"Das war das Glück meines Lebens" - epd medien

30.12.2024 08:10

Am 1. Januar 1975 ging beim Südwestfunk die Popwelle SWF3 auf Sendung. Gründer, Redaktionsleiter und später auch Programmchef war Hans Peter Stockinger (Jahrgang 1938). Stockinger hatte beim "Hohenloher Tageblatt" volontiert und war ab 1970 Redakteur beim Südwestfunk in Baden-Baden. Mitte der 70er Jahre reichte er beim damaligen Intendanten Helmut Hammerschmidt das Konzept für die neue Popwelle ein. SWF3 wurde bald weit über das Sendegebiet Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hinaus bekannt und hatte in den 90er Jahren mehr als acht Millionen Hörer. Diemut Roether sprach mit ihm über die Erfindung von SWF3, die Sprache im Radio und prägende Persönlichkeiten im Hörfunk.

Ein epd-Interview mit dem Radiomacher Hans Peter Stockinger

Hans Peter Stockinger

Der Radiosender SWF3 ging am 1. Januar 1975 auf Sendung, er war einer der ersten Popsender in Deutschland. Wie kam es damals zu der Gründung?

Hans Peter Stockinger: Der Sender ging aus einer Rebellion der Redakteurinnen und Redakteure hervor. Bayern3 war damals die erste Autofahrerwelle, dem folgte Hessen3. Die beiden Sender schalteten sich manchmal zusammen: Morgens sendete der Hessische Rundfunk, nachmittags und abends der Bayerische Rundfunk. Das war unglaublich erfolgreich, obwohl sie nur Autofahrermusik gespielt haben. Der ADAC hatte damals Regeln herausgegeben, welche Musik für das Autofahren passt, es sollte keine Vokalmusik sein, nicht zu schnell. Sie wollten den Autofahrer möglichst in ruhige Stimmung versetzen. Das sollte auch beim Südwestfunk eingeführt werden.

Wie sah das dritte Radioprogramm des Südwestfunks vorher aus?

Das war ein Sammelsurium, ein reines Einschaltradio. Es gab damals noch den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes, es gab Sportübertragungen. 1970 war der "Popshop" reingesetzt worden, eine der ersten Popmusiksendungen im deutschen Radio. Der "Popshop" lief drei Stunden ab 12 Uhr am Mittag und war sehr erfolgreich. Er hatte vor allem Studenten und Schüler als Publikum. Die Geschäftsleitung hatte damals den Plan, das dritte Programm gemeinsam mit HR und BR zu veranstalten. Das hat uns als Redakteure empört.

Es gab im gesamten Hörfunk einen Aufstand der Redaktionen.

Warum?

Wir haben gesagt, das kann sich eine öffentlich-rechtliche Anstalt nicht leisten, ein Programm mit Fahrstuhlmusik, das sonst nur Kurznachrichten und Verkehrsmeldungen macht. Es gab im gesamten Hörfunk einen Aufstand der Redaktionen. Die E-Musik, die Hörspielredaktionen, alle machten mit. Wir hatten damals einen erstklassigen Intendanten, Helmut Hammerschmidt...

Hammerschmidt hat Anfang der 60er als Chefredakteur Fernsehen beim Süddeutschen Rundfunk das Magazin "Anno - Filmberichte zu Nachrichten von gestern und morgen" mitentwickelt. Von 1965 bis 1977 war er Intendant des Südwestfunks.

Er war ein exzellenter Journalist, ich habe von ihm viel gelernt. Hammerschmidt hat oft gesagt, es gibt den Unterschied zwischen Machern und Merkern. Die Journalisten sind Merker, die anderen sind Macher. Das ist so ähnlich wie der berühmte Satz von Hanns Joachim Friedrichs: Ein Journalist soll sich nie mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten.

Wie begann die Rebellion der Redakteure?

Wir nannten unsere Treffen damals Teach-ins. Wir hatten eine Resolution verfasst, in der wir protestiert haben gegen die Art von Radio, die uns drohte. Hammerschmidt rief uns auf, Vorschläge einzureichen. Ich war damals bei SWF1 bei der Aktuellen Information, und meine Redaktion hatte mich abgeordnet in diese Gruppe.

