Totale Deregulierung - epd medien

14.11.2024 08:10

Für den Sieg des Republikaners Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen in den USA gibt es laut den Analysen viele Ursachen. Norbert Schneider, der von 1993 bis 2010 Direktor der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen war, sieht einen entscheidenden Grund im deregulierten Mediensystem der USA. Schon seit vielen Jahren gälten dort nur die Prinzipien der großen Zahlen und der Gewinnmaximierung, schreibt er. Publizistische Standards würden vernachlässigt. Das schade demokratischen Prozessen. In Deutschland sollten die politisch Verantwortlichen daher alles ihnen Mögliche tun, um eine ähnliche Entwicklung wie in den USA zu vermeiden, meint Schneider.

Wie das amerikanische Mediensystem Trump den Weg bereitet hat

Donald Trump im September bei einer Veranstaltung des Senders Fox News in Harrisburg

epd Eine Frage am Morgen nach der Wahl von Donald Trump war schon vor der Wahl immer wieder gestellt worden: Wie kann jemand, dessen Weg von Lastern gesäumt wird, so viele Wähler, darunter - was ein Skandal für sich ist - auch das Gros der Evangelikalen, an sich binden? Die Wahldeuter haben inzwischen eine Reihe von ebenso plausiblen wie unbeweisbaren Antworten gegeben, die vor allem das Wahlverhalten eines US-amerikanischen Wahlvolks erklären sollen.

Doch in einer nicht zuletzt durch die Medien globalisierten Welt sind wesentliche Fragen und große Probleme in der Regel nicht nur national eingrenzbar. Das gilt auch bei der Bewertung der Trump-Wahl für genau diese Frage: Wie konnte es dazu kommen, dass ihn nun, wohl wissend, um wen es sich handelt, mehr als die Hälfte derer, die in den USA wählen konnten, gewählt haben? Was hat Trump, was seine politischen Gegner und vor allem seine Rivalin, Kamala Harris, nicht haben?

Kommerzialisierte Medienlandschaft

Weshalb gelingt es ihm, seine Botschaften so zu platzieren, dass seine Zuhörer, egal, welches Stück er gibt, jubeln? Wie konnte es dazu kommen, dass er den Machos den gnadenlosen Boss gab, für die Plutokraten den milden Steuermann, den Rassisten einen waschechten Weißen, den Nationalisten einen erbarmungslosen Zöllner, den Tellerwäschern ein leuchtendes Vorbild, den Führerlosen einen Führer, den Evangelikalen einen Heiland, den Spracharmen einen Lautsprecher mit einer Sprache, für die sich sogar die Gosse schämt, und den Sexisten einen wortreichen Frauenverächter? Vor allem aber: den Wirklichkeitsverweigerern einen Lügenbaron?

Mein Eindruck ist, dass es unter vielen anderem auch zwei Sachverhalte sind, die Trump in die Karten gespielt haben, die nicht allein für die USA typisch sind: ein bis tief in die Megastädte hinein reichender Bildungsnotstand und eine zu dieser Situation passende total kommerzialisierte Medienlandschaft, in der die Meinung und das Geld einen Bund fürs Leben geschlossen haben.

Die "eigenen Fakten"

Der Bildungsnotstand wird durch Trump selbst verkörpert. Philip Roth hat nicht übertrieben, als er Trump mit diesen Worten beschrieb: "Ignorant of government, of history, of science, of philosophy, of art, incapable of expressing or recognizing subtlety or nuance, destitute of all decency, and wielding a vocabulary of seventyseven words that is better called Jerkish than English."

Eine schlimme Folge mangelnder Bildung zeigt sich in der Unfähigkeit, zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden. Paul Auster lässt eine seiner Romanfiguren sagen: Das sehe ich erst, wenn ich es glaube. Das ist die Devise für jede Art von Fake News, vulgo: die Lüge, die viele gar nicht juckt. Sie ignorieren, was der 2003 verstorbene US-Senator Daniel Patrick Moynihan spitzzüngig bemerkt hat, dass jeder "das Recht auf seine eigene Meinung" habe, aber keiner "das Recht auf seine eigenen Fakten".

Bösartiger Infantilismus

Wer nur als wirklich gelten lässt, was er dafür hält, der gewinnt einen grenzenlosen Spielraum, in dem jedes Stück, vom Drama bis zur Komödie, aufgeführt werden kann, einen Spielraum, von dem ein Vernunftmensch nur träumen kann. Ein solcher Spielraum erlaubt vor allem eine unregulierte Wahrnehmung, er fördert die totale Beliebigkeit von Behauptungen. Je größer die Überraschung, desto unterhaltsamer die Performance. Fakes unter dem Druck eines Wahlkampfes zu bestreiten, ist zeitraubend und anstrengend. Und verlangt vom Publikum eine Mindestausstattung an Bildung. Da ist die Lüge allemal bequemer und vor allem interessanter.

