Streiten, Grübeln, Heulen - epd medien

26.12.2024 11:15

In dem Deutschlandfunk-Podcast "Es ist aus - und jetzt?" sprechen und streiten die beiden Schriftstellerinnen und Freundinnen Lola Randl und Anke Stelling über Stellings Lebenskrise, nachdem sie von ihrem Mann verlassen wurde.

Im neuen Podcast-Format "Und jetzt?!" des  Deutschlandfunks geht es um echte Konflikte und das Leben als Dauerstruggle

epd "Raus aus der Ohnmacht, rein in den Konflikt", heißt es im Trailer zum neuen Podcast-Format "Und jetzt?!" des Deutschlandfunks, und eines muss man dieser Ansage lassen: Selten klang die Wahl zwischen Pest und Cholera so verzweifelt erfrischend. Wollen wir nicht alle raus aus der Ohnmacht, die uns angesichts der Krisen lähmt? Und gibt es nicht andererseits schon genug Konflikte draußen in der Welt, in den eigenen vier Wänden, im eigenen Kopf? Wie kommt man raus aus diesem Teufelskreis?

Die neue Doku-Serie versucht es im Kleinen, am Konkreten. Sie lauscht realen Menschen bei einem lebensverändernden "Struggle" über mehrere Folgen hinweg. Eine steht vor dem Problem, sehr viel Geld zu erben, eine andere sucht eine größere Wohnung. Die Staffeln werden in den nächsten Wochen nach und nach im Doku-Serien-Feed des Senders online gestellt.

Wo bleibt die gesellschaftliche Relevanz?

In den Anfang Dezember veröffentlichten ersten beiden Folgen der vierteiligen Auftakt-Staffel "Es ist aus - und jetzt?!" streiten, grübeln, heulen, murmeln und knurren sich die Schriftstellerin Anke Stelling und die Regisseurin und Schriftstellerin Lola Randl durch Stellings Lebenkrise: Vor zwei Jahren von ihrem Partner verlassen, fühlt Stelling sich trotz ihres feministischen Wissens wertlos und bedürftig und fragt sich, welche Zuneigungsmöglichkeiten die Welt noch zu bieten hat. Helfen Dating-Apps? Sollte sie es vielleicht mit der Mitwirkung in einem Porno versuchen? Muss sie sich neu erfinden als Künstlerin, Mutter, Freundin? Und wo bleibt die gesamtgesellschaftliche Relevanz?

Das vor allem ist die Frage, die zunächst Randl stellt. Sie ist nicht nur Stellings Freundin, sondern hier die Regisseurin, und als solche sieht sie sich machtvoll, fast ein bisschen didaktisch in der Verantwortung, einen Mehrwert zu produzieren, nicht nur "Intellektuellen-Reality-TV", wie die feministische Pornoproduzentin Paulita Pappel, die auch einen Auftritt hat, einmal das Arte-Format "Theorie und Praxis" nannte: Darin diskutierten Stelling und Randl mit Gästen in der Uckermark über die Weltprobleme und verhandelten dabei das mögliche Scheitern des ganzen Projekts und auch der Welt eifrig mit.

Bitterer Spaß

Stelling wiederum hat die Nase voll von verpaarten Leuten wie Randl, die ihr erklären, dass man doch eigentlich gar keinen Partner brauche. Die zwar neun Jahre jüngere, mit tieferer Stimmlage jedoch abgeklärter wirkende Randl, halbwegs zufrieden, mehrfach beziehungsversorgt mit Mann, Geliebtem und schlauen Kindern, findet Menschen regelrecht unattraktiv, die sich nur übers Paarsein definieren. Stelling: "Du hast zu viel und ich hab zu wenig". - Randl: "Ja." Man gerät aneinander, entschuldigt sich, schweigt kaum und hat bitteren Spaß dabei.