Medienforschung war damals etwas Neues für die Redaktionen.

Haben Sie den Vorschlag für die Popwelle alleine ausgearbeitet?

Ich habe das ziemlich alleine ausgearbeitet, aber an meine Redaktion berichtet. Es gab damals Umfragen von Infratest zur Radionutzung, die dokumentiert haben, dass der Südwestfunk in seinem Sendegebiet, vor allem in Rheinland-Pfalz, ein Minderheitenprogramm war. Die Massen hörten dort auf UKW Radio Luxemburg und weiter südlich hörten sie die Europawelle Saar.

Es gab damals noch keine systematische Media-Analyse, sondern Umfragen.

Medienforschung war damals etwas Neues für die Redaktionen. Die Medienforscherin sagte ihnen: Ihr werdet nicht gehört. Die Kulturleute sagten, das ist doch kein Maßstab, Masse ist doch nicht Klasse, aber ich habe das damals sehr ernst genommen. Ich habe mich orientiert an der BBC. Die BBC hatte erlebt, dass die jungen Zielgruppen zu den Piratensendern abgewandert waren: Radio Caroline, Radio Veronica, die von Schiffen auf der Nordsee vor der holländischen Küste sendeten. Ich habe mir BBC1 zum Vorbild genommen, das war ein durchgehendes Popmusikprogramm mit eigenem Charakter.

Es herrschte ein völlig anderer Ton, ein anderer Duktus als in anderen Programmen.

Die Musikfarbe bestimmte also den Charakter des Programms. Das ist das Wellenprinzip, das damals neu war.

Die Musik hat die Menschen angezogen, das war eine großartige Idee. Bei der BBC waren sie sehr konsequent und haben auch die Sprache angeglichen. Es herrschte ein völlig anderer Ton, ein anderer Duktus als in den anderen Programmen.

War es einfach, das Popprogramm im SWF durchzusetzen? Was hat die Musikredaktion dazu gesagt?

Es wurden damals 29 verschiedene Programmvorschläge eingereicht. Hammerschmidt hatte Sympathie für das Modell, das ich eingebracht hatte. Er hat aus den 29 Gruppen fünf Leute ausgewählt, die in Klausuren auf der Spur meines Vorschlags die Programme ausformen sollten. Wir hatten die Aufgabe, nicht nur das dritte, sondern auch das erste und das zweite Programm als Wellen zu gestalten.

Es war absurd, dass die Radioanstalten die Studentenbewegung lange ignoriert hatten.

Ihnen war es wichtig, nicht nur Musik zu machen und gute Moderationen, sondern auch Information.

Ich war früher bei der "Rhein-Neckar-Zeitung" in Heidelberg und später beim "Mannheimer Morgen" und habe dort die Studentenrebellion erlebt: Rudi Dutschke und Daniel Cohn-Bendit und wie sie alle hießen. Der ganze Umbruch wurde begleitet von der Popmusik. Da gingen Türen auf! Pete Seeger, Joan Baez, die Beatles oder die Stones - das waren unglaublich intelligente Songs. Ich bin von mir und meinem Umkreis ausgegangen. Wir wollten diese Musik hören und waren sehr an den Zeitläuften interessiert. Es war absurd, dass die Radioanstalten diese Bewegung lange ignoriert hatten. Das fand nirgendwo statt. Der "Popshop" hat die Musik gemacht, aber er hatte kein Wortprogramm. Er hatte klasse Autorinnen wie Elke Heidenreich.

Sie haben das Programm gemacht, das Sie gerne hören wollten?

Genau. Wir sind damals von uns ausgegangen.Deshalb bin ich heute oft entsetzt, wie zynisch Radiomacher über ihr Publikum sprechen. Wir haben die Menschen damals ergriffen.

Wir hatten noch ziemlich viel Reichsrundfunk in den Rundfunkanstalten.

SWF3 hat damals mehrere Generationen von Radiohörern geprägt. Wer in den 70er oder 80er Jahren im Sendegebiet aufgewachsen ist und weit darüber hinaus, sagt: SWF3, klar, habe ich damals gehört. Dann werden die Namen genannt: Frank Laufenberg, Elke Heidenreich, Anke Engelke, Stefanie Tücking.

