Eindeutige Position - epd medien

04.11.2024 08:30

In der ARD-Dokumentation "Unsere Flüsse - Wie retten wir Deutschlands Lebensadern?" sieht man weniger nette Landschaftsbilder. Sie ist eher ein Diskussionsanstoß, der der breiten Öffentlichkeit kaum bewusste Dilemmata aufzeigt, schreibt Christian Bartels.

"Unsere Flüsse - Wie retten wir Deutschlands Lebensadern?"

epd "Wenn die Fische schreien könnten", dann würde kein Mensch mehr an der versalzenen Werra spazieren gehen, sagt ein Anwohner, der im Boot auf dem mitteldeutschen Fluss entlang fährt. Die Werra, seit Jahrzehnten "durch Bergbau und Industrie" belastet, sei "eine Art fließendes Brackwasser", ergänzt der Offkommentar. Geradezu alarmierend beginnt die 45-minütige Doku zur ARD-"Mitmachaktion" oder auch "Crowd-Science"-Aktion "Unsere Flüsse".

Von Anfang an erfordert der Film Aufmerksamkeit, gibt viele Informationen (wie die, dass Deutschland 500.000 Flusskilometer durchziehen) und präsentiert sich deutlich dichter als andere Dokumentationen. Um einen klassischen Naturfilm, der auch oder vor allem Landschaften zeigen will, handelt es sich eindeutig nicht.

"Gigantisches Problem"

Zunächst geht es um bereits seit langer Zeit bestehende Probleme an der Werra. Hier im hessisch-thüringischen Raum baut K+S Kalisalze ab. "Abbaufelder unter Tage so groß wie München", gibt es dort. Kurz sieht man sie, länger die bergartigen Abraumhalden in der Landschaft. Von dort fließen bei starkem Regen Salzlaugen hinab in den Fluss. Und Starkregen gibt es ja immer öfter. Eine Haldenerweiterung, bereits genehmigt, wäre für Umwelt und Werra aber ein "gigantisches Problem", heißt es im Film.

Ein anderer Fall führt zur in der breiten Öffentlichkeit wenig beachteten, aktuell geführten Debatte um Ewigkeitschemikalien (englisch abgekürzt PFAS), deren Verbot die EU anpeilt. Auch Weinbauern an Main und Rhein, also in nicht zuletzt wegen ihrer Weinberge idyllisch erscheinenden Regionen, setzen viele Pflanzenschutzmittel ein, etwa das von Bayer hergestellte Fluopyram. Bayer Crop Science beteuert, dass der Wirkstoff bei "sachgemäßer Verwendung" ungefährlich sei. Laut EU ist er "giftig für Wasserorganismen". Und die Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz - offenbar erst durch die Filmautorinnen darauf gebracht - kann ihn in vielen Flüssen feststellen.

Wirtschaftskraft in der Region

Dass, "um unsere Gewässer zu retten", überdies viele der 255.000 deutsche Landwirte ihre Produktionsweisen ändern müssten, wobei sie "idealerweise" keine Verluste erlitten, wie eine junge Agrarwissenschaftlerin sagt, fordert "Unsere Flüsse - Wie retten wir Deutschlands Lebensadern?" dann auch noch. Dann oder allerspätestens, wenn die "mehr als fünf Milliarden Euro" teure Renaturierung der Emscher im nördlichen Ruhrgebiet als positives Beispiel gezeigt wird, merkt man, dass der Film sich vermutlich recht weit von einem gesellschaftlichen Konsens bewegt. Wer würde in diesen Zeiten so viele Milliarden für einen wenig bekannten Fluss ausgeben?

Von Problemen, die "die Konzerne", "die Industrie" und ihre Lobbyarbeit auslösen, ist oft die Rede. Dass viele Industriebetriebe sowieso überlegen, deutsche Produktionsstätten zu schließen und im weniger regulierten Ausland deutlich billiger zu produzieren, kommt kaum vor. Nur Kassels Regierungspräsident, der die K+S-Genehmigungen erteilt oder nicht, betont, dass es auch um "Ernährungssicherheit der Bevölkerung" und "Wirtschaftskraft in der Region" geht.

Film eignet sich als Diskussionsanstoß

Der Film nimmt also eine eindeutige Position ein - auch dadurch befeuert, dass er vor allem Aktivisten und Grünen-Politikerinnen befragt. Wobei die alarmierenden, bei der Mitmachaktion ermittelten Ergebnisse, diese Position ebenfalls untermauern. Als Diskussionsanstoß, der der breiten Öffentlichkeit kaum bewusste Dilemmata aufzeigt - denn die Produktion von Kalisalzen China oder gar dem näheren Russland zu überlassen, steht ja auch nicht zur Debatte - eignet sich der Film also gut.

Nur eines überfordert den 45-Minüter dann doch: am Rande zusätzlich über die ARD-Aktion zu informieren. Dass es darin auch um gut 2.700 noch unscheinbarere Bäche ging, und um Möglichkeiten, solche Gewässer in Eigeninitiative zu schützen, kommt in dem dichten, jedenfalls diskussionswerten Film klar zu kurz.

infobox: "Unsere Flüsse - Wie retten wir Deutschlands Lebensadern?", Dokumentation, Regie und Buch: Gesine Enwaldt, Melanie Stucke, Kamera: Ingo Mende, Leon Kissau, Produktion: Filme & Consorten (ARD/SWR/WDR/NDR, 21.10.24, 22.50-23.35 Uhr und in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 04.11.2024 09:30

Christian Bartels

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Dokumentation, Enwaldt, Stucke, Bartels

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