Die Tücken des Hybriden - epd medien

21.11.2024 08:55

Im RBB-Podcast "Der Zerfall Babylons" sprechen der Krimi-Autor Volker Kutscher und der Kulturjournalist Thomas Böhm über Kutschers Gereon-Rath-Krimis und den historischen Hintergrund der Bücher, die in den 1930er Jahren in Berlin spielen.

In "Der Zerfall Babylons" sprechen Volker Kutscher (links) und Thomas Böhm über das Berlin der 1930er Jahre

epd Wie könnte ein Gesprächs-Podcast aussehen, der auf eine endliche Zahl Folgen konzipiert ist? Die Antwort heißt "Der Zerfall Babylons", ihr Schlüssel ist eine Buchreihe von Krimiautor Volker Kutscher. Seine insgesamt zehn Krimis um den Berliner Kommissar Gereon Rath, die seit 2017 als "Babylon Berlin" fürs Fernsehen adaptiert werden, sind zugleich eine Chronik der Jahre 1929 bis 1938. Der Kulturjournalist Thomas Böhm ist mit Kutschers Werk sehr vertraut. Er hat unter anderem die ersten beiden Rath-Romane als Hörspiel adaptiert. Es unterhalten sich also zwei Männer in zehn Gesprächen zu zehn Jahren und zehn Romanen.

Es ist interessant zu beobachten, was an diesem hybriden Format gut ist und wo es an Grenzen stößt. Kutscher und Böhm mögen sich. Und obwohl tendenziell Böhm die Fragen stellt und Kutscher sie beantwortet, werden die Hörenden eher Zeugen eines lockeren Gesprächs als eines Interviews. Wer also von Folge zu Folge immer mehr Zeit mit den beiden verbringt, bekommt ein Gefühl für ihren Rapport und kann eine dezente parasoziale Beziehung aufbauen. Man schaltet jede Woche wieder ein, nicht nur wegen des Themas, sondern weil man sich auf eine vertraute Hörsituation freut.

Kein kritisches Gegenüber

Doch in den plauderigeren Ecken des Podcast-Universums wird auch die journalistische Haltung aufgeweicht. Böhm ist, was einem gewissen Typus männlicher Redakteure im Feuilleton ohnehin gerne nachgesagt wird, nicht das kritische Gegenüber seines Gasts, sondern spürbar dessen Fan. Am Ende jeder einzelnen Folge bedankt er sich bei Kutscher "für die inspirierende Zusammenarbeit", und diese Haltung tropft gelegentlich etwas klebrig aus den Kopfhörern. Nicht, weil man bei diesem Format ein knallhartes Interview erwarten würde, sondern weil es fast immer unangenehm ist, anderen beim Bewundern zuzuhören.

Diese Unschärfe setzt sich bei "Der Zerfall Babylons" leider auch auf inhaltlicher Ebene fort. Kutscher und Böhm haben für jedes Jahr und jedes Gespräch 30 Minuten Zeit. In diesen 30 Minuten müssen sie zwei- bis dreimal zu vorproduzierten Einspielern überleiten, in denen Schauspielerin Fritzi Haberlandt (die auch in "Babylon Berlin" mitspielt) aus dem passenden Roman vorliest. Viel Zeit, um in die Tiefe zu gehen, bleibt da nicht.

Gleichzeitigkeiten der Geschichte

Der Podcast kann sich aber auch nicht entscheiden, ob er ein Geschichts- oder ein Literaturpodcast sein möchte. Der Schwerpunkt liegt klar auf Geschichte. Die Folgen sind nach Jahren und Ereignissen benannt, nicht nach Romanen. Eröffnet wird jedes Gespräch von einer Aufzählung von Ereignissen, die in diesem Jahr stattgefunden haben. Laut Böhm, um zu zeigen, wie vielfältig Geschichte ist, und welche Gleichzeitigkeiten sie bereithält - durchaus ein valider Anspruch. Volker Kutscher hat einst Geschichtswissenschaften studiert und für seine Bücher viel recherchiert. Er kennt sich aus und erzählt oft Interessantes oder wenig Beleuchtetes. Aber seine Erläuterungen bleiben fast zwangsläufig vage. Für mehr ist keine Zeit, und er will ja auch noch über seine Romane sprechen.

