Unterhaltung mit Haltung - epd medien

05.01.2025 13:10

Die moderat kritische ARD-Dokumentation "Udo!" bilanziert Leben und Werk von Udo Jürgens, fühlt sich dabei aber an wie ein Imagefilm, meint Manfred Riepe.

Die TV-Dokumentation "Udo!" hält sich mit kritischen Tönen zurück

epd Ein Schlagersänger war er, und zwar einer der populärsten im deutschsprachigen Raum. Mehr als 100 Millionen Tonträger verkaufte er. Dabei aber blieb er sich auf bemerkenswerte Weise treu. Ein Lied von Udo Jürgens, egal welches seiner über tausend Kompositionen, erkennt man meist schon nach zwei, drei Takten. Angesichts seines zehnten Todestages ehrt die ARD ihn neben einem Themenabend mit einer Dokumentation über Leben und Werk des großen Unterhaltungskünstlers: Wie soll man in knapp 60 Minuten einem solchen Sänger gerecht werden, der bereits 1966 den Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne gewann und fast 60 Jahre im Rampenlicht stand?

Aufhänger für David Kunac und Sebastian Dehnhardt ist ein Dachbodenfund. Unveröffentlichte Filmdokumente zeigen den schlacksigen Sänger als jungen Mann. Diese flackernden, farbstichigen Bilder schlagen eine Brücke zurück in die 1960er und 1970er Jahre. Die Biographie, die die beiden Dokumentaristen um diese Bilder anordnen, ist eigentlich mehr oder weniger bekannt aus früheren Dokumentationen - und aus dem zweiteiligen Biopic "Der Mann mit dem Fagott" aus dem Jahr 2011, in dem Udo Jürgens noch selbst auftrat.

Künstler im Dauerstress

Um diese mehr oder weniger bekannten biographischen Fakten in einer anderen Tonlage neu zu vermitteln, kommt unter anderem Udo Jürgens' Bruder Manfred Bockelmann zu Wort. Dessen emotionale Schilderungen zeichnen das Bild eines rastlosen Künstlers im Dauerstress, der jedoch abseits des Rampenlichts überaus sensibel war und von permanenten Selbstzweifeln geplagt wurde. Das öffentliche Bild war indessen völlig anders: Jürgens galt stets als Gentleman der Liedkunst, dessen gepflegte Kleidung eine respektvolle Haltung gegenüber dem Publikum unterstrich.

Die Dokumentation wagt schon einige Blicke hinter die Fassade dieses Saubermann-Images. Seine erste Ehefrau Erika Meier sowie deren beide Kinder Jenny und John berichten von einem Musiker, der das Leben eines hedonistischen, von zahllosen Groupies belagerten Popstars auf Knopfdruck mit dem disziplinierten Tagesablauf eines bürgerlichen Familienvaters unter einen Hut zu bringen versuchte. "Es ist leicht, treu zu sein, wenn du nicht begehrt bist", soll er einmal als Entschuldigung für seine erotischen Eskapaden gesagt haben. Dieser Lebenswandel wird von einem französischen Promotion-Film aus dem Jahr 1968 unterstrichen, in dem zu sehen ist, wie Udo Jürgens mit der Chansonnière Françoise Hardy über eine Wiese schlendert, um dann mit ihr im Bett zu landen.

Im Rückblick wirkt das jedoch nostalgisch und charmant. Erfreulicherweise wird Udo Jürgens aber nicht nur gefeiert in dieser Dokumentation. Er wird gezeigt als Mensch mit Ecken und Kanten. Er war eben auch ein Produkt seiner Zeit, führte in den 1970er Jahren eine, wie es im progressiven Jargon heißt, "offene Patchwork-Beziehung". Und profitierte als einziger davon, wie seine Familienmitglieder leicht grummelnd anmerken.

Ein wenig schal

Am blank polierten Image des Ausnahmekünstlers, der U- und E-Musik mühelos miteinander verband - ja, der sogar eine Art Sinfonie komponierte, aufgeführt vom Maestro Herbert von Karajan -, rüttelt der Film allerdings nicht wirklich. Dabei sind jene ohrwurmartigen Liedtexte - deren Autoren immerhin zu Wort kommen - nicht alle gut gealtert. Der "griechische Wein" schmeckt schon ein wenig schal. Seine Konsum- und Gesellschaftskritik mit dem Anspruch, "Unterhaltung mit Haltung" zu präsentieren, kam schon mit dem erhobenen Zeigefinger daher.

Udo Jürgens verstand es, jenen Apparat zu bedienen, den er zu kritisieren vorgab. Eine TV-Dokumentation, die diese Ambivalenz in den Blick nähme, hätte auch eine gewisse Selbstkritik am Medium einbeziehen müssen. Denn von der Popularität des Schlagerstars profitierte ja auch der Medienbetrieb selbst: Eine Win-Win-Situation. Doch mit Kritik an der Verwertungslogik jenes Fernsehens, das - wie zahlreiche Ausschnitte aus prominenten TV-Formaten verdeutlichen - dem Sänger stets eine Bühne bot, halten Kunac und Dehnhardt sich vornehm zurück. Unter anderem aus diesem Grund fühlt "Udo!", eine von BR und NDR verantwortete Dokumentation, sich trotz moderat kritischer Ansätze schon eher wie ein verkappter Imagefilm an als wie eine Dokumentation, die zehn Jahre nach dem Tod des Künstlers eine Bilanz über Leben und Werk ziehen würde. Griechischer Wein in neuen Schläuchen.

infobox: "Udo!", Dokumentation, Regie und Buch: David Kunac, Sebastian Dehnhardt, Kamera: Tobias Corts, Florian Epple, Dominik Boros, Produktion: Final Frame/Constantin (ARD/BR/NDR, 23.12.24, 22.35-23.30 Uhr und bis 21.12.29 in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 05.01.2025 14:10 Letzte Änderung: 05.01.2025 23:27

Manfred Riepe

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Riepe, Jürgens, Dokumentation, NEU

zur Startseite von epd medien