Abbildung einer Epoche - epd medien

05.11.2024 09:00

Die Doku-Drama-Serie "Die Spaltung der Welt" erzählt in sechs Folgen von den epochalen Umbrüchen zwischen 1939 und 1962. Zusammen mit internationalen Partnern bieten ARD und Arte Geschichtsfernsehen vom Feinsten, findet Barbara Sichtermann.

Wernher von Braun (Max Wagner, 2. v. l.) will zum Mond, für die Nazis baut er stattdessen Kriegsraketen

epd Der Sechsteiler "Die Spaltung der Welt" setzt 1939 ein und endet 1962, behandelt also den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit. Jene Epoche, in der die Welt sich, wie der Titel anklingen lässt, in Ost und West spaltet, und die Spannungen im Kalten Krieg mit dem Bau der Mauer und der Kubakrise dramatisch zunehmen. Vorläufer dieses ambitionierten Projekts waren die beiden preisgekrönten dokumentarischen Drama-Serien "14 - Tagebücher des Ersten Weltkriegs" (2014) und "Krieg der Träume 1918 bis 1939" (2018), die ebenfalls von Looksfilm produziert wurden.

Sechs historische Persönlichkeiten führen durch die Serie und halten sie zusammen. Das ist Geschichtsfernsehen vom Feinsten, in dem nicht nur Zeiten und Ereignisse bebildert werden, sondern durch die Orientierung an Einzelschicksalen auch eine Nähe zu historischen Figuren hergestellt wird. So kann auch das unterhaltende Erzählen seine Kraft entfalten. Das Archivmaterial, das aus der Serie ein Dokudrama macht, ist dabei sorgfältig ausgewählt, neu koloriert und teils selten gesehen.

Globale Spannweite

Der Clou dieser fünf Filmstunden ist die globale Spannweite: Hier soll deutlich gemacht werden, dass die nationale Nabelschau nicht genug erklärt. Produzent Gunnar Dedio: "Geschichte ist ein Narrativ, und man geht von einem nationalen Narrativ aus. Aber es gibt nicht eine einzige Wahrheit, sondern verschiedene Perspektiven auf Realität".

Die Spielszenen in "Die Spaltung der Welt" rücken den wirklichen Personen nah auf den Leib und bemühen sich um stimmige Porträts. In der ersten Folge - "Der Traum vom Mond" - lernen wir den Raketenpionier Wernher von Braun (Max Wagner) kennen, der in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde seine Forschungen betreibt und zum Mond fliegen will. Sein Ehrgeiz gebietet es ihm, sich die Protektion der Mächtigen zu sichern, also tritt er in den Dienst der Nazis und entwickelt für sie mit der V2 die erhoffte "Wunderwaffe". Aber die Kooperation des eigenwilligen Mond-Träumers mit den Nazis stößt an Grenzen, spätere Folgen zeigen: Es kommt zu Zerwürfnis und Verhaftung, doch die Bedeutung des Physikers für das Reich und seinen Krieg rettet von Braun. Nach der Niederlage wechselt er in die USA, um in Alabama "Großes zu erreichen".

Die Spaltung des Atoms

Und auch Joan Hinton (Meriel Hinsching) war Physikerin und als Mitarbeiterin Oppenheimers am "Manhattan-Projekt" beteiligt, also der Entwicklung der amerikanischen Atombombe. Wir lernen sie kennen, als sie Anfang der 40er Jahre darum kämpft, Physik studieren zu dürfen, was für Frauen keineswegs selbstverständlich, am Bennington College in Vermont aber möglich war. Nach Abwurf der Bombe über Hiroshima gibt Hinton die Kernphysik auf, verlässt Amerika und folgt ihrem Freund, um auf einem chinesischen Dorf den Kommunismus zu erproben. Hier wird klar, dass der Serientitel "Die Spaltung der Welt" nicht nur die Blockkonfrontation meint, sondern auch die Spaltung des Atoms - und dass beides zusammenhängt.

