05.12.2024 11:29
epd Als Hape Kerkeling 2007 die besondere Ehrung des Grimme-Preises für sein Lebenswerk erhielt, schien das etwas absurd: Damals war er gerade mal 42. Einige Jahre später zeigte sich, wie vorausschauend diese Auszeichnung war, nicht nur, weil er 2014 seinen Rückzug aus dem Showgeschäft verkündete: Die Ehrung erhielt der 1964 geborene Westfale auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Was danach an Formaten kam, ist größtenteils nicht zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Er selbst hat die Entwicklung womöglich früh geahnt. Bereits in seinen Zwanzigern hat er den Entschluss gefasst, aufzuhören, wenn es am schönsten ist, spätestens jedoch mit 50: weil Comedy jung und frisch sein sollte.
Seit einiger Zeit ist Kerkeling wieder da, was in zweierlei Hinsicht nicht ganz korrekt ist: Zum einen war er dank diverser Bücher und einiger Synchronarbeiten nie ganz weg, zum anderen sah sein Comeback anders aus als erwartet. Der einstige Komödiant, mittlerweile zum Elder Entertainer gereift, hat Anarchie und Unbekümmertheit hinter sich gelassen; "Hape und die 7 Zwergstaaten" (2021, Vox) zum Beispiel war zwar sehr vergnüglich, aber ein klassisches Reiseformat. So wirkt zwischenzeitlich auch die Dokumentation "Hape Kerkeling - Total normal" von André Schäfer, Eric Friedler und Hartmut Kasper: Den roten Faden des knapp neunzigminütigen Porträts bildet ein Interview, das während einer Bootsfahrt in Amsterdam aufgezeichnet worden ist. Hier hat Kerkeling nach seinem Rückzug aus dem Showgeschäft zwei Jahre gelebt.
Ein weiteres Ausflugsziel war das Passauer Scharfrichterhaus. Dort ist dem damals noch unbekannten Teenager 1983 der Kabarettpreis "Scharfrichterbeil" verliehen worden. Und weil er jüngst ein weiteres biografisches Werk veröffentlicht hat, gibt es auch einen Abstecher ins tschechische Marienbad, wo seine Urgroßmutter einst eine Affäre mit dem englischen König Eduard VII. hatte. Das Resultat war seine Oma, er ist somit potenzieller britischer Thronfolger, wenn auch erst an 111. Stelle - das zumindest behauptet er in seinem neuen Buch "Gebt mir etwas Zeit".
Die Dokumentation besteht aus Ausschnitten aus den Gesprächen mit Kerkeling, Szenen aus Reihen wie "Total normal" (Radio Bremen, 1989 bis 1991) oder "Darüber lacht die Welt" (Sat.1, 1998 bis 2000) sowie Spielszenen. Da Kerkelings Autobiografien "Ich bin dann mal weg" und "Der Junge muss an die frische Luft" fürs Kino adaptiert wurden, folgen auf das jeweilige Gesprächsstichwort entsprechende Ausschnitte, dieser Filmfundus war für die Macher natürlich sehr praktisch.
Der Jubilar selbst, der am 9. Dezember 60 wurde, ist ein fesselnder Erzähler. Vermutlich hätte es völlig gereicht, die Gesprächsebene nur mit Kerkeling zu gestalten, aber - und es steht zu befürchten, dass dies eine redaktionelle Vorgabe war - natürlich dürfen auch Größen aus der Unterhaltungsbranche wie Anke Engelke oder Otto Waalkes ihm ihre Honneurs machen. Unter ihnen auch die deutlich jüngere komödiantische Kollegin Tahnee Schaffarczyk (Jahrgang 1992), der die Tränen kommen, als sie beschreibt, wie sehr sie sich ihm verbunden fühlt.
Die Wortmeldungen verschiedener Schauspielerinnen, die mal an Kerkelings Seite vor der Kamera standen, sind allerdings wenig zielführend, und warum Campino mitwirkt, erschließt sich auch nicht. Viel interessanter sind die Momente, in denen "Total normal"-Redakteurin Birgitt Reckmeyer von Radio Bremen aus dem Nähkästchen plaudert, oder Jauchs Erinnerungen an jene unvergessene Promi-Ausgabe von "Wer wird Millionär?", für die er gemeinsam mit Horst Schlämmer 2006 den Deutschen Fernsehpreis bekommen hat. Jauchs Schilderung - "dieses duodezhafte Auftreten" - in Kombination mit den entsprechenden Ausschnitten ist nicht nur ein großer Spaß: Seine Kommentare zu Kerkelings anarchischen Auftritten sind mit Abstand die gehaltvollsten Beiträge. Die Persiflage "Hurz" empfindet er als "herrliche Karikatur des hochgestochenen Kulturbetriebs", die Mediensatire "Kein Pardon" (1993) beschreibe perfekt die Rückgratlosigkeit, das Duckmäusertum und den Opportunismus der Branche.
Das Wiedersehen mit Kerkelings legendären Harlekiniaden aus "Total normal" ist ein großes Vergnügen, aber seinen Mehrwert entwickelt der Film vor allem in den ernsten Momenten: etwa wenn der Entertainer berichtet, wie seine Homosexualität in den Anfängen der TV-Karriere beim WDR zum "massiven Problem" wurde. Das "Outing" durch Rosa von Praunheim 1991 entpuppte sich im Nachhinein als Glücksfall, weil das Versteckspiel nun vorbei war.
Der Entertainer erzählt auch von den "unvorstellbaren Anfeindungen", die er erlebte, nachdem er 2023 in einer Laudatio auf Marie-Agnes Strack-Zimmermann Stellung zum wieder erstarkten deutschen Antisemitismus bezogen hatte. Dass der Film wenig später zu "Hurz" hüpft, ist ein Beleg für seine mitunter willkürlich anmutende Sprunghaftigkeit. Kurzweilig ist er trotzdem.
infobox: "Hape Kerkeling - Total normal", Dokumentation, Regie: André Schäfer, Eric Friedler, Buch: Hartmut Kasper, Kamera: Andy Lehmann, Produktion: Florianfilm (ARD/WDR/SWR/RB/NDR, 9.12.24, 20.15-21.45 Uhr, ARD-Mediathek seit 5.12.24)
Zuerst veröffentlicht 05.12.2024 12:29 Letzte Änderung: 11.12.2024 16:56
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KWDR, KSWR, KRB, KNDR, Dokumentation, Schäfer, Friedler Kasper, Gangloff, NEU
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