Frisch und schön - epd medien

03.01.2025 10:15

Die SWR-Hörspielreihe "Die Geschichten Jaakobs" nach dem ersten Band von Thomas Manns "Josephsroman" hätte eine Fortsetzung verdient, meint Kritikerin Eva-Maria Lenz.

epd Joseph, der Liebling seines Vaters Jaakob, wurde auch der Liebling späterer Leser seiner Geschichte. Durch grandiose Spannungsbögen und konsequente Komposition von Höhen und Tiefen ragt sie unter den biblischen Urgeschichten heraus. Denn die Bevorzugung dieses Sohns Rahels, der früh verstorbenen Lieblingsfrau Jaakobs, weckte nicht nur Josephs Talente, sondern zugleich auch die folgenreiche Eifersucht seiner Brüder, die seinen Tod wünschten, doch stattdessen seine einzigartige Karriere in Ägypten auslösten.

Die siebenteilige neue Hörspielversion, mit welcher der SWR das Thomas-Mann-Jubiläumsjahr 2025 einläutet, beginnt mit dem Szenario "Am Brunnen", in dem der Jüngling Joseph glänzt. Dann aber folgt sie nicht weiter seinem Lebensweg, sondern in Rückblenden der Biografie seines Vaters. Die Inszenierung beschränkt sich auf "Die Geschichten Jaakobs" und damit auf den ersten Teil von Thomas Manns opulentem vierbändigen "Josephsroman", der unter Emigrationsbedingungen erstmals in Einzelbänden 1933 bis 1943 erschien.

Charme exotischer Reiseberichte

Mit Elan, Erfahrung und Enthusiasmus konnten Manfred Hess als Dramaturg und Bearbeiter sowie Hermann Kretzschmar als Komponist mehrfach Romane der klassischen Moderne, unter anderem Werke Marcel Prousts und Thomas Manns "Doktor Faustus" (HR/BR 2007), akustisch zum Leben erwecken. Nun dehnen die beiden ihre Zusammenarbeit auf das Projekt "Josephsroman" aus. Diese neue Produktion kann sich trotz des archaischen Stoffs ihrer elementaren Anziehungskraft sicher sein. Denn auf Thomas Manns besonderem Sprachniveau koppelt sie vitale Züge der Familienserie mit dem Charme exotischer Reiseberichte. Ein hochkarätiges Ensemble unter Ulrich Lampens Regie bietet mitreißende Klang- und Erkenntnis-Abenteuer.

Faszinierend ist Hermann Kretzschmars Komposition für Klarinetten (Shelly Ezra), Blockflöten (Caroline Rohde), Violoncello (Esther Saladin), Perkussion (Yuka Ohta), Klavier und Harfensounds (Kretzschmar). Diese Musik ordnet gerne in einem variablen Verweissystem zentralen Figuren und Themen wie dem Unterwegssein spezifische Module zu. Sie ist nahe bei der Situation, wenn sie Szenarien rhythmisiert oder atmosphärisch auflädt, und öffnet doch oft Horizonte darüber hinaus.

Ein wesentliches Stilmittel der Inszenierung Ulrich Lampens ist das Splitting des Erzählerparts in drei Stimmen. Die bewegten weiblichen Stimmen von Imogen Kogge und Elisa Schlott und das souveräne männliche Timbre von Werner Wölbern sprechen für sich und für Thomas Manns vielperspektivischen Text. Mit Beobachtungen zum Geschehen, zu Landschaften und Schauplätzen, mit ironischen Kommentaren und Stichworten zu Dialogen skizziert die Erzählerrunde den Handlungs- und Denkraum der Personen. Zudem bringt sie mit grundsätzlichen Reflexionen immer wieder eine Epoche altorientalischer Symbiosen, Einflusssphären und Mythologien ins Spiel.

Kindheitswunsch Goethes

Vornehmlich im Laufe seiner Emigrationsphase realisierte Thomas Mann im "Josephsroman" auf seine Weise auch einen Kindheitswunsch Goethes, der davon träumte, die "zu kurze" Josephsgeschichte der Bibel "ins Einzelne auszumalen". Bei dem Unternehmen, seine Einbildungskraft in zeitlich und räumlich fernen Regionen des Altertums, in Palästina, im Zweistromland und im Ägypten von einst aufzufrischen, ließ Thomas Mann sich von Experten unterstützen. Mit dem Religionswissenschaftler und Mythenforscher Karl Kerényi unterhielt er einen kontinuierlichen fachlichen Briefwechsel, von dem nun noch die Hörspielversion profitiert.

Manchmal ist in dieser akustischen Produktion die Welt einfach frisch und schön. So ein Glücksmoment wird Josephs erstes Erscheinen in der Folge "Am Brunnen" beim Gespräch mit dem Vater im Freien. Der junge Mann (Ole Lagerpusch) sitzt am Aussichtspunkt bei Hebron, und sein Vater Jakob (Jens Harzer) freut sich über den ansehnlichen Sohn. Nach langem Unterwegssein auf der Suche nach Wohnsitzen und Weiden fühlen sich Vater und Sohn hier am richtigen Ort. So gelingt "ein schönes Gespräch", das nicht zielgerichtete Verhandlung, sondern atmosphärischer Gedankenaustausch ist. Dabei hängen Josefs Gedanken an Gegenwart und Zukunft, während Jaakob auch Vergangenheit bilanziert.

Joseph hat gerade unter der traditionell als wundersam gerühmten Terebinthe geträumt, dass der Gott der Väter ihn aus einer Grube befreien wird. So rätselhaft der Hinweis auf die Grube ihm noch bleibt, so kommt damit doch ein zentrales Motiv seiner noch ausstehenden Lebensgeschichte ins Spiel. Denn die Brüder werden Joseph in die Grube stecken, um seine Konkurrenz loszuwerden. Zugleich entspricht Josephs Traum Jaakobs Lebens- und Glaubenserfahrung von "Erwählung der Sanften und Klugen". Schlüssig markiert hier das vertrauliche Gespräch zwischen Vater und Sohn den Start zu den folgenden Rückblenden in Jaakobs Vorgeschichte.

Last des Unterwegsseins

"Jaakob und Esau" (Folge 2) vergegenwärtigt die Spannungen in der vorigen Generation, seit Jaakob listig den Segen seines erblindeten Vaters Isaak an sich riss, der dem nur wenig älteren Zwillingsbruder Esau zustand. Fortan hat Jaakob zwar den Segen, zugleich aber auch die Last des Unterwegsseins und der Rastplatzsuchen auf der "Flucht" (Folge 4) vor dem Bruder. Als melodramatische Reisestation interessiert die kanaanitische Siedlung Scheichem. Dort ereignet sich die Schreckensgeschichte um Jaakobs Tochter Dina (Folge 3). Die hoffnungsvolle Leidenschaft zwischen Dina und dem Herrschersohn Sichem, die Jaakob mit einem Kontaktpakt zwischen seinem Clan und Sichems Haus besiegelt und die sogar die Unterwerfung des Kanaaniters unter jüdischen Beschneidungszwang bringt, verkehrt sich jäh in eine Katastrophe. Denn fern von Jaakobs Vertragskultur verleumden Dinas fanatische große Brüder hier die Liebe eines Fremden als Schändung der Schwester und bestrafen sie mit einem Blutbad, mit Raub und Rache.

"In Labans Diensten" (Folge 5) findet Jaakob Zuflucht bei dem Viehzüchter Laban (Sebastian Blomberg), dem Bruder seiner Mutter Rebekka (Corinna Harfouch). Am Brunnen vor Labans Anwesen verliebt sich Jaakob in Labans Tochter Rahel (Lisa Hrdina) auf den ersten Blick. Doch sieben Jahre muss er um Rahel dienen. Erst nach dunkler Hochzeitsnacht erkennt er in "Die zwei Schwestern" (Folge 6), dass ihm die älteste Tochter Lea (Sina Martens) angetraut wurde, die der Onkel zuerst verheiraten wollte. Jaakob nimmt sieben Jahre weiteren Dienst für Rahel auf sich.

Glanzstück ohne Fortsetzung

Der gesegnete Jaakob ist im großen Herden- und Weidebetrieb des Onkels teils Befehlsempfänger, teils überlegener Nebenchef, der eine Quelle entdeckt und als talentierter Kaufmann auch selbst Wohlstand gewinnt. Die wenig geliebte Lea trägt doch mit ihren sechs Söhnen zu seinem Ansehen bei, während die sehr geliebte Rahel lange auf Kinder wartet, bevor endlich Joseph seine Eltern beglückt. Die Inszenierung schließt mit der Folge "Rahel", einem Porträt ihres Liebreizes und ihrer Leiden bis zu ihrem Tod bei Benjamins Geburt.

Wer erwartet, dass im Thomas-Mann-Jubiläumsjahr 2025 der Reihe episodischer Vorgeschichten die unwiderstehliche Lebensgeschichte Josephs folgt, wird enttäuscht: Diese wird im SWR nicht mehr inszeniert. Warum dieses Versäumnis? Manfred Hess, Hermann Kretzschmar, Ulrich Lampen und dem Ensemble der Sprecher ist mit den "Geschichten Jaakobs" ein großartiger Wurf geglückt. Dem Glanzstück fehlt die Fortsetzung.

infobox: "Die Geschichten Jaakobs", siebenteilige Hörspielreihe nach Thomas Manns "Josephsroman", Band 1, Bearbeitung: Manfred Hess, Komposition: Hermann Kretzschmar, Regie: Ulrich Lampen, Produktion: SWR (SWR2, 1.12.24, 0.15 Uhr, 7.12., 23.03 Uhr, 14.12., 23.03 Uhr, 21.12., 23.03 Uhr, 29.12., 0.03 Uhr, 4.1.2025, 0.15 Uhr, 5.1., 0.15 Uhr sowie in der ARD-Audiothek)



Zuerst veröffentlicht 03.01.2025 11:15

Eva-Maria Lenz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik (Radio), KSWR, Lenz

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