Golda Meir (Delia Mayer) ist eine einfache jüdische Frau aus Kiew, die ins gelobte Land gezogen ist. Dort wirft sie während des Krieges den eigenen Mann aus der Wohnung, um Platz für Flüchtlinge zu schaffen, die aus Nazi-Deutschland entkommen konnten. Das ist ihre Lebensaufgabe und wird es bleiben: den Flüchtlingen zu helfen. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe wächst sie über sich hinaus und wird unter der Hand zur Staatsfrau. Sie erkennt, dass es einen jüdischen Staat geben muss und kämpft dafür mit Worten und Waffen (so in Folge 5) - zuerst mit den Briten, denen damals die Verwaltung Palästinas oblag. In der letzten Folge sieht man kurz die echte Golda Meir, die 1956 bis 1965 Außenministerin des Staates Israel war, bevor sie Staatschefin wurde.

Politische und menschliche Schicksale

Die Stadt Kiew kommt zweimal vor. Auch Nikita Chruschtschow (Denis Rodnyansky) hat dort gelebt und als kommunistischer Parteisekretär gewirkt, weit oben in der Hierarchie. Als die deutsche Wehrmacht einmarschiert, muss er taktieren, um mit den Seinen durchzukommen - es wird klar, dass er derjenige sein kann, der den Terror, der Stalins schärfste innenpolitische Waffe ist, am Ende nicht mehr hinnimmt. Doch erstmal gilt es, die Deutschen zu schlagen.

Auch Frantz Fanon (Moussa Sylla) kämpft gegen die Deutschen. Er stammt aus der französischen Kolonie Martinique, meldet sich freiwillig zum Kriegsdienst und muss erleben, dass die Macht, die ihn eigentlich integrieren sollte, die französische Armee, Schwarze wie ihn verachtet. Er setzt sich nach dem Krieg nach Algerien ab und schließt sich dort der Befreiungsbewegung an. Sein berühmtestes Buch: "Die Verdammten dieser Erde", die Kampfschrift des Anti-Kolonialismus, erscheint kurz vor seinem Tod im Jahre 1961.

Der Sechsteiler schaffte es, die Verbindung zwischen diesen politischen und menschlichen Schicksalen herzustellen, einerseits durch die Montage, die eine Synchronopse erzeugt und erlebbar macht, wie sich in der Zeit die Dinge gleichzeitig ereignen, beeinflussen und überlagern: so etwa Fanons Tod und die Kubakrise, die Bombe über Hiroshima, Wernher von Braun und die Angst des Westens vor der russischen Bombe. Darauf läuft alles hinaus: Die einstigen Verbündeten gegen Hitler geraten jetzt in Frontstellung und erschöpfen einander im Wettrüsten. Die Multiperspektivität macht den Globus rund und gibt dem linearen Geschichtsverständnis eine Dimension hinzu.

Die ganze Welt

Dabei hilft die geschmeidige Verzahnung von Spielszenen und Archivbildern, an der das Dokudrama seit seiner Erfindung arbeitet und die hier zur Perfektion getrieben wurde. So sind die Übergänge nicht nur zwischen den Zeiten und Weltgegenden, sondern auch zwischen semifiktionalen Spielszenen und aufbereitetem Archivmaterial vollkommen störungsfrei gelungen.

Ein weiteres Problem des Dokudramas, nämlich die Besetzung der handelnden Personen nach Ähnlichkeit mit ihren historischen Vorbildern, konnte jedoch nur halb gelöst werden. So nimmt man Wernher von Brauns und Joan Hintons Darsteller gerne hin, aber die Charakterköpfe von Golda Meir und Nikita Chruschtschow gibt es auf der Welt wohl nur einmal. Aber das sind Kleinigkeiten im Vergleich zu dem hochgesteckten Ziel: die ganze Welt in einer Epoche zu zeigen, was, da ja Grenzen durch die Auswahl der Protagonisten vorab gezogen wurden, in dem selbst gesteckten Rahmen durchaus erreicht wurde.

infobox: "Die Spaltung der Welt", sechsteilige Doku-Drama-Serie, Regie: Olga Chaijdas, Frank Devos, Buch: Jan Peter, Jasmine Wind, Kamera: Mateusz Wichlacz, Produktion: Looksfilm, Iris Group, Beside Produktion, Momakin, Haka Films (ARD-Mediathek/Arte/SWR/ORF/CT seit 31.10.24, Arte, 5.11. und 6.11.24, jeweils von 20.15-22.55 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 05.11.2024 10:00 Letzte Änderung: 05.11.2024 16:53

Barbara Sichtermann

Schlagworte: Medien, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KArte, Olga Chaijdas, Frank Devos, Sichtermann, BER, NEU

zur Startseite von epd medien