11.12.2024 12:44
epd Von einer "déformation professionelle" spricht man, wenn man bedenkliche Verhaltensweisen oder Wahrnehmungsverschiebungen im Alltag augenzwinkernd auf die Arbeit schiebt. Was soll man schließlich machen, wenn man zum Beispiel als Baumpfleger oder Lektorin überall nur Kürzungsmöglichkeiten sieht? Doch Hörspielautorin Gesche Piening zwinkert nicht. Sie tut, was René Pollesch einmal "Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang" genannt hat. Das Hörspiel wurde von der Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste zum Hörspiel des Monats November gewählt.
Piening sammelt Sätze, wie sie die meisten von uns in Arbeitsverhältnissen schon mehrfach gehört, gesagt oder heimlich gedacht haben. Sie entblößt, wie bedürftig, erschöpft, verbogen oder leer Menschen durch das alltägliche Macht- und Selbstzerstörungstheater werden. Wie wenig sie mit ihrer Arbeit übereinstimmen und trotzdem bleiben - oder wie sehr sie damit verschmolzen sind und trotzdem nichts wie weg wollen. Egal, ob in der Chefetage oder ganz unten, ob als CEO oder als Servicekraft. Mehrfach kopierte Floskeln und Weisheiten stehen gleichberechtigt neben leisen Bittgebeten: "Bar oder mit Karte?" - "Nutze die Wut, solange sie klein ist." - "Bitte, lass diesen Tag positiv zu Ende gehen."
In diesem Zusammenhang gibt es keinen Zusammenhalt, nur gegenseitige Abhängigkeiten, Hassliebe, Bewunderung und Mitleidlosigkeit. Doch "Die Könige spielen die anderen" übt keine billilge Kritik an den Verhältnissen. Piening macht daraus lieber Sprachmusik. So wie Wörter oder Sätze nach mehrmaligem Wiederholen völlig verrückt wirken, entwickeln sie manchmal eben auch Poesie, berühren oder prallen Funken schlagend aufeinander. Coaching-Formeln und Kollegen-Floskeln, die Bedeutung und Dynamik suggerieren, aber in ihrer ständigen Abnutzung nur den Status Quo von Fremd- und Selbstausbeutung hin und her schieben wie eine staubige Büropflanze.
In manchen Hörspielen sind Sprachduktus und Stimmen der Figuren nur schwer voneinander zu unterscheiden. Hier wird jede und jeder unverkennbar, und dennoch wechselt derselbe Text - manchmal in Variationen - die Sprecher. "Ich sehne mich nach Wärme." - "Dann geh heim." Oder: "Ich sehne mich nach Ruhe." - "Dann geh aufs Klo." So wird sinnlich nachvollziehbar, wie das Individuelle in die Knie geht. Ein übermüdeter Mitarbeiter weiß nicht mehr, ob er den Typen da neben sich schon einmal gesehen hat. Er meint sich selbst: "Wer spricht da? Die Leute erzählen so viel."
Den Personen sind markante Alltagsgeräusche von Substanzen beigesellt, die arbeitende Menschen sich zuführen: das diskrete Schniefen von Pulver, das Ploppen einer Bügelflasche, das Zischen einer Dose, vielleicht eines Energydrinks, das schnell rausgeholte Asthmaspray. Sie erscheinen wie Signaturen des Erfolgs, der Trostbedürftigkeit, der Betäubung und des Funktionierens. Was Chefs und Chefinnen sagen, wird mit Anleihen von Richard Wagner umspült oder von schleppendem Jazz, manchmal wird es von einer Fanfare angekündigt. Doch darüber legt sich oft ein pulsierendes Rauschen, das wie Bluthochdruck ans Ohr dringt, oder ein kaltes Radar-Sirren. Erst wenn es plötzlich still wird, für Sekunden, sagt jemand empört: "Was ist denn jetzt schon wieder los? Ich habe doch nur praxisnah beschrieben, worum es geht!"
Es liegt also in der Natur der Sache, dass Sprechen und Denken nicht dasselbe sind, dass Menschen vielmehr Sprachmasken vor sich hertragen, hinter denen sie sich selbst verloren gehen. Die Verfremdung wird hörbar, wenn Stimmen metallen verzerrt sind wie bei einer Videokonferenz oder wie auf Koks dem gehetzten Ich gut zureden, wenn es sich nach Feierabend dem Kaufrausch hingibt. Kunde zu sein und sich das Anhäufen von Zeug verdient zu haben, das dann verstaubt oder im Müll landet: auch das ist eine Machtgeste. Die Rache des Mitarbeiters am Gefühl des eigenen Nichtvorkommens.
Beschäftigte und Chefs, so sympathisch wie abstoßend gespielt von Godehard Giese, Gisa Flake, Florian Lukas und anderen, porträtieren nicht nur sich selbst, sondern in der dritten Person auch einander. Die Vielfalt der Erzählformen lässt die Mechanik der Aussagen noch mehr flirren und funkeln. Statt sie psychologisch zueinander in Beziehung zu setzen, rhythmisiert Piening den Tanz der Wortmaskenträger, etwa auch indem sie dieselben Sätze an markanten Stellen wiederholt. "Mache mir doch auch einmal jemand eine Freude", murmelt da der seine eigene Großspurigkeit sezierende Chef. Im Inneren weiß er selbst, dass er nur in seiner eigenen Badewanne Kapitän ist.
Die Monolog-Splitter aus der Arbeitswelt, die in "Die Könige spielen die anderen" zu einer so trostlosen wie hochkomischen Collage verblendet werden, sind von einer solchen literarischen Lässigkeit und Brillanz, dass sie wie Ausschnitte berühmter Erzählungen wirken, die man unbedingt noch in Gänze lesen möchte, irgendwann, im Urlaub vielleicht.
infobox: "Die Könige spielen die anderen", Hörspiel, Regie und Buch: Gesche Piening, Komposition: Michael Emanuel Bauer (Deutschlandfunk, 16.11.24, 20.05-21.00 Uhr und in der ARD-Audiothek)
Zuerst veröffentlicht 11.12.2024 13:44
Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KDLF, Hörspiel, Piening, Lutz
zur Startseite von epd medien