Claus Kleber, Frank Plasberg... Aber ich bin dagegen, dass man immer nur die nennt, die jetzt im Fernsehen strahlen, es waren Hundert. Gerd Leienbach war ein Genie.

Ich würde gern noch einmal auf die Sprache bei SWF3 zurückkommen. Sie haben gesagt, die Sprache sollte so sein, dass sie zu den Songs passt. Worauf kam es Ihnen da an?

Das habe ich mir auch bei der BBC abgeschaut. Die BBC hat gesagt, wir können nicht solche Musik spielen und dann in der Sprache der "Times" sprechen. Die haben die Sprache verändert mit neuen Wortschöpfungen. Wir hatten noch ziemlich viel Reichsrundfunk in den Rundfunkanstalten, was die Formen und die Leute anging. Solche Songs mit solchen Texten kann man nicht anmoderieren mit: "Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer, wir haben hier einen Strauß bunter Melodien für Sie zusammengestellt." - Dieses ganze Geschmuse. Ich hatte gehört, dass Professor Erich Straßner in Tübingen für das ZDF die Nachrichtensprache untersucht hat. Wir sind zu ihm nach Tübingen gefahren zu einer Schulung, da hat er uns geschildert, was wir als Journalisten in den Medien sprachlich falsch machen.

Ein Eichhörnchen ist ein Eichhörnchen ist ein Eichhörnchen und kein putziger Nager.

Was war das zum Beispiel?

Wir haben alle im Deutschunterricht gelernt, dass wir keine Wörter wiederholen sollten. Also sucht man die lexikalische Varianz. Das ist noch immer gang und gäbe, vor allem im Sport. Da sagen sie nicht zweimal "Die Kölner", sondern "die Domstädter".

...oder "die Knappen" für Schalke...

Straßner hat gesagt, ihr müsst redundant reden. Denn im Hirn eines Hörers geht es hin und her, wenn ihr mal "Abgeordnete" sagt und mal "Volksvertreter". Oder der "Sprung ins kühle Nass". Wer sagt denn je "kühles Nass"?

Ich habe gehört, es gab sogar eine Fibel bei SWF3, wo aufgelistet war, was man nicht sagen sollte.

In der Fibel standen solche Sachen wie "Ein Eichhörnchen ist ein Eichhörnchen, ist ein Eichhörnchen und kein putziger Nager."

Wir standen unter strenger Aufsicht der anderen Redaktionen im Haus.

Haben Sie diese Fibel geschrieben oder ist sie in Gemeinschaftsarbeit entstanden?

Ich war der Initiator, aber das war ohne die Gruppe oder die Gemeinschaft nicht möglich. Das ging uns ins Blut über.

Wie haben Sie die Redaktion damals aufgebaut?

Wir standen unter strenger Aufsicht der anderen Redaktionen im Haus, weil die nicht wollten, dass sich da was mit journalistischem Profil entwickelt. Ich bin mit meiner Gruppe abgeordnet worden vom ersten Programm. Ich habe das mit Leidenschaft übernommen. Am Anfang war ich kein Programmchef, sondern Abteilungsleiter, SWF3 gehörte zur Hauptabteilung Jugend, Bildung, Ausbildung. Unser Programmchef und andere Abteilungen haben Menschen abgeordnet, die sie loswerden wollten. Ich fand das damals schlimm, dass sie entgegen ihren eigenen Vorlieben abgeordnet wurden mitzumachen.

Das waren nicht die besten Voraussetzungen. Konnten Sie dann auch neue Leute einstellen?

Als wir Erfolg hatten, bekamen wir mehr Geld und mehr Stellen.

Konnten Sie von Anfang an die Musik machen, die Sie machen wollten?

