06.01.2025 16:03
epd Die DDR war grau und piefig? Nicht im legendären Ost-Berliner Friedrichstadt-Palast, wo Abend für Abend der Sozialismus mit den Mitteln des Glamours verteidigt wurde. Hier, wo große Tanzrevuen ein internationales Publikum anzogen, erlaubte sich der Arbeiter-und-Bauern-Staat, der seine Bürger einsperrte, die Fiktion von freiheitlicher Weltläufigkeit. Die Tänzerinnen und Tänzer des Friedrichstadt-Palasts waren besondere Werktätige, sie wirkten zur höheren Weihe des real existierenden Sozialismus.
Tanz ist politisch, Unterhaltung ist politisch. Das lässt sich an der chinesischen Erneuerung des Balletts zu Zeiten Maos genauso erkennen wie an der Hochschätzung des klassischen Balletts durch russische Präsidenten bis zu Putin. Kunst, die dient, ist keine, mögen viele einwenden. Die westlichen Zuschauer im Revuetheater Erich Honeckers waren auch Devisenbringer. Die Tänzerinnen der spektakulären "Girlreihe" mit ihrem austauschbaren Phänotyp standen für ein Ideal der gleichförmigen Bewegungen, das nicht auf persönlichen Ausdruck, sondern auf exaktes technisches Funktionieren setzt.
Das Potenzial der deutsch-deutschen Geschichte wurde in Harmlosigkeit vertändelt.
Von einer TV-Serie, die sich den Friedrichstadt-Palast zu historischen Umbruchzeiten als Thema und Bezug vornimmt, kann man viel erwarten. Wer jedoch zu viel erwartet, kann herbe enttäuscht werden. Ende 2021 wurde die erste Staffel von "Der Palast" in der ZDF-Mediathek veröffentlicht, Anfang 2022 folgte die lineare Ausstrahlung im ZDF. Nun gibt es eine Fortsetzung.
Als dramatischen Aufhänger hatte sich das Drehbuch von Rodica Doehnert für die erste Staffel eine Doppelgänger-Geschichte vorgenommen. Die Zwillinge Marlene und Christine (beide Svenja Jung) sind 1961 als Babys getrennt worden, als der Vater eine von beiden nach West-Berlin entführte. 27 Jahre später, ein Jahr vor dem Fall der Mauer, treffen sich die beiden Frauen und beginnen nach kurz gehaltenem Schockmoment der Wiedervereinigung, ein Bäumchen-wechsel-dich-Spiel. Marlene, eigentlich Juniorchefin eines kapitalistischen Betriebs in Bamberg, tanzt bald in der Girlreihe, Christine beeinflusst das Unternehmensgeschick.
Das Potenzial der deutsch-deutschen Geschichte wurde durchweg in Harmlosigkeit vertändelt. Eine Harmlosigkeit, die weder besonders unterhaltsam noch besonders glamourös war. Einzig Daniel Donskoy als britischer Gast-Choreograph Steven Williams sorgte vorübergehend für Klasse - denn tanzen kann er auch.
In der Fortsetzung "Der Palast 2" gibt es leider keinen Daniel Donskoy mehr, der die Show balletttechnisch rausreißt. Stattdessen setzt man nun auf Street-Dance. Die Girlreihe feiert fröhliche Urständ. Vom anstrengenden Basis-Balletttraining und der choreographischen Arbeit sieht man dieses Mal noch weniger. Weil Tanzdoubles zu teuer waren? Weil die "Erweiterung des Kulturbegriffs", die die "Hochkultur" im Fernsehen scheut wie der Teufel das Weihwasser, nun auch als "Demokratisierung von Spitzenleistung" den TV-Revuetanz nivelliert?
Jedenfalls sehen die Tanzszenen in "Der Palast 2" und der frenetische Applaus später (anfangs tanzt man als DDR-Auslaufmodell vor leeren Rängen) bisweilen so aus wie Schülervorspiele in der Musikschule, wo jeder, der ein Instrument halten kann, von Eltern zur Ermutigung unglaublich gefeiert wird.
Im Zentrum der Fortsetzung, wieder von den gleichen Leuten hinter und an der Kamera, steht ohnehin anderes als Tanzen als Symbol und Metapher. Wieder sollen die politische Zeitgeschichte und die "Palast"-Geschichte parallel geführt werden, allein, es scheint das Vermögen (im doppelten Wortsinn) zu fehlen. Wir schreiben das Jahr 1990. Die Bürger machen sich auf nach Westen.
Auch Christine und Marlene sind Vergangenheit. Eine neue Generation tritt an, die Bühne zu erobern. Drei junge Menschen reisen zum Casting: Luise und Lukas Jansen (Lary Müller und Lukas Brandl), ein Geschwisterpaar aus der DDR-Provinz, das mit dem Ruf des Palasts aufgewachsen ist, sowie Karla (Taynara Silva-Wolf), eine forsche junge Frau aus dem Westen. Die noch nicht vollendete Wiedervereinigung steht als Menetekel über allem. Von der "alten Garde" sind Regina Feldmann (Jeanette Hain), die Choreografin, sowie Maskenbildner Bernd (Matthias Matschke) und Kostümbildner Theo (Bernd Moss), die ewig Kabbelnden, übriggeblieben. Kantinenfee Uschi (Petra Kleinert) bekommt es als Erste mit den neuen Westbräuchen zu tun, in der Person des neuen Intendanten Gerd Kolberg (Benno Fürmann als Kotzbrocken), natürlich ein Wessi.
Der Ausverkauf des Ostens hat begonnen. Die Kulturpolitik hält den Revue-Tanz nicht für "schützenswertes Kulturