Nicht trivial - epd medien

07.11.2024 08:46

Die Arte-Dokumentation "Der Taylor-Swift-Effekt" versucht, den schier unfassbaren Erfolg der Sängerin zu ergründen. Sie ist wohlwollend, lässt aber auch Raum für Ambivalenzen, urteilt Dominik Speck

Taylor Swift 2023 auf dem Cover von "Speak Now (Taylor’s Version)"

epd Sie ist die Milliardärin, die ihr Vermögen vor allem mit Musik gemacht hat. Ihre Tournee war schon kurz nach dem Start die kommerziell erfolgreichste aller Zeiten. Sie ist die meistgestreamte Künstlerin bei Apple und Spotify 2023: Die Liste der Taylor-Swift-Superlative ist lang, und allerspätestens seit ihren Auftritten in Gelsenkirchen, Hamburg und München im Sommer 2024 sind die US-Sängerin und ihre als besonders treu geltende Fangemeinschaft auch in Deutschland allgegenwärtig. Diese "Swifties" werden oft belächelt, die 34-jährige Künstlerin als Exponentin einer als oberflächlich empfundenen Girl-Kultur trivialisiert.

Wie sehr man Swift und ihren Fans damit unrecht tut, zeigt die Arte-Doku "Der Taylor-Swift-Effekt", die zwar grundsätzlich wohlwollend ist, aber auch kritisch. Der Film erzählt jedenfalls nicht einfach nur die Biografie seiner Protagonistin nach und versteht sich auch nicht als Revue ihrer wichtigsten Songs.

Keine Teenie-Lyrics

Zugegeben: Im ersten Viertel erinnert der Film stellenweise schon an eine Hagiografie, denn die Reise führt zunächst recht ausführlich nach Wyomissing, Pennsylvania, wo Swift einen Teil ihrer, wie der Film es nennt, "Bilderbuchkindheit" verbrachte. Swifts Grundschullehrerin und eine Cafeteria-Mitarbeiterin dieser Schule zeigen Bilder von damals, eine lokale Country-Größe berichtet von Swifts ersten Auftritten. Der Film zeichnet nach, wie Swifts Familie wegen ihrer Karriere in die Country-Hauptstadt Nashville, Tennessee, zog. Weggefährten berichten, wie sehr sich die Texte von Swift, die sich immer vor allem als Songwriterin verstanden habe, in ihrer Tiefe von üblichen Teenie-Lyrics unterschieden.

Schon in den ersten Minuten treten allerdings auch Wissenschaftlerinnen des "European Taylor Swift Research Network” auf, die mit ihrer Expertise ein echter Gewinn sind. Die aus verschiedenen Disziplinen stammenden Swift-Nerds hat das Filmteam am Rande einer Tagung interviewt, zu der die Forscher passenderweise am Rande eines Swift-Tourstops in Amsterdam im Juli 2024 zusammengekommen sind. Deren Eras-Tour lief da schon seit über einem halben Jahr und war längst die bis dahin kommerziell erfolgreichste Welttournee - mit satten Ticketpreisen. Bis Dezember will Swift noch unterwegs sein.

Frauenfeindliche Liedzeile

Mit Swifts zunehmenden Karriereerfolg - ihr Debütalbum kommt heraus, als die Künstlerin 15 Jahre alt ist - nimmt auch der Arte-Film an Fahrt auf. Er zeichnet den Werdegang der immer auch kontrovers diskutierten Künstlerin nach. Viel Sympathie erntet sie, als Rapper Kanye West ihr 2009 bei ihrer Dankesrede für das beste weibliche Video beim MTV Video Music Award in die Parade fährt, auf die Bühne springt und - wie man heute sagen würde - mansplainend darauf aufmerksam macht, dass er Beyoncé für besser geeignet hält. Der Vorfall hat 2016 ein abermals für Furore sorgendes Nachspiel: West veröffentlicht den Song "Famous", in dem der Rapper behauptet, er habe die "Bitch" Swift berühmt gemacht. Swift bestreitet, die misogyne Liedzeile abgesegnet zu haben, Wests damalige Frau Kim Kardashian veröffentlicht schließlich einen Telefonmitschnitt, der genau das zu belegen scheint.