Es gab damals einen unheilvollen Einfluss der deutschen Funkwerbung. Der Südwestfunk hatte in seinem ersten Programm vier Stunden des Vormittags vergeben an die Deutsche Funkwerbung, das war eine GmbH. Die hatten ein unglaublich erfolgreiches Programm, in dem sie pro Stunde 20 Minuten Streuwerbung machten. Sie stellten ihr Programm nach dem Rezept von Radio Luxemburg zusammen. Das war sehr lukrativ. Wir durften nur fünf Minuten Werbung pro Stunde machen. Die Musik war erschütternd am Anfang, aber wir haben dann die jungen Musikredakteure mitgezogen.

Es kamen so tolle Leute wie Evi Seibert, Christine Westermann oder Jörg Kujack.

Damals gab es noch keine Rotation, die Musik im Radio wurde noch von Menschen zusammengestellt.

Ja, die haben damals Playlists gemacht. So kamen auch viele Vorlieben zum Zug, die uns gefallen haben oder nicht.

Wie haben Sie die Leute gefunden, die Sie eingestellt haben?

Ich habe die damalige Geschäftsführerin der Deutschen Journalistenschule in München immer wieder gefragt: Haben Sie ein Talent? Da kamen so tolle Leute wie Evi Seibert oder Christine Westermann oder Jörg Kujack. Frank Plasberg kam über eine Anzeige, die wir im "Journalist" geschaltet haben, er war zuvor bei der "Abendzeitung" in München.

Das Vorbild waren Comics in den Zeitungen: Immer wiederkehrende Figuren.

Wer war in der Startcrew von SWF3?

Neben mir war das Michael Bollinger. Dazu kamen die Freien: Gerd Leienbach war ein unglaubliches Showtalent, er war früher ein erfolgreicher Schlagersänger, er nannte sich Iljan Darc. Seine Slogans haben sich vielen bis heute eingegraben: "Schnauze Fury" oder "Positiv sollen Sie den Tag beginnen".

Leienbach und Bollinger standen vor allem für die Comedy-Elemente, für die SWF3 berühmt wurde.

Ich bin damals in die Hörspielabteilung gegangen, denn ich hatte mitgekriegt, dass der Bayerische Rundfunk Detektivserien hatte wie "Der letzte Detektiv" und "Dickie Dick Dickens" und ich dachte, das könnte doch interessant sein. Das war damals die Elite der Rundfunkkunst. Aber Herrmann Naber, der damalige Chef, hat die Arme verschränkt und gesagt: Ach, Herr Stockinger, Sie glauben doch nicht... Dann habe ich gesagt, wir müssen selbst was machen. Das Vorbild waren die Comics in den Zeitungen: immer wiederkehrende Figuren in kurzen Sequenzen. Leienbach hat das exzellent gemacht. Er hat sie alle erfunden: Schniepelpuhl mit dem Ölkännchen, Knut Buttnase…

Bei öffentlichen Veranstaltungen konnte das Publikum ganze Sätze mitsprechen.

Legendäre Figuren, von denen heute noch viele Radiohörer schwärmen. Mit Comedy haben Sie bei SWF3 einen Trend gesetzt. Wie kam es, dass die "Komischen Zeiten" von SWF3 so prägend wurden?

Die haben immer wieder Gleichgesinnte angezogen. Baden-Baden ist klein, da gab es nicht viele Möglichkeiten auszugehen und so haben sich alle abends in einer Kneipe getroffen. Dann hat einer einen Witz gemacht und sie sind abends noch zum Funk gegangen und haben sich in unserem Selbstfahrerstudio eingeschlossen und dann ist etwas entstanden. Wenn man sich vorstellt, mit welchen technischen Möglichkeiten sie gearbeitet haben, sie hatten ja nicht die digitalen Möglichkeiten, die wir heute haben. Eine der größten Serien war "Feinkost Zipp", da war auch Engelke dabei. Da hat sie ihre komische Seite entdeckt. Bei öffentlichen Veranstaltungen konnte das Publikum ganze Sätze auswendig mitsprechen.

Kritik und Selbstkritik ist wesentlich.

Sie haben jeden Tag zusammen mit der Redaktion Ausschnitte aus den Sendungen von SWF3 gehört und darüber gesprochen, das waren die sogenannten Abhörkonferenzen. Wie lief das ab?

