13.11.2024 11:00
epd Sommer 1932: In einem kleinen bayerischen Bergdorf werden vier Jugendliche nachts bestialisch umgebracht. Das könne nur der Wolf gewesen sein, sagt der eilig einberufene Gemeinderat, angeführt von Bürgermeister Aichinger und Großbauer Steiner, um die beunruhigten Dorfbewohner zu beschwichtigen. Und weil keiner so recht glauben kann, dass ein normaler Wolf vier junge, kräftige Menschen so zerfleischen könnte, müsse er eben die "Hundswut" gehabt haben, wie man die Tollwut früher auch nannte. Doch die Gerüchte hören nicht auf, und vom tollwütigen Wolf ist es nicht weit zum Werwolf.
Um das vermeintlich blutrünstige Tier zu erlegen, wird eine Treibjagd veranstaltet, bei der die Dörfler eine weitere junge Frau ermordet auffinden und ganz in ihrer Nähe den blutverschmierten Joseph Köhler (Markus Brandl). Der lebt schwer depressiv und einsiedlerisch mit seiner Tochter Mitzi (Sophie Röhrmoser) allein auf einem Hof, seitdem sein kleiner Sohn vor 16 Jahren starb und seine Frau sich danach das Leben nahm. Nun steht für die meisten fest: der wunderliche Köhler Joseph muss es gewesen sein. Und überhaupt: Gab es nicht schon immer Ungereimtheiten beim Joseph? Das kann nur mit dem Teufel zugehen...
Dass sich womöglich alles auch anders zugetragen haben könnte, kommt ihnen nicht in den Sinn. Eigentlich müsste nun der Mordfall nach München gemeldet werden. Doch Bürgermeister Aichinger (Christian Swoboda) will alles im Dorf belassen: "Bevor i dene wos meld und dann oan vo dene Nazis im Dorf hob, regel i's liaber selber." So verfällt Dorfpfarrer Matthias "Hias" Lechner (Max Schmidt) auf eine abstruse Idee: Nach dem Vorbild des berüchtigten "Hexenhammers" (Malleus Maleficarum), ein Buch, das im Mittelalter als Anleitung für die grausamen Hexenprozesse diente, soll Köhler als vom Teufel besessener Werwolf kirchlich angeklagt werden und seine Tochter gleich mit.
Da der Köhler Joseph sich aber weigert zu gestehen, greift nun die aberwitzige Logik des "Hexenhammers": Der Delinquent wird so lange gefoltert, bis er entweder stirbt oder gesteht. Das Geständnis wiederum zieht die Hinrichtung nach sich.
Daniel Alvarenga, der das Buch schrieb, Regie führte und später auch einen Roman unter dem Titel "Hundswut" veröffentlichte, erzählt in seinem Film einen düsteren Heimatkrimi am Vorabend des nationalsozialistischen Regimes. So finster und geistig eng wie das Mittelalter sind auch viele Szenen gehalten, nur selten sucht die Kamera die befreiende Weite der Landschaft. Die Menschen hier reden Mundart, sie leben ein einfaches Leben, das von harter Arbeit und eigenen Gesetzmäßigkeiten geprägt ist.
Im Dorf hat eine Handvoll Männer das Sagen, die Frauen gehorchen den Männern, weil das schon immer so war. Zwar versucht eine kleine Gruppe von Frauen, allen voran Wirtsfrau Mine (Christine Neubauer), das Schlimmste zu verhindern - doch ohne Erfolg.
"Hundswut" war ein Kinoprojekt, das Alvarenga so sehr am Herzen lag, dass er es auch mit einem sehr kleinen Budget (teils über Crowdfunding) realisierte. Umso erstaunlicher ist es, wie viele bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler er dafür verpflichten konnte. Konstantin Wecker spielt im Film einen alten Pfarrer und steuerte auch die Musik bei, gedreht wurde in Museumsdörfern.
Trotz durchweg hervorragender Darsteller erfährt man wenig über die Charaktere. Sie bleiben weitgehend schemenhaft, ihr Denken und Handeln wird kaum nachvollziehbar. Wie wird der sonst doch vernünftige, friedliche und anständige Wirt Ludwig "Lugg" Kramer (Christian Tramitz) zum hemmungslosen Folterknecht?
So ist der Film denn auch eher eine Parabel voller Symbolik und Metaphern, während Handlungsstränge nicht auserzählt werden und im Nichts enden. Rätselhaft bleibt die Figur des Bürgermeistersohnes Toni (gespielt von Weckers Sohn Tamino), der erst sowohl Mitzi als auch ihre Freundin Fanni schwängert, Fanni heiratet und später, während Joseph und seine Tochter Mitzi brutal vor aller Augen hingerichtet werden, wild verzückt lacht.
Doch auch als Parabel trägt der Film nur teilweise. Dass eine Dorf-Gesellschaft, angestachelt durch Gerüchte und falsche Behauptungen, sich zu zutiefst inhumanen Handlungen hinreißen lässt und sich dabei noch im Recht fühlt, mag als Analogie noch funktionieren. Dass die, die die Nazis nicht im Dorf haben wollten, am Ende keinen Deut besser sind als SS-Folterknechte, hat man da schon verstanden.
Aber der nüchtern durchorganisierte und auch aus kühlem ökonomischem Kalkül begangene Massenmord der Nazis taugt nicht zum Vergleich, und die Deutschen waren auch keine dem Irrsinn verfallene und verführte Masse, die teils ohnmächtig, teils fasziniert dem Morden zusieht, sondern viele profitierten durchaus von der Ermordung ihrer Nachbarn.
Am Ende des Films sieht man den Dorflehrer Konrad Zankl (Heio von Stetten), der vor einer Schulklasse aus Kafkas "Der Prozess" vorliest. Zankl hatte sich im Dorf heftig gegen den sich abzeichnenden Irrsinn gesperrt und versucht, Vernunft walten zu lassen - vergeblich. Als er das Dorf verlässt, wird er ebenfalls ermordet. Die Schlussszene holt ihn noch einmal ins Leben, mit einem Text von großer Symbolik.
infobox: "Hundswut", Drama, Regie und Buch: Daniel Alvarenga, Kamera: Bejamin Strobel, Produktion: Alvarenga Productions (BR, 26.10.24, 22.00-0.00 Uhr, ARD-Mediathek bis 24.11.24)
Zuerst veröffentlicht 13.11.2024 12:00 Letzte Änderung: 13.11.2024 12:05
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KBR, Alvarenga, Steglich, NEU
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