13.11.2024 08:45
epd Da kann man mal sehen, was überragende Schauspielerinnen ausmachen: In "Ungeschminkt" sind Adele Neuhauser als Josefa, die einmal Josef war, und Eva Mattes als Josefs ehemalige Frau Petra zu sehen. Ohne diese beiden reifen und starken Schauspielerinnenpersönlichkeiten hätte dieser Film auch ganz schön "politically correct" und furchtbar kitschig enden können.
Als Josefa, die in München lebt und mit einem Mann verheiratet ist (Matthias Matschke), die Nachricht erhält, dass ihre Mutter gestorben ist, packt sie ihr heißgeliebtes Fahrrad in den Überlandbus und fährt gegen den Wunsch ihres Mannes Magnus "nach Hause". Aufs Land. Vom elterlichen Bauernhof ist sie vor 35 Jahren als junger Mann auf Rat der Mutter geflohen.
Für "so einen" wie ihn war unter Bauern im schönen Voralpenland kein Platz. Erst im Laufe des Films erfährt man, warum der frisch verheiratete Josef damals Hals über Kopf geflohen war und den Kontakt zu allen abbrach. Sein engstirniger und vom Wesen seines Sohns überforderter Vater war mal wieder handgreiflich geworden, Josef hatte ihn geschubst. Der Vater fiel die Treppe runter und saß seitdem im Rollstuhl.
Erst nach einem halben Menschenleben, als Vater und Mutter tot sind, wagt Josefa die Konfrontation mit ihrer Vergangenheit. Zurückgelassen und damit zutiefst verletzt hatte Josef damals seinen besten Freund Blume (Ulrich Noethen), mit dem er die Leidenschaft fürs Radfahren teilte. Und seine Frau Petra.
Wie sich herausstellt, ahnte oder wusste Petra, was mit ihm los war. Sie liebte ihn, so wie er war, als Mensch, ob Männlein oder Weiblein. Ihre Kränkung war nicht, dass er sich nicht als Mann erlebte. Ihr überlebensgroßer Schmerz bestand darin, dass er sie bei seiner Flucht nicht mitgenommen hatte. Bei aller Liebe waren Josef und Petra als junge Menschen vom Lande unfähig gewesen, über das zu reden, was nicht sein durfte, aber nun mal war.
Als Josefa heimkehrt, stößt sie zunächst auf Ablehnung, bis sich nach und nach zeigt, wie sehr sie von ihren einst liebsten Menschen nach wie vor geliebt wird. Vom besten Freund, von der ehemaligen Frau. Ihre inzwischen beste Freundin Antonia, eine laut Selbstbeschreibung "überteuerte Zahnärztin", die ganz im Gegensatz zur stets dezenten Josefa allen schrillen "Transen"-Klischees entspricht, kommt vorbei (Hayal Kaya). Der Kontrast zu den Leuten vom Land in ihren Arbeitsklamotten könnte größer nicht sein - doch man versteht sich. Denn alle lieben Josefa.
Josefas Mann Magnus versteht dagegen gar nichts mehr. Und sie fühlte sich von ihm offenbar schon länger nicht mehr verstanden. Sie bleibt dort, wo man sie wirklich liebt und sie sich heimisch fühlt.
Dass sich dann auch noch herausstellt, dass Petra seinerzeit gerade schwanger geworden war und Josefa, die immer Kinder wollte, daher einen erwachsenen Sohn und inzwischen auch schon eine Enkelin hat, wäre mit anderen Schauspielern wohl unerträglich kitschig geworden. Auch mit diesen war es völlig überflüssig, das späte "Glück" so dick aufzutragen, es blieb aber gerade noch erträglich.
Dem Film, vor allem aber Neuhauser und Mattes gelingt es, eine ganz eigene Stimmung zu erschaffen und zu halten. Es geht um Wut, Liebe, Angst, Verletzung, Enttäuschung, Überforderung, Melancholie und Glück. Doch "Ungeschminkt" transportiert widersprüchliche Botschaften. Einerseits scheint doch nur die Liebe wichtig. Nicht das Geschlecht. Petra wäre gern mit Josef zusammengeblieben, auch als Frau. Josefa womöglich auch mit Petra, hätte sie gewusst, dass diese so denkt und fühlt. Dahingestellt, wie die beiden das mit der Sexualität geregelt hätten. Ist das Geschlecht also im Grunde egal?
Zugleich dreht sich hier aber doch alles ums Geschlecht. Josefa unterzog sich großen Operationen, um das Äußere dem gefühlten Inneren anzupassen. Josef litt von Kleinauf, weil er keine Josefa war. Was denn nun? Ist das Geschlecht doch Kern menschlicher Identität?
infobox: "Ungeschminkt", Fernsehfilm, Regie: Dirk Kummer, Buch: Uli Brée, Kamera: Joe Berger, Alex Püringer, Philipp Habenicht, Produktion: Bavaria Fiction (ARD/BR/ORF, 13.11.24, 20.15-21.45, ARD-Mediathek, seit 6.11.24)
Zuerst veröffentlicht 13.11.2024 09:45
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KORF, Fernsehfilm, Kummer, Brée, Kaiser
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