10.12.2024 08:47
epd "Da packt euch das kalte Grausen - uääh! / Unser David Bowie heißt Heinz Schenk", dichtete 1984 die Rockband Rodgau Monotones in ihrem Gassenhauer "Die Hesse komme!" und setzte dem Entertainer damit ein unvergängliches musikalisches Denkmal. Das verbindende Element zwischen den recht unterschiedlichen Kultfiguren liegt auf der Hand: die Selbstironie. Schließlich ist Heinz Schenk (1924-2014), der zwischen 1966 und 1987 ganze 134 Mal die Äppelwoi-Schunkelshow "Zum Blauen Bock" präsentierte, auch wegen seiner Rolle in Hape Kerkelings Kinosatire "Kein Pardon" (1993) in Erinnerung geblieben, in der er den abgehalfterten Showmaster einer Glitzer-Revue namens "Witzischkeit kennt keine Grenzen" verkörperte.
Die einstündige Dokumentation, mit der HR und SWR den Conférencier nun zu dessen 100. Geburtstag am 11. Dezember würdigen, trägt den Titel "Der 20-Millionen-Mann", was auf die gigantischen Zuschauerzahlen anspielt, die Samstagabendshows seinerzeit erzielten. Und das wiederum führt zum zeithistorischen Kontext: Das Medium Fernsehen war noch neu, der Krieg lag noch nicht lang zurück, die Zahl der Sender (drei pro Sendegebiet) war überschaubar und das Bedürfnis nach Eskapismus und Nostalgie groß. Der Film von Henriette von Hellborn und Sven Waskönig hat nicht ganz das Gewicht und den Tiefgang von Regina Schillings fernseharchäologischem Meisterwerk "Kulenkampffs Schuhe" (2018), bietet aber genügend Archivperlen und Fundstücke aus dem Nachlass des Porträtierten, um sehenswert zu sein.
Der Nachlass setzt den melancholischen Grundton des Films: Die Autoren zeigen, wie 2016 das gesamte Inventar des Bungalows in Wiesbaden-Naurod, in dem Schenk mit seiner Ehefrau Gerti 35 Jahre lebte, versteigert wird. Da das Paar keine Kinder hatte, sollte sein Vermögen in eine Stiftung zur Förderung junger Unterhaltungskünstler fließen. Davon sei "bis heute kein Euro verteilt", merkt der Off-Kommentar an. Als "Leichenfledderung" (sic!) bezeichnet die Schenk-Vertraute Margit Sponheimer die Auktion in den Privatgemächern, bei der Fans und Voyeure nicht nur für Bembel und Gelsenkirchener-Barock-Möbel, sondern auch für Gertis Rollator bieten konnten. Etwas "sehr Morbides" bescheinigt der damals zur Berichterstattung anwesende Journalist Jonas Engelmann der Veranstaltung. Immerhin gelangten kistenweise Dias und Super-8-Filme in die Hände des HR-Pressesprechers Christian Bender und konnten so für die Doku ausgewertet werden.
Zu sehen sind auf den Bildern unter anderem Ansichten von Fernreisen sowie Heinz und Gerti in Badekleidung. Offenkundig kam der vermeintliche Spießbürger par excellence viel rum in der Welt. Daheim dagegen schottete er sich ab, hatte nur wenige Freunde. Ausschnitte aus dem HR-Porträt "Das große Kind" (1994) illustrieren, wie unangenehm es dem Moderator war, für eine Homestory in seinem Garten über den Rasen zu laufen. Andererseits war er ja auch als Wirt des "Blauen Bocks" kein Kulenkampffscher Grandseigneur und kein glamouröser Peter Alexander, sondern immer ein bisschen bieder, ein Schlappmaul mit Hang zum Stammtischwitz. Nachdem Schenk die jeweils gastgebende Stadt in einem kurzen Vorfilm singend gewürdigt hatte, traten bei ihm Stars wie Mireille Mathieu, Ivan Rebroff, Roberto Blanco und Freddy Quinn auf.
Nicht reaktionär, sondern konservativ sei die Sendung gewesen, urteilt in der Dokumentation die Autorin und Journalistin Sabine Bode. Sie blickt heute milder als zu Zeiten der 68er auf die im "Blauen Bock" praktizierte Heile-Welt-Simulation. Sie hält dem Showmaster auch zugute, dass dieser keine Skandale produziert habe.
Durch die Hitlerzeit kam der 1924 im rheinhessischen Mainz geborene Vorzeige-Hesse einigermaßen glimpflich: als Angehöriger einer Sondereinheit für Bühnenkunst, in der er den Jazzpianisten Paul Kuhn kennenlernte, sowie als Bote und Funker. Frühe Erfahrungen im Zelebrieren von Zeremonien sammelte das Trennungskind als Messdiener und in der Fastnachtsbütt. Nach dem Krieg wurde er zunächst übers Radio bekannt, durch den "Frankfurter Wecker", eine beliebte Morgensendung.
Gegen Ende tritt die melancholische Grundierung der Hommage noch einmal deutlich hervor. "Die leisen Töne sind für mich die schönsten", bekennt Heinz Schenk in der Talkshow "Heut’ Abend" bei Joachim Fuchsberger und fügt hinzu: "Das muss ein Humorist auch können." Mit dem Crooner-Song "Es ist alles nur geliehen, hier auf dieser schönen Welt" schaffte er es 1978 sogar für sechs Wochen in die deutschen Charts und trat in der ZDF-Hitparade auf. Das Lied eignet sich hervorragend, um den Abtransport der letzten - offenbar nicht versteigerten - Möbel aus dem Schenk-Bungalow in Wiesbaden-Naurod zu untermalen.
infobox: "Der 20-Millionen-Mann: Entertainer Heinz Schenk", Dokumentation, Regie und Buch: Henriette von Hellborn, Sven Waskönig, Kamera: Jan Velten, Frank Bergfeld, (ARD-Mediathek/HR/SWR seit 3.12.24, HR, 10.12.24, 20.15-21.15 Uhr, SWR, 27.12.24, 18.15-19.15 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 10.12.2024 09:47 Letzte Änderung: 13.12.2024 09:50 (In einer früheren Version dieses Artikels hatten wir geschrieben, Schenk sei im rheinland-pfälzischen Mainz geboren. Das Bundesland Rheinland-Pfalz gab es 1924 noch nicht.)
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KHR, Schenk, Fernsehgeschichte, von Hellborn, Waskönig, Luley, BER, NEU
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