Kritik und Selbstkritik ist wesentlich. Ich habe das von der Zeitung mitgebracht, die morgendliche Blattkritik. Wir haben ja öffentlich gesendet. Die Hörer hören das. Und wenn da Fehler sind, müssen wir das doch benennen. In einer Redaktionskonferenz ist es doch so, dass es viele Anwälte gibt. Der eine sagt, das fand ich nicht gut, dann widerspricht der andere und sagt, er fand es gut. Die Redaktionskonferenzen werden sehr unterschiedlich beurteilt: Die einen sagen, das war zwar hart, aber ich habe da viel gelernt und das habe ich nie vergessen. Die anderen sagen, das war ganz schlimm, Anke Engelke sagt, sie hat auf dem Klo geweint. Aber komischerweise sagt sie heute, sie hätte mir alles zu verdanken.

Nicht nur sie. Es gibt einige Menschen die bei SWF3 waren und sagen, Sie hätten bei Ihnen viel gelernt: Frank Plasberg, Elke Heidenreich, Anke Engelke. Was haben Sie den Leuten beigebracht?

Ich glaube, ich war einfach ehrlich. Wir hatten in unserer Fibel bestimmt, was muss ein Beitrag haben, damit er sendewürdig ist. Das waren Informationswert, Unterhaltungswert, Nutzwert... Dass man direkt ist, dass man rundfunkgemäße Sprache spricht. Wir hatten zum Beispiel den Begriff "Spiralmoderation", wenn einer ewig braucht, bis er zum Punkt kommt. Intendant Hammerschmidt hatte Wolf Schneider engagiert, damit er für uns Redakteure monatlich unsere Sprachunarten aufspießte. Ich denke immer an Schneider, wenn ich heute zum Beispiel "das gleiche" und "dasselbe" höre oder "scheinbar" und "anscheinend".

Ein Mann allein kann das nicht schaffen, das wäre falsches Lob.

Sie haben nicht nur kritisiert, sie haben auch ermutigt. Einer Moderatorin haben Sie gesagt, sie müsse ihr Herz über die Mauer werfen.

Das war Christine Westermann. Anke Engelke sagte kürzlich, sie denkt fast jeden Tag: Was wohl der Stockinger dazu sagen würde? Engelke war damals ganz jung, fast schüchtern, stand immer im Flur vor dem Konferenzraum. Ich habe mehrmals zu ihr gesagt: Frau Engelke, kommen Sie doch bitte rein. Wir haben die neuen Leute immer in den Frühsendungen ausprobiert, zwischen vier und sechs Uhr. Da habe ich Anke Engelke gehört. Es war großartig, wie sie mit Musik umging und was sie für Geistesblitze hatte! Ich habe dann gesagt, Frau Engelke, Sie sollten jetzt den "Pop Shop" moderieren. Und sie sagte: Nein, ich habe doch meine Sendung am Morgen. Aber wir haben sie zu zweit gedrängt, es sei Zeit.

Sie haben das Programm sehr geprägt.

Ein Mann allein kann das nicht schaffen, das wäre falsches Lob. Das war das Glück meines Lebens, mit diesen tollen Menschen zusammenarbeiten zu können.

Würden Sie sagen, solche Abhörkonferenzen, wie Sie sie hatten, fehlen heute im Radio?

Das weiß ich nicht, aber ich höre, dass sie es nicht mehr machen. Ich höre, dass sich Fehler immer wieder wiederholen, das geht durch die ganzen Nachrichten durch. Unser damaliger Kollege Wolfgang Wiedemeyer im Bonner Büro sagte immer: "Wo bleibt denn da die Aufsicht?" Das zitiere ich immer noch gerne.

Referent in der Intendanz ist der Schlüssel zum Aufstieg.

Sie haben ein Volontariat gemacht, Sie hatten aber kein Abitur und haben nicht studiert. Heute haben die meisten, die im Journalismus arbeiten, ein abgeschlossenes Studium. Fehlen heute im Journalismus Leute aus anderen Milieus?

