Großer Zauber - epd medien

13.12.2024 10:40

Die Puppenserie "Hallo Spencer", die der NDR von 1979 bis 2001 produzierte, wird von Fans bis heute verehrt. Nun hat der "Hallo-Spencer"-Fan Jan Böhmermann einen Film zum Universum der legendären Klappmaulpuppen produziert.

Der Puppenspieler Jakob Sesam (Rainer Bock) und Spencer bestätigen dem Lieferanten (Jan Böhmermann) die Lieferung von Sendebändern

epd "Hallo Leute von A bis Z, von eins bis 100, von Norden bis Süden und von Osten bis Westen. Da bin ich wieder, euer lieber guter alter Spencer!" So begann jede Ausgabe der Kindersendung "Hallo Spencer", die der NDR von 1978 bis 2001 produzierte - insgesamt waren es 275 Folgen. Und Jan Böhmermann, Jahrgang 1981 und damit Teil der klassischen Zielgruppe damals, gehört zu den großen Fans der Serie mit den Klappmaulpuppen. Nun hat er für das Fernsehen "Hallo Spencer - Der Film" produziert.

Der Film ist vieles: Eine Hommage an das "Spencer"-Universum, jenes Runddorf, in dem sich neben Spencer auch Kasimir, Lexi, die Quietschbeus, Nepomuk, Jungdrache Poldi, Lulu und Elvis, die Zwillinge Mona und Lisa und viele andere tummeln; eine Verbeugung vor den "Spencer"-Erfindern Angelika Paetow und Winfried Debertin und der ganzen Crew; ein Märchen, das wie alle guten Märchen auf der Realität fußt und sie in ein Happy End wendet.

Ätzende Mediensatire

Man muss aber kein Kenner der alten "Hallo Spencer"-Folgen sein, um den Film zu verstehen. Auch deshalb, weil er gleichzeitig eine ätzende Mediensatire ist. Darum ist "Hallo Spencer - Der Film" auch kein Fall für das Kinderprogramm, sondern wird im Abendprogramm für Erwachsene gesendet.

Im Film heißt der geistige Vater von "Hallo Spencer" Jakob Sesam: Winfried Debertins Alter Ego wird hier mit sehr viel Herzblut gespielt von Rainer Bock. Nach dem Ende beim Sender, der hier NDF heißt, ist Jakob mitsamt seinem Spencer-Universum inklusive der Studio-Dekorationen in eine verfallende ehemalige Diskothek gezogen - das tat der echte Winfried Debertin auch, so entstand die Idee zu diesem Film. Sesam lebt nun mit seinen Puppen in der Diskothek und tritt mit ihnen bei Kindergeburtstagen und Familienfesten auf. Bis Peggy (Victoria Trautmannsdorff), die Besitzerin der alten Disco, ein Angebot von zehn Millionen Euro für das Grundstück erhält, auf dem künftig eine Seniorenresidenz entstehen soll.

Windiger Deal

Dafür müssen Jakob und die Puppen binnen zwei Wochen raus. Gemeinsam mit seiner alten Freundin Luise (Margarita Broich) schmiedet Jakob einen Plan: Sie wollen zehn Millionen auftreiben, um die Abrissbagger zu stoppen - mit einem "Hallo Spencer"-Film. Der muss aber auch erst mal finanziert werden. Sein alter Freund Wolf (gespielt von Achim Hall, ehemals die Stimme von Spencer) gibt Jakob also den Rat, mit dem fertigen Drehbuch potenzielle Geldgeber abzuklappern: Streamingdienste und, wenn alle Stricke reißen, eben auch den NDF.

Jakob Sesam ist aber im Geschichtenerfinden wesentlich begabter ist als im Geschäftemachen: Und so enden seine Videokonferenzen (die Jakob mit einem Uralt-Rechner und einem herrlich knarzigen Modem bewältigt) mit den Streaming-Anbietern Flixbuster, Cadabra Prime und Agony+ regelmäßig mit den schönen Worten: "Wir melden uns." Beim NDF wiederum zieht ihn ein ehemaliger Praktikant, der inzwischen zum Senderchef aufgestiegen ist, in einen windigen Deal hinein.

Szenen von grandioser Komik

Was Jakob Sesam erst später erfährt: Es gibt da auch noch das neureiche, pseudokommunistische Ossi-Ehepaar Magnus und Jette Wilde (Jens Harzer, Marina Galic), das einst mit einem TV-Rechte-Paket auch die Rechte an "Hallo Spencer" erworben hat, und diese nun selbst nutzen und versilbern will - modern aufgemotzt im Manga-Style oder als 3D-Animation. Dem Paar gehört getreu seinem Leitspruch "Media, Education, Politics & Entertainment" neben den TV-Rechten auch eine Schule und ein Verlag samt Zeitung und Druckerei. Etwaige Ähnlichkeiten mit einem Ostberliner Verlegerehepaar sind selbstverständlich rein zufällig.

Der Film quillt über von Details, Anspielungen und Querverbindungen. Manche Seitenhiebe sind plakativ, andere eher subtil, in jedem Fall aber verdient und treffend. Schon deshalb macht der Spencer-Film Spaß. Noch mehr Freude bereitet aber die große Liebe zu den Figuren und zur Geschichte, die den Film auszeichnet, die phantasiereiche und liebevolle Gestaltung und Ausstattung (Kompliment für das Szenenbild an Vicky von Minckwitz!), das tolle Schauspieler- und Puppenspieler-Ensemble (darunter natürlich auch Winfried Debertin), die vielen kleinen Nebenrollen, in denen unter anderem Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow, Olli Dittrich oder Jan Böhmermann selbst auftreten. Es gibt Szenen von herzzerreißender Traurigkeit, großem Zauber oder grandioser Komik.

Der Film schafft zweierlei: Er entzaubert die Verheißungen der "Kreativwirtschaft", in der allzu oft die Kapitalisierung die Kreativität killt und der Content den Inhalt, gleichzeitig feiert er Kultur und Kunst, die vor allem "Ideen, Mut und Liebe" brauchen, wie es im Film heißt. Das versöhnliche Happy End ist einigermaßen verblüffend, aber es gehört eben zu einem richtigen Märchen dazu. "Hallo Spencer" ist ein Beleg dafür, dass hinter beißender Ironie oft ein großer Idealismus steckt. Ohne den wären wir verloren.

infobox: "Hallo Spencer - Der Film", Fernsehfilm, Regie: Timo Schierhorn, Buch: Jan Böhmermann, Elias Hauck, Tim Wolff, Kamera: Jutta Pohlmann, Produktion: Unterhaltungsfernsehen Ehrenfeld, Studio Zentral (ZDF-Mediathek seit 13.12.24, ZDFneo, 25.12.24, 20.15-21.45 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 13.12.2024 11:40

Ulrike Steglich

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Fensehfilm, Böhmermann, Schierhorn, Hauck

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