Eine Tonlage, die durch alle Szenen trägt und die Spannung hält, zumal beide Frauen mit der Gabe gesegnet sind, sich zwar unerbittlich zu verhaken, dabei aber jeweils bei der Sache - und bei sich - zu bleiben und lauter interessante Formulierungen herauszuhauen. Mit ihren jeweils eigenen Schriftstellerinnen-Attitüden: Randl ist klar, mit offenem Visier, aber doch auch ein paar eigene Themen mehr schlecht als recht versteckend, Stelling offensiv anklagend und bis zur Schmerzgrenze sich selbst analysierend.

Kinder weg, Mann weg

Wer ihnen zuhört, merkt schnell: Anstrengend ist für beide nicht das Finden der treffendsten Worte. Anstrengend sind die Positionierungen, die zwischen Selbstfürsorge-Mantra und Selbstverleugnung nötig sind. Stelling jedenfalls will sich "nicht künstlich attraktiv und nicht bedürftig machen", um einen Mann zu finden, und entscheidet sich für das "total fertige Foto mit dem Scheißhaufenkissen" als Profilbild für die Dating App. Segen des akustischen Mediums: dass man sich dieses Foto nun also vorstellen darf.

Stelling, die in ihren Büchern wie "Schäfchen im Trockenen" ihre Wut auf die eigene Lage gesamtgesellschaftlich auseinandernimmt, erkennt auch in dieser Nabelschau etwas Altruistisches: "Ich geb' mich halt her als Beispiel". Sollen doch alle wissen, wie das ist: Kinder groß, Mann weg, womit nun wirklich nicht zu rechnen war. Hatten sie und ihr Ex damals doch als überzeugte Ehe-Kritiker ("es ist das Patriarchat und böse") trotzdem geheiratet, "weil wir dachten, wir sind so eigenständig, und wenn WIR das machen, ist es ja ganz anders und so selbstermächtigt, dass uns das nicht stört".

Gefilzte Tierfiguren

Nebenher, gleichzeitig und zwischendurch werden Kinder zum Zähneputzen aufgefordert, wird Bausubstanz vorm Verfall bewahrt und seufzt sich Randl am Telefon bei ihrem Mann oder auch bei ihrem Liebhaber aus, beides nette Kerle offenbar. Aus alter Gewohnheit castet sie immer wieder Experten und Expertinnen zur Anreicherung des Podcasts. Etwa einen Bestatter, wo doch das Thema Tod die finale Trennung ist. Anke rastet da mal kurz aus: "Wozu musst du wieder jemanden treffen, anstatt selber zu denken? Du. Allein. Denkend!?"

Und wenn es dann gerade gar nicht passt, platzt Musik herein. Mal ist es ein hämisches Spinett mit Barockklängen, mal das live auf der Kinderflöte gespielte Thema aus "Ronja Räubertochter". Als Randl ihre Freundin im zweiten Teil in der psychosomatischen Rehaklinik besucht, obwohl beide nicht sicher sind, ob Anke nun depressiv oder einfach nur unglücklich ist, zeigt ihr Anke die kleinen Tierfiguren, die sie in der Therapie selbst gefilzt hat. Randls Augenrollen ist förmlich zu hören, aber sie reden und ringen weiter miteinander.

Regisseurin Randl hat die Dialoge so kurzweilig und scheinbar ohne auktoriale Eingriffe arrangiert, dass der Serienauftakt seinen ganzen ungeordneten Charme entfaltet. Ein schönes Konzept, das die Phrase vom Privaten, das politisch sei, mit Leben füllt.

infobox: "Es ist aus - und jetzt?!", Doku-Podcast-Serie, Regie und Buch: Anke Stelling, Lola Randl (Deutschlandfunk, 6.12.24, 20.05-21.00 Uhr und 13.12.24, 20.05-21.00 Uhr, DLF-Audiothek seit 4.12.24)



Zuerst veröffentlicht 26.12.2024 12:15

Cosima Lutz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KDLF, Podcast, Serie, Stelling, Randl, Lutz

zur Startseite von epd medien