03.11.2024 11:00
epd Wer war Gerhart Preßler? Eine Kurzumfrage unter Passanten ergibt, dass wohl ein Sportler oder jedenfalls der Kinderbuchautor ähnlichen Namens populär ist, nicht aber der fragliche Hörspielautor. Ist das ein werbender Auftakt für ein Stück zu 100 Jahren Hörspiel? Vielleicht eher ein ironischer Reflex zum Stellenwert des Hörspiels im öffentlichen Bewusstsein. Also lieber anfangen mit Siegfried Lenz, mit Max Frisch oder Friedrich Dürrenmatt, großen Namen aus der legendären Blütezeit des Hörspiels in den 50er Jahren, oder, besser noch, mit einer Frau, Marieluise Kaschnitz, die sich hier zu Lyrik und Epik im Hörspiel äußert?
Mit gewitzt gesteigerter Ratlosigkeit beginnt so Frank Witzels Zweiteiler "Ein Leben im Ton", ehe der höchst eigenwillige Autor Wolfgang Hildesheimer mit einem Zitat hereinplatzt: "Ich heiße Robert Guiscard und bin Kunstfälscher", rühmt sich da die Hauptfigur aus dessen Hörspiel "Begegnung im Balkan-Express (1953). So ein verblüffendes Zitat steckt natürlich voller Hinweise.
Denn als Kunstfälscher profiliert sich mit "Ein Leben im Ton" auch Frank Witzel. Die Hauptfigur seines Jubiläumshörspiels ist eine Fälschung. Dabei ist dieser Gerhart Preßler in mancher Hinsicht exemplarisch und praktischerweise mit reichem Lebenslauf ungefähr so alt wie das Hörspiel selbst. Preßler, erfolgreich, aber ganz melancholischer Narziss, kann hier nicht sterben - wie hoffentlich die Radiokunst selbst -, solange Ideen zu Hörspielen bleiben.
Wie von Hildesheimer angeregt, wirken im Jubiläumsstück zudem Witzels versprengte Komödienszenen. So reiht Witzel hier Eindrücke und Themen aus verschiedenen Phasen von Preßlers Werk, indem er zugleich Moden und Methoden der Hörspiel-Produktion eines Jahrhunderts antippt, parodiert, mit satirischen Momenten auflockert und mit lockenden Originalnamen und Originalzitaten versetzt.
"Mockumentary" nennt sich diese vielstimmige Stilmischung aus Fakten, Fiktionen und komischen Pointen. Leonhard Koppelmann, Redakteur und Regisseur, präsentiert sie als Nummernrevue, zu der Matthias Habich, Martin Bross, Christoph Pütthoff, Holger Stockhaus, Bettina Lamprecht, Friederike Kempter, Lena Urzendowsky und Maximilian Brauer als interessantes Ensemble beitragen. Raffiniert soll diese "gefälschte" Variante natürlich auch Aufschlüsse über die echte Hörspielgeschichte geben. Jedenfalls inszeniert Koppelmann sie so durchdacht wie verspielt und zugleich bei aller turbulenten Vielfalt staunenswert transparent.
Beispielsweise werden da Walter Benjamins "Hörmodelle" aus den 1920er Jahren vorgestellt oder Dürrenmatts Maxime aus den 50ern, "Kunst da zu tun, wo niemand sie vermutet", die ihn zum Krimi und auch zum gut dotierten Hörspiel brachte. Oder Günter Eich ist rechtzeitig zur Stelle mit seiner Erkenntnis, das Hörspiel gedeihe in einem "anarchischen Zustand, der Experimente weder fordert noch verbietet". Und der legendäre WDR-Dramaturg Johann M. Kamps fehlt nicht, der mit Gleichgesinnten in den 70er Jahren "neue Klangqualitäten" ersehnte und das Glück hatte, auf einen wirklichen Klangkünstler wie Maurizio Kagel zu treffen. Der damals aufkommende Appell, "Hörgewohnheiten zu hinterfragen", wurde bald und nachhaltig zum Schlagwort, das auch Witzel hier anführt und mit Vergnügen parodiert.
Preßler allerdings war weniger auf unerhörte Radioästhetik als auf Resonanz erpicht, und dies von seinen frühen Polizeiprotokollen an bis zu O-Ton-Sozialdokumentationen und seiner Art Endspielen - warum sollte nur Beckett damit erfolgreich sein? Effizienz versprach Preßler sich wohl auch, als er, der mit Vorliebe in Gesinnungswellen mitschwamm, 1973 in die DDR übersiedelte und Ende der 70er Jahre wieder in die Bundesrepublik zurückkehrte.
Beide Male, in beiden deutschen Staaten, wurde er beim Eintritt strengen Prüfungen auf geheimdienstliche Machenschaften unterzogen. Komisch ist im Hörspiel der Bericht des auf ihn angesetzten Stasi-Spitzels, der sich als "Betreuer" versteht. Die Bilanz von Preßlers Abenteuern in den disparaten politischen Systemen bleibt negativ: Die Liste seiner gescheiterten Lieblingsideen wird im Westen wie im Osten beträchtlich lang. Kein Wunder, bei abstrusen Plänen, wie Blinde über Farbwahrnehmungen reden oder Kindergartenkinder Quantenmechanik erklären zu lassen. Selbst das Hörspiel mit seinen weitgespannten Spielräumen macht nicht alles Unmögliche möglich.
Preßlers schwieriger zweiter Start in der Bundesrepublik, der ihn zeitweise in den Kinderfunk versetzte, beschert Witzels Hörspiel Intermezzi eines drolligen Duos von Fuchs und Hase, die sich lispelnd über hörspieltheoretische Fragen austauschen, gerne vor dem Einschlafen, wenn der Hase weit weniger die gute Dramaturgie vermisst als seine verschwundene, weil aufgegessene "Kuschelrübe".
Witzel ist so klug, für sein modellhaftes Hörspiel kein Genie zu erfinden. Sein Preßler ist kein Repräsentant von Spitzenproduktionen, sondern ein Mann der Ausdauer und der Breitenwirkung. Seine Vita bezeugt die Vitalität des Hörspiels.
infobox: "Ein Leben im Ton", zweiteiliges Hörspiel von Frank Witzel, Regie: Leonhard Koppelmann (HR2, 20.10. und 27.10.24, jeweils 14.04-15.00 Uhr und in der ARD-Audiothek)
Zuerst veröffentlicht 03.11.2024 12:00
Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KHR, KARD, Lenz
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