Ein Imageschaden für Swift. Sie zieht sich für einige Zeit zurück, nur um deutlich kraftvoller zurückzukehren: In ihrem Album "Reputation" (2017) verarbeitet sie den Vorfall und eignet sich das von Social-Media-Nutzern massenhaft als Emoji-Chiffre für sie benutzte Schlangensymbol positiv an. Als 2020 der komplette Mitschnitt des Gesprächs zwischen West und Swift geleakt wird, der Swifts Versions der Geschichte zu stützen scheint, ist das nur noch eine Randnotiz, denn die Sängerin spielt da längst in einem anderen, gewichtigeren Meinungskampf mit.

Unterstützung für Kamala Harris

Lange hat sie sich politisch nicht geäußert, schweigt sogar, als die amerikanische Rechte sie als Galionsfigur zu vereinnahmen versucht. Der Film führt dieses Schweigen auf ihre Country-Vergangenheit zurück, Musiker seien dort politisch zurückhaltender, zumal mit Support für die Demokraten. Doch eigentlich ist Swift zu diesem Zeitpunkt längst ins Popgenre gewechselt, und ab 2018 bezieht sie klar Stellung für progressive Themen und gegen Donald Trump.

Im US-Präsidentschaftswahlkampf 2024 wurde ernsthaft diskutiert, wie wahlentscheidend Swifts "endorsement" für Kamala Harris für den Wahlausgang sein könne. Umfragen sollten ihren Einfluss auf Wähler zeigen, und Trump verbreitete KI-gefakte Bilder, die angebliche "Swifties for Trump" zeigen.

Enge Fanbindung

Nebenbei hat Swift noch die Musikbranche aufgemischt, indem sie ihre frühen Alben einfach als "Taylor’s Version" neu aufgenommen herausbringt und so den Verlust der Masterrechte an den Originalaufnahmen für sie gewinnbringend ausgleicht. Protest gegen Missstände in der Musikindustrie oder genialer Schachzug einer klugen Geschäftsfrau? Was hier überwiegt, lässt der Film offen, und vielleicht ist es auch die falsche Frage. Denn "Der Taylor-Swift-Effekt" zeigt eindrucksvoll auf, wie gekonnt die Protagonistin kommerzielles Geschick mit Gespür für die gesellschaftlichen Themen der Stunde verbindet. Die befragten Swift-Expertinnen sind sich denn auch uneins, ob ihr Forschungsobjekt als feministische Ikone taugt oder nicht.

Eine enge Fanbindung etwa durch direkte Ansprache der Community und gekonntes Bespielen der sozialen Netzwerke schon in der Myspace-Ära - auch darauf führt die Dokumentation Swifts Fanerfolg zurück. Das jedoch gilt für viele andere Künstlerinnen, und so kann der Film die Frage nach den Gründen für den durchschlagenden Erfolg gerade dieser Künstlerin nicht vollständig beantworten. Am Ende sind 52 Minuten Sendezeit wohl deutlich zu wenig, um die facettenreiche Karriere Swifts gänzlich zu erkunden. Das allerdings ist nicht weiter schlimm, steckt doch hinter jeder Fankultur immer auch ein gewisses Mysterium.

infobox: "Der Taylor-Swift-Effekt. Pop-Ikone und politische Hoffnungsträgerin", Dokumentation, Buch und Regie: Aaron Thiesen, Kamera: Christian Lache, Produktion: Signed Media (Arte/ZDF, 1.11.24, 21.45-22.40 Uhr, Arte-Mediathek, seit 25.10.24)



Zuerst veröffentlicht 07.11.2024 09:46 Letzte Änderung: 07.11.2024 10:25

Dominik Speck

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, KZDF, Dokumentation, Thiesen, Speck, NEU

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