Trump hat immer wieder von Fakten geredet, die es nachweislich nicht gab, und solche bestritten, die jedermann sehen konnte. Wenn man verfolgt, wie "subjektiv" er mit der Wirklichkeit umgeht, dann geht es nicht mehr um das alltägliche Verdrängen oder Vergessen, ohne das kein Mensch leben kann. Man wird vielmehr an eine Figur wie Pippi Langstrumpf erinnert, die "macht, was ihr gefällt" und fröhlich singt: "Zwei mal drei macht vier ..." Bei Kindern gilt das als kreativ. Bei Politikern ist es bösartiger Infantilismus und Betrug.

Jeder ist Sender und Empfänger

Eine zweite Ursache für den Sieg von Trump ist die totale Deregulierung der US-amerikanischen Medienlandschaft mit der Folge ihrer kompletten Kommerzialisierung. Unverschämt deutlich wird das in der Tatsache, dass Medien- und Plattformeigentümer wie Jeff Bezos oder Elon Musk inzwischen zu den reichsten Männern der Welt gehören. Ihr ökonomischer Höhenflug war nur möglich, weil zum einen die US-amerikanische Regulierungsbehörde Federal Communication Commission (FCC) immer weniger regulieren durfte und zum anderen bei der Übernahme der Publizistik durch Kaufleute wie Rupert Murdoch, Jeff Bezos oder Elon Musk ausschließlich der Gewinn ihrer Produkte ausschlaggebend ist.

Es sind vor allem vier Faktoren, die die aktuelle US-Medienlandschaft prägen. Als besonders folgenreich erwies sich die nahezu völlige Digitalisierung der Medien. Der Medienmarkt konnte sich ohne jede Regulierung entwickeln, was zwar gut für den Markt, aber weniger gut für die Medien und ihre Nutzer war. Fatal wirkte sich der Mangel an Regulierung vor allem deshalb aus, weil die neuen Technologien die klassische Beziehung von Sender und Empfänger aufgelöst haben. Jetzt ist jeder beides. Damit wurde auch die Verbindung von Produkt und Verantwortung für das Produkt aufgelöst. Die Digitalisierung der Medien hat zudem eine neue Grammatik hervorgebracht, die auf das Kurze und Schnelle setzt und auf Gründe oder Beweise für eine Meinung aus Platzmangel und dem unbedingten Willen zur Aktualität verzichtet.

Erfolgreich wurde, wer den größten Gewinn machte und wem es gelang, sich jede Form der Regulierung vom Hals zu halten. Geschäftsschädigende Pannen wurden notfalls mit Geld zugeschüttet. Da war die Versuchung für Medieneigentümer offenbar zu groß, mit ihrer Medienmacht auch Politik zu machen. Elon Musk ist nur ein Beispiel aus der dreisten Riege der Medienmilliardäre. Der Erfolgreichste beim Umsetzen von Medienmacht in politische Macht war und ist vermutlich Rupert Murdoch, auch wenn sein größter Erfolg, die Orchestrierung des Brexit, schon eine Weile zurückliegt. Er hat ja immerhin noch Fox.

Programme mit ihrem eigenen Mythos

Wie einschneidend diese Veränderungen der US-Medienlandschaft sind, zeigt ein Blick zurück in noch nicht so lange vergangene Zeiten. Als ich mich zu Beginn der 1970er Jahre zum ersten Mal über das kommerzielle US-Fernsehen in New York informiert habe, befanden sich NBC, CBS und ABC auf der Höhe ihrer gesellschaftlichen Macht. Sie waren kommerziell und zugleich Medien für einen gesellschaftlichen Diskurs. Sie genossen ein hohes Ansehen. Das verdankte sich Politikmagazinen wie "Sixty Minutes" (CBS, seit 1968) oder Kinderprogrammen wie "Sesame Street" (PBS, seit 1969).

Ein Nachrichtenmoderator wie Walter Cronkite, der 1961 bei CBS angefangen hatte, der seine Moderationen mit den Sätzen beendete: "And that's the way it is. And this is Walter Cronkite saying you Good Night", wählten seine Zuschauer 1973 zum most trusted man in America. Diese Einschätzung verdienten sich auch Dan Rather (1981 bis 2005), oder Barbara Walters, die fast 20 Jahre lang bei ABC die Nachrichtenshow "20/20" moderierte.

Sie standen für Programme, die sich ihren eigenen Mythos geschaffen haben, etwa mit der HBO-Heldenserie "The Newsroom" von Aaron Sorkin (HBO, 2011-2014) und einem Film wie "Die Verlegerin" (2018).

Neue Verbreitungswege und Geschäftsmodelle

In den 1960er bis 1980er Jahren begannen die großen Serien die Programme zu prägen, "The Fugitive" (ABC, 1963 bis 1967), "Dallas" mit 357 Episoden (CBS, ab 1978) oder "Miami Vice" (NBC, ab 1984). Die Glanzzeit der Serien, jetzt vor allem verantwortet von HBO, leiteten die "Sopranos" (1999 bis 2007) ein. In ihrem Gefolge stößt man auf "24" (2001 bis 2010), "The Wire" (2002 bis 2008) und "The Shield" (2002 bis 2008), "Mad Men" (2007 bis 2015) und schließlich "Breaking Bad" (2008 bis 2013).

