22.11.2024 08:36
epd Jamila ist zehn Jahre alt, sie liebt es zu singen und möchte später gern als Wissenschaftlerin forschen. Rachel ist "bald dreizehn" und sieht sich zukünftig als "Gangsta", aber nicht als Kriminelle, sondern vielleicht als Immobilienmaklerin oder Ärztin, sagt sie. Und Faseeha, noch ein Jahr älter, ist eine ambitionierte Tänzerin, doch auch sehr darauf bedacht, dass ihr Schulerfolg nicht darunter leidet. Die drei Freundinnen engagieren sich mit anderen beim interkulturellen Mädchenprojekt Mädea im Berliner Wedding unter Obhut von Rapperinnen wie Fatou "Sister Fa" oder "Haszcara" und einigen Sozialarbeiterinnen für die eigene Rap-Truppe "Sisterqueens".
Bei allen Unterschieden treten die drei gemeinsam mit Leidenschaft für die Selbstermächtigung von Mädchen ein, für Akzeptanz und gegen den alltäglichen Rassismus: "Sisterhood, das sind wir, wir sind eine Einheit, leiten uns nicht von Gier, streben nur nach Freiheit", heißt es programmatisch in einem ihrer Songs, die auf herrlich freche Weise die deutsche Grammatik poetisch erweitern.
Vier Jahre lang begleitete die Regisseurin Clara Stella Hüneke für ihre Abschlussarbeit an der Ludwigsburger Filmakademie ihre Protagonistinnen. Die Dokumentation, die mit dem Kleinen Fernsehspiel des ZDF koproduziert wurde, zeigt auch einen umjubelten Auftritt im Theater Hebbel am Ufer HAU. Die Dramaturgie zielt allerdings nicht auf diesen klassischem Klimax, sondern eher auf Momente emotionaler Selbsterkenntnis am Ende.
Die bewegliche Kamera ist nah an den Heldinnen im heimatlichen Kiez und bei Ausflügen in die Berlin-Welt drumherum, wo sie sich oft nicht willkommen fühlen. Bezeichnend ist ein Besuch bei den Dinosauriern im nahegelegenen Naturkundemuseum, wo zwei der wissbegierigen Mädchen wegen einer unter ihrem Kopftuch verrutschten Maske (auch in diesem Film gibt es eine Corona-Phase) von einem Aufseher harsch angeblafft und mit Hausverweis bedroht werden.
Rappende Frauen sind seit ein paar Jahren real und medial vermehrt sichtbar als willkommenes Gegengift zur Omnipräsenz großkotziger gewalttätiger Männer. In diversen Sendern gab es Dokumentationen und Serien zum Thema "Hip Hop - The Future is Female", wie 2022 eine Produktion bei RTL hieß. Porträts großstädtischer Mädchencliquen in Deutschland wiederum sind seit dem großen Erfolg von Bettina Blümners "Prinzessinnenbad" im Jahr 2007 fast schon zum dokumentarischen Subgenre avanciert. Zuletzt hat Rand Beiruty für ihren Dokumentarfilm "Über uns von uns" sieben junge Frauen im brandenburgischen Eberswalde bei von ihr angeleiteten Workshops begleitet, in denen sie mit Malerei, Theater, Musik und Film ihre eigenen Befindlichkeiten und Träume ausdrückten.
"Sisterqueens" ist etwa gleichzeitig entstanden, setzt beim Projekt-Umfeld wie beim filmischen Herangehen aber mehr auf Spontaneität als auf strukturierte sozialpädagogische Betreuung. Am Rande wird auch das familiäre Umfeld sichtbar mit Geschwistern und Müttern (Väter sind in diesem Film eher Abwesende), deren tatkräftige und emotionale Unterstützung von den Töchtern sogar in einem eigenen anrührenden Song gewürdigt wird.
Filmisch kombinieren diese familiären Szenen gelungen die passionierte Zuwendung des Films zu seinen Heldinnen. Fast beiläufig werden hier schwierige bisherige Lebens- und Bildungsverläufe der Mädchen oder aktuelle Konflikte angerissen. Dass auch die selbstverständlich vorhandenen Anfeindungen des Projekts von außen im Film selbst keinen Platz finden, darf wohl als praktischer Beitrag zum positiven Ziel der Selbstermächtigung verstanden werden.
Als Dokumentarfilm für das Kino ist "Sisterqueens" dieses Jahr erfolgreich auf vielen Filmfestivals gelaufen. Der Verleihstart ist Anfang März 2025, der Film dürfte durch die TV-Ausstrahlung und die Präsenz in der Mediathek aber breitere öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Der Film zeigt sehr schön, dass auch zehnjährige Mädchen Subjekte mit eigenen Ansprüchen und Fragen an das Leben sind. Dass sie Orte für sich selbst brauchen, emotionale Unterstützung, technischen Support und ab und zu einen lebenspraktischen Kick. Wie sagt "Old-School"-Rapperin Fatou zu Rachel: "The best way to realize your dreams? Wake up!"
infobox: "Sisterqueens", Dokumentation, Regie: Clara Stella Hüneke, Kamera: Paola Calvo, Produktion: Filmakademie Baden-Württemberg (ZDF, 4.11.24, 23.55-1.30 Uhr, ZDF-Mediathek, bis 4.11.26)
Zuerst veröffentlicht 22.11.2024 09:36
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Kleines Fernsehspiel, Dokumentation, Hüneke, Hallensleben
zur Startseite von epd medien