biografien, Grandezza und Glamour, Sozialfiguren wie der Playboy, der Dandy und der Detektiv, all das interessierte ihn.
Nicht umsonst hatte Lutz alle Maigret-Romane von Simenon gelesen, mehrfach. War es die Sehnsucht nach der allmächtigen Lizenz des Kommissars, der alle Leben studieren, alle Zimmer betreten durfte? Maigret war kein Moralist, er ließ Mörder sogar mitunter laufen, wenn er fand, sie seien vom Leben genug bestraft. Lutz war diesem Kommissar nicht unähnlich, er war in diesem Sinne ein Menschenfresser, der alle verstehen wollte, etwa die Verstrickungen der Deutschen in den Nationalsozialismus.
In seinem Kopf war immer Betrieb, es war immer was los, da gab sich das ganze 20. Jahrhundert die Hand, vom Hemingway über Hitler, Marlene Dietrich, F. Scott Fitzgerald, Joseph McCarthy, Hanns Martin Schleyer oder Rudolf Augstein. Sie alle waren irgendwie seine Familie, seine Spiel- und Spiegelgefährten, sie hatten die Medien fasziniert und damit auch ihn, den Mann, der Medien atmete wie andere Luft.
Lutz Hachmeister ging in diesem globalen Familienalbum großer Ikonen hin und her, er war aber vermutlich kein geselliger Familienmensch.
Für Sylke war die Nachricht seines Todes ein existenzieller Schlag. Der große Bruder, der sich schwer tat, geschwisterliche Nähe auch zu leben, war von einem Moment auf den anderen verschwunden und damit der letzte Zeuge des eigenen Aufwachsens im engsten Familienkreis. So ein Verlust schneidet tief.
In der letzten Zeit aber sprach Lutz wohl häufiger über seine Nichte Pauline und seinen Neffen Anton. Von beiden stand auch ein Foto in einem seiner überladenen Bücherregale. Ich bin mir sicher, Lutz war ja auch ein Fußball-Gucker, dass er es cool fand, dass Pauline eine so gute Fußballerin ist und Anton Politikwissenschaften studiert, aber er selbst wusste wohl nicht recht, wie man das zeigt oder in Worte fasst. In diesen Dingen war er ganz unbeholfen - privaten Gefühlen eine belastbare Gestalt zu geben, fiel ihm keineswegs leicht.
Was mich berührt hat über Jahrzehnte, war seine Freundschaft, Verwandtschaft, seine Beziehung zu Dieter. Ich denke, Lutz hat ihn gebraucht, als Resonanzpartner, als Helfer im Alltag, als Chauffeur, als Gesellschafter, als Agnes-Veedel-Bewohner, als Gefährte im Genuss, als treuen Freund, einfach als unverzichtbaren Daseinsbegleiter. In der letzten Zeit hat Lutz ihm das auch immer öfter gezeigt, durch kleine Geschenke, Aufmerksamkeiten, ja, ich würde es beinahe Liebesgaben nennen. Lutz wusste, was er an Dieter hatte.
Lächelt, lacht. Träumt groß!
Ich denke, Lutz glaubte nicht an metaphysische Daseinsvorsorge, keine jenseitige Gewinnausschüttung, er glaubte wohl an keinen Gott. Aber wenn er jetzt im "sogenannten Himmel" wäre, eine Formulierung, die Lutz nicht mit spitzen Fingern angefasst hätte, dann würde er dem Intendanten dort oben kräftig gegen das Schienbein treten und sagen: "Warum machst du so schlechtes Programm? Das geht besser!"
Lutz Hachmeister hat kein Testament hinterlassen, aber sicher doch etwas wie ein Vermächtnis:
Habt den Mut, euch eures eigenen Verstandes zu bedienen. Seid mit leichtem Gepäck unterwegs. Ringt mit den Medienhäusern und Magnaten um bessere Geschichten, Bilder und Denkanstöße. Lächelt, lacht. Träumt groß! Haltet den Kopf oben, selbst wenn es schwer fällt. Geht raus und genießt!
red
Zuerst veröffentlicht 01.11.2024 10:10
Schlagworte: Medien, Personalien, Dokumentation, Medienjournalismus, Kommunikationswissenschaft, Hachmeister, Körner
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