Die Karriere dieser Serien, die weltweit verkauft wurden, verweist freilich auch - es war ja auch die große Zeit der Soaps und Sitcoms - auf eine zunehmende Dominanz der Unterhaltung nicht nur bei den Kabelveranstaltern, sondern auch bei den großen Networks. Es waren auch die Jahre, in denen PBS langsam, aber wirksam marginalisiert wurde, indem der Sender immer weniger öffentliche Mittel erhielt. Die FCC regulierte merklich milder. Die strikte Trennung der Broadcaster von den Produktionsfirmen wurde aufgeweicht und ist inzwischen längst gefallen.

Es waren auch die Jahre, in denen sich erste Sender der electronic church - parallel zum Aufstieg der Evangelikalen - ihr eigenes Publikum schufen. Kabelfernsehen und die Satelliten schufen neue Verbreitungswege und neue Geschäftsmodelle, die Medienkonzerne interessierten sich mehr und mehr nur noch für Gewinne und vernachlässigten publizistische Standards. Mit der Digitalisierung musste nur noch geerntet werden, was schon gesät war: das Bemühen um die größte Zahl.

Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.

Die Zeitungsverlage waren und sind in den USA, ähnlich wie in Deutschland, kaum reguliert. Die Tageszeitungen waren lange Zeit eine seriöse, eine unverzichtbare Quelle für politische Informationen und ein Ort für politische Auseinandersetzungen. Es waren zwei Reporter der "Washington Post", Bob Woodward und Carl Bernstein, die den Watergate-Skandal aufgedeckt haben. Doch auch die Presse folgte, ohne dass dies zu großen Auseinandersetzungen geführt hat, der Spur des Geldes.

Und es erfüllt sich, was der Publizist Paul Sethe im März 1965 in einem Leserbrief an den "Spiegel" an die Wand gemalt hat: "Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. (...) Da die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften immer größeres Kapital erfordert, wird der Kreis der Personen, die Presseorgane herausgeben, immer kleiner. Damit wird unsere Abhängigkeit immer größer und immer gefährlicher."

Unberechenbare Macht

Dieser Zustand ist in den USA inzwischen erreicht: eine scharfe Konzentration, ein Kahlschlag bei lokalen Blättern. Die Lücke füllen billige, aber aufgrund ihrer Monopole einflussreiche lokale Radiostationen. Rentabel sind nur noch wenige Zeitungen, darunter auch solche, die sich reiche Männer leisten wie Rupert Murdoch und Jeff Bezos. Ihr Einfluss auf die Politik beschränkt sich im Zweifel auf die politischen Ansichten ihrer Besitzer. Sie rühren auch keinen Finger, wenn Trump einer seiner Lieblingsbeschäftigungen nachgeht, dem Bashing von Journalisten.

Aus Trumps Umgang mit der Presse spricht die Besorgnis des Erfolgsmenschen vor einer unberechenbaren Macht. Deshalb muss die Presse nach Trumps Vorstellung von Erfolg in der Politik - alles tanzt nach seiner Pfeife - bei jeder Gelegenheit verunsichert, gebändigt, am besten geschleift werden. Ähnlich wie die Justiz. Schon drei Gewalten sind für ihn im Grunde zwei zu viel.

Demokratische Prozesse beschädigt

Die Besichtigung der US-amerikanischen Medienlandschaft und der daraus entstehenden Vorteile für Trump enthalten für deutsche Beobachter einen wichtigen Hinweis. Wenn solche Entwicklungen der Medien wie in den USA nachweislich autoritäre Systeme fördern, sollten die medienpolitisch Verantwortlichen alles nur Denkbare tun, um ein Austrocknen der deutschen Medienlandschaft, eine Konzentration und eine völlige Abhängigkeit der Medien vom Umfang und der Größe ihrer Verbreitung, verhindern. Denn verbunden mit diesen Entwicklungen ist ein Verlust an Vielfalt, der demokratische Prozesse nachhaltig beschädigt. Sie sollten Angebote fördern, die sich nicht permanent um die Maximierung von Auflagen und Quoten kümmern müssen.

Medienförderung ist eine wesentliche Komponente im Aufbau von demokratischen Strukturen. Alles, was nach Konzentration aussieht, muss geprüft werden. Denn die negativen Folgen einer Medienkonzentration stellen sich schnell ein. Der Abbau dieser Folgen aber dauert Jahre.

Wer Trump irritiert beim Siegen zuschaut und Ähnliches im eigenen Land vermeiden möchte, sollte eine maßvolle Erhöhung der Haushaltsabgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht als Problem sehen, sondern als eine Möglichkeit, den gesellschaftlichen Diskurs zu stützen. Auch kleine Ursachen können einen Beitrag für große Wirkungen leisten. Bei maroden Bildungseinrichtungen ist Abhilfe um ein Vielfaches teurer, aber nicht minder notwendig.

Norbert Schneider Copyright: Uwe Völkner/Fox Darstellung: Autorenbox Text: Norbert Schneider ist Publizist und war von 1993 bis 2010 Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen.



Zuerst veröffentlicht 14.11.2024 09:10

Norbert Schneider

Schlagworte: Medien, USA, Trump, Mediensystem, Schneider

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