Ich hätte heute keine Chance. Ich habe immer unterschiedliche Menschen gefunden. Ich habe immer geschaut, ob die auch schon was anderes gemacht hatten. Heute sehe ich Lebensläufe in öffentlich-rechtlichen Anstalten, die haben alles: Bachelor, Master. Das große Glück ist, wenn sie Referent werden. Referent in der Intendanz, das ist der Schlüssel zum Aufstieg. Oder es gibt die Inzucht-Lebensläufe. Das sind Leute in wichtigen Positionen beim SWR, die sind nur dort gewesen und die Karriereleiter raufgegangen.

Wie haben Sie sich damals Ihre Hörer vorgestellt? Heute gibt es ja bei der ARD die Mediennutzer-Typologie, die irgendwelche Idealhörer beschreibt.

Wir sind von uns selbst ausgegangen. Wir haben uns gefragt: Was interessiert die Menschen? Oder was sollte sie interessieren? Ohne dass man aktivistisch oder pädagogisch ist. Wir hatten damals eine etwas naive Vorstellung, wir dachten, die Welt wird immer besser und wir tragen einen kleinen Teil dazu bei. Wir hatten schon grüne Themen, da waren die Grünen noch gar nicht gegründet. Wir hatten damals aber auch ein paar idealistisch gesinnte Kolleginnen und Kollegen, die mitunter ins Aktivistische gewechselt sind.

Beim Jubiläum 20 Jahre SWF3 kamen Hunderttausende nach Baden-Baden.

Darüber wird derzeit wieder viel diskutiert: Dürfen Journalisten Aktivisten sein?

Da habe ich immer gesagt: Nein! Wir sind Merker, nicht Macher. Denn so schließen wir diejenigen aus, die nicht dieser Gesinnung sind.

Sie haben damals mit dem Sender SWF3 etwas aufgebaut, das man heute in sozialen Netzwerken eine Community nennt, die Gemeinschaft der SWF3-Hörer. War Ihnen das damals bewusst, dass sie mit dem Sender eine Gemeinde schaffen?

Das war uns lange nicht bewusst. Das wurde uns erst bewusst, als wir massenhafte Rückmeldungen bekommen haben. Wir haben viele Veranstaltungen gemacht. Beim Jubiläum 20 Jahre SWF3, das wir in Baden-Baden im Sender gefeiert haben, kamen Hunderttausende. Die fielen über die Stadt her, die Polizei sagte, das darf nie wieder passieren.

Wir wollten unser Publikum ernstnehmen.

Heute wird viel darüber gesprochen, wie wichtig der Dialog mit dem Publikum ist. Sie haben diesen Dialog von Anfang an geführt. Gab es Redakteure, die sich speziell um den Dialog mit den Hörern gekümmert haben?

Das gab es nie, aber das Programm war sehr offen nach außen. Wir haben keine banalen Anrufsendungen gemacht, wir wollten unser Publikum ernstnehmen. Peter Glotz hatte mit Wolfgang Langenbucher ein Buch gemacht: "Der missachtete Leser". Darin haben sie beschrieben, wie die Zeitungsredaktionen die Bedürfnisse ihrer Leser ignorieren. Ich habe das damals als Lokalredakteur gelesen und später auf den Hörfunk übertragen. Es war großartig, wie viele Moderatorinnen und Moderatoren mit Hörern auf Sendung gegangen sind. Wir hatten auch deswegen so viele Hörer, weil es in unserem Sendegebiet so viele Universitäten gab. Daher kam viel Substanz von draußen ins Programm.

SWF3 war in den 80ern die erfolgreichste Radiowelle in Deutschland. Sie hatten mehr als acht Millionen Hörer und Hörerinnen. Was war das für ein Gefühl?

Das haben wir nicht so wahrgenommen.

Sie haben im August 1998 aufgehört zu arbeiten, das war am Tag vor der Fusion, als die letzte Sendung von SWF3 lief. Was haben Sie gesagt, zum Schluss der Sendung?

Ich habe gesagt: Es ist null Uhr. Das war SWF3, es wird SWR3.

Ich hatte mal ein Angebot von Radio Luxemburg, aber ich hätte nicht zu Radio Luxemburg gepasst.

Dann haben Sie den Sender verlassen und auch nie wieder Radio gemacht. Warum haben Sie damals aufgehört?

Ich war oft im Rundfunkrat, weil es viel Ärger gab wegen unserem Programm, auch wegen der Comedy. Da habe ich miterlebt, wie dem Vertreter der Gewerkschaftsjugend zum 60. Geburtstag gratuliert wurde und habe gedacht: Du wirst deinen 60. Geburtstag nicht als Chef von SWF3 erleben. SWF3 war ein Programm für junge Generationen. Als die Fusion kam, war ich vorher noch in der Fusionskommission und habe dazu beigetragen, dass aus SWF3 SWR3 wurde. Die Politik wollte das nicht. Die CDU wollte eigentlich die Privaten stärken.

Und dann sind Sie in den Ruhestand gegangen. Wie war das für Sie, kein Radio mehr zu machen?

Ich habe damals geweint. Draußen stand ein Kollege, Jörg Kujack, der hatte einen Wodka dabei und eine Kanne Kaffee und sagte: So kommen Sie mir nicht davon. Ich habe damals grundsätzlich aufgehört. Ich mache keine Beratungen, ich bin nicht zu einem privaten Radio gegangen. Ich hatte mal ein Angebot von Radio Luxemburg, aber diese Art Radio hätte nicht zu mir gepasst oder ich hätte nicht zu Radio Luxemburg gepasst.

Warum?

Das war so eine Jubelwelle. Alle so fröhlich. Die Moderatorin hat keinen Nachnamen, das ist Gisela und dann kommt Juliane...

Ich finde es eine Schande, wie öffentlich-rechtliche Programme heute sind.

Ihnen war Information wichtig. Heute ist die Information aus SWR3 fast völlig verschwunden.

Ich äußere mich nicht zu diesem Programm, aber ich finde es eine Schande, wie öffentlich-rechtliche Programme heute sind. Nicht nur SWR3, auch SWR1, ich habe auch beim Hessischen Rundfunk verfolgt, wie sie unter hanebüchenen Begründungen die Kultur zusammenstampfen. Das ist so eine Missachtung der Kultur. Wir haben versucht, in unserem Popprogramm auch die große Kultur unterzubringen. Mit Buchbesprechungen, Filmbesprechungen. Meiner Meinung nach definiert sich ein Volk über die Kultur. Dadurch entsteht Identität.

Was hören Sie heute?

Deutschlandfunk und Radioeins vom RBB. Und durch das Internet kann man ja auch BBC hören. Das ist großartig!

Wenn ich manchmal Radio höre, denke ich: Da klingt ja ein Sender wie der andere.

Macht die BBC immer noch das beste Radio der Welt?

Die begeistern mich. Ich habe mir die Guidelines der BBC aus dem Internet runtergeladen. Sie beschäftigen sich mit der Frage: Was sagen wir? Wie sagen wir es? Sie machen sich Gedanken: Es ist wichtig, was wir sagen und wie wir es sagen. Ich lasse mir nicht nehmen, dass das Radio nach wie vor Chancen hätte. Wir haben heute Spotify, also mit Musik kann man niemanden locken. Auch nicht mit Gelaber oder nettem Plausch. Man kann durch Persönlichkeiten entzücken oder begeistern.

Den Radiosendern ist es früher gut gelungen, ein großes Publikum zu binden und zu begeistern.

Das haben sie verloren. Auch durch Bagatellisierung. Wenn ich manchmal Radio höre, denke ich: Da klingt ja ein Sender wie der andere. Es gibt Sender, die wählen die Sprecherinnen und Sprecher nach der Frequenz ihrer Stimme aus. Bei uns ist Anke Engelke kritisiert worden, weil sie angeblich eine Kinderstimme hatte. Von Elke Heidenreich hieß es, sie würde kreischen, aber sie haben sich durch die Stimmen unterschieden. Die Radiosender machen sich entbehrlich.

dir



Zuerst veröffentlicht 30.12.2024 09:10 Letzte Änderung: 30.12.2024 09:58

Schlagworte: Medien, Radio, Geschichte, SWF, SWF3, SWR, Hans Peter Stockinger, NEU

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