Genau hier liegt auch Thomas Böhms Expertise. Dem Format fehlt aber die Ruhe, um über Antworten aus Standard-Interviews hinauszugehen. Man erfährt also grob, warum Kutscher seine Figuren so oder so angelegt oder warum er sich für einen Schauplatz oder einen Plot entschieden hat. Einen "Deep Dive" des Künstlers in sein eigenes Werk darf man aber nicht erwarten.

War das damals wirklich so?

In beiden Themengebieten erzeugt die kumulierte Zeit des Formats dennoch einen gewissen Effekt: Nach mehreren Folgen bekommt man nicht nur ein Gefühl für die Entwicklungen, die Kutschers Charaktere durchmachen, sondern auch für den größer werdenden Machtanspruch der Nationalsozialisten. Dies könnte ein punktuelles Schlaglicht oder eine dichtere Zusammenfassung nicht leisten.

Am stärksten dominiert in den Folgen der Abgleich der Romane mit der historischen Realität. Die wohl häufigste Situation des Podcasts (mindestens zweimal pro Folge) besteht darin, dass Böhm eine Szene aus dem vorliegenden Roman schildert und Kutscher anschließend fragt: "War das damals wirklich so?" Darauf antwortet dieser mal mehr, mal weniger eindeutig. Das ist interessant, weil es Rückschlüsse auf die Gestaltungsmöglichkeiten historischer Fiktion zulässt, aber es ist gleichzeitig die Frage, die sich am ehesten mit einer schnellen Google-Suche beantworten lässt. Wenn man Volker Kutscher schon mal im Studio hat, könnte man ihn auch andere Sachen fragen. Zum Beispiel zu seinen Romanen.

Fünf Stunden Promotion

Die generelle Weichheit des Gesprächs, was Tonfall und Themen angeht, ist also gleichzeitig seine große Stärke und seine große Schwäche. Die Schwäche hätte sich vielleicht ausgleichen lassen, wenn Böhm und Kutscher noch mehr Zeit und weniger Einspieler gehabt hätten. Dann jedoch wäre der Podcast des RBB vermutlich Gefahr gelaufen, zu nerdig und zu wenig unterhaltend zu werden. Dies sind die Tücken des Hybriden: Im schlechtesten Fall setzt man sich damit auch zwischen alle Stühle.

Bleibt das Timing: "Der Zerfall Babylons" erscheint ein knappes Jahr vor dem voraussichtlichen Start der fünften und letzten Staffel von "Babylon Berlin" und pünktlich zum Erscheinen von Kutschers zehntem Rath-Roman, der nur "Rath" heißt, am 24. Oktober. Dass Autoren mit ihren neuen Büchern durch Podcasts tingeln, gehört mittlerweile zum Standardgeschäft. Dass Verlage begleitend zu Bucherscheinungen Podcasts auflegen, die die Themen der Bücher vertiefen, ist ebenfalls schon erfolgreich umgesetzt worden. Aber Volker Kutscher ist vermutlich der einzige Autor, der über einen Zeitraum von zehn Wochen insgesamt fünf Stunden hochwertig produzierte Promotion für seine Bücher von einem öffentlich-rechtlichen Sender geschenkt bekommen hat und dafür nicht einmal einen runden Geburtstag feiern musste.

infobox: "Der Zerfall Babylons", zehnteilige Podcast-Serie mit Volker Kutscher und Thomas Böhm (ARD-Audiothek/RBB, seit 26.9.24, neue Folgen immer donnerstags)



Zuerst veröffentlicht 21.11.2024 09:55

Alexander Matzkeit

Schlagworte: Medien, Audio, Kritik, Kritik.(Audio), KRBB, Podcast, Kutscher, Böhm, Matzkeit

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