27.11.2024 10:00
epd In der Arktis wird es laut. Ein Sturm zieht auf, der den Schnee durch die Luft wirbelt und in rasender Geschwindigkeit über die Erde peitscht. Menschen sind in dieser eisigen Kulisse verständlicherweise kaum zu sehen. In Potsdam ist der Wind ganz leise: Polarforscher Markus Rex macht in einem geschlossenen Raum mit grünem Laserlicht die Luftwirbel sichtbar, die uns beständig umgeben. In Namibia wiederum treibt der Wind einen Schabernack, der wie bestellt wirkt in dem Dokumentarfilm von Alexander Riedel. Gerade als Eugene Marais, der Leiter der meteorologischen Forschungsstation Gobabeb, die Arbeit seines Teams vorstellt, weht ihm der Wind den Hut vom Kopf.
Zum Lachen ist das Thema allerdings schon lange nicht mehr. Was Windsysteme mit dem Klimawandel zu tun haben, davon handeln gleich zwei Filme, die Riedel nach Reisen mit verschiedenen Expeditionen und einer gemeinsamen Recherche mit dem ZDF-Meteorologen Özden Terli vorgelegt hat. Der gut 90-minütige Dokumentarfilm lässt die Bilder häufig ohne Off-Kommentar sprechen und handelt auch vom Frust über die unzureichende Klimapolitik. Die 45-minütige Wissenschaftsdokumentation beschränkt sich dagegen auf die jeweilige Forschung, erläutert detaillierter die einzelnen Projekte, setzt Grafiken und Animationen ein und synchronisiert die O-Töne, die im Dokumentarfilm untertitelt sind.
Wie sich beide Filme unterscheiden, wird besonders an diesem Beispiel deutlich: Was Celeste Saulo, die neu gewählte Generalsekretärin der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), über die Herausforderung des Klimawandels sagt, bildet in der Wissenschaftsdoku das Schlusswort. Im Dokumentarfilm erlaubt sich Riedel im Anschluss an Saulos Statement einen stummen, unmissverständlichen Kommentar: Knapp zwei Minuten lang beobachtet die Kamera eine Schnecke, die sich in artgemäß bedächtigem Tempo über einen Steinblock bewegt.
Um den Wind als weltumspannendes System begreiflich zu machen, muss der Autor zwangsläufig viele Reisekilometer sammeln. Es gibt eindrucksvolle Bilder aus der Arktis, aus der Namib-Wüste im Süden Afrikas oder von den Teeplantagen auf Sri Lanka. Respektvoll nähert sich Riedel den Menschen, die für die Windforschung manchmal beträchtliche Strapazen auf sich nehmen, und beobachtet sie im Arbeitsalltag und im Umgang mit ihren Geräten. Insbesondere im Dokumentarfilm stehen die Akribie, die Anstrengung und auch die Leidenschaft der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Vordergrund.
Die Protagonisten wirken mitunter wie Einzelkämpfer. Vielleicht zeigt Riedel deshalb zu Beginn des WMO-Kongresses das Begrüßungs-Defilee der zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Nun sieht man eine bunte, internationale Meteorologen-Gemeinschaft aus allen Teilen der Welt. So viele Menschen, die sich mit Klimaforschung beschäftigen - das könnte Hoffnung machen.
Geschickt wurde mit Özden Terli ein Protagonist eingebunden, dem viele Zuschauer bei den täglichen Wettervorhersagen im ZDF begegnen. Gleichzeitig steht er für den Frust und auch die Ratlosigkeit von Klima-Experten, die sich von Politik und Öffentlichkeit nicht ausreichend gehört und verstanden fühlen.
Angeblich spannte Riedel Terli, den er bei Dreharbeiten im arktischen Spitzbergen traf, spontan ein. Der ZDF-Meteorologe fungierte fortan sowohl als Protagonist im Film, als auch als wissenschaftlicher Berater des Dokumentarfilms und als Co-Autor der Dokumentation. Außerdem diskutierte er bei der Gesprächsrunde "Scobel - Der Klimakollaps" mit, die nach Ausstrahlung der Doku am 21. November ausgestrahlt wurde.
Aufgrund seiner klaren Botschaften im Fernsehen und in sozialen Netzwerken ist Terli zu einem populären Kritiker der Klimapolitik geworden. Den Vorwurf, er sei kein Journalist, sondern Aktivist, weist er im Dokumentarfilm einmal mehr zurück. Das sei ein Totschlagargument, sagt er. Beim Klimawandel handele es sich um eine systematische Veränderung. Die Erkenntnisse darüber könne er als Meteorologe nicht weglassen: "Und wenn man journalistisch arbeitet, erst recht nicht."
Die Filme handeln also auch davon, wie über Wissenschaft kommuniziert wird. Die Kamera zeigt Terli im unspektakulären ZDF-Alltag, doch man erfährt wenig über die konkrete Arbeit mit verschiedenen Wettermodellen. Gleichzeitig ist der Meteorologe viel unterwegs. Terli hält Vorträge, tritt auf Podien auf, berichtet auch als Reporter für die ZDF-Sendung "Volle Kanne" vom Extremwetterkongress in Hamburg oder recherchiert auf der Zugspitze über die Folgen des Klimawandels. Und weil im Oktober bei Plusgraden auf 2.500 Meter Höhe das Eis schmilzt, zückt er sein Smartphone: "Machen wir mal ein kleines Video für Twitter, um ein paar Leute zu ärgern, die es sowieso nicht begreifen wollen", sagt Terli mit einem bitter klingenden Lachen. Das Unverständnis über eine Welt, die nicht wahrhaben will, was ihr droht, ist ihm anzumerken.
infobox: "Wind - Die Vermessung des großen Luftozeans", Dokumentarfilm mit Özden Terli, Regie und Buch: Alexander Riedel, Kamera: Alexander Riedel, Marcus Winterbauer, Sebastian Bolenius, Produktion: Pelle Film (3sat/ZDF, 21.10.24, 22.25-0.00 Uhr, 3sat-Mediathek, bis 18.4.25); "Wissen hoch2: Wind im Klimawandel", Wissenschaftsdokumentation mit Özden Terli, Regie und Buch: Alexander Riedel, Kamera: Alexander Riedel, Marcus Winterbauer, Sebastian Bolenius, Produktionsfirma: Pelle Film (3sat/ZDF, 21.11.24, 20.15-21.00 Uhr, und 3sat-Mediathek, bis 21.11.29)
Zuerst veröffentlicht 27.11.2024 11:00
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), K3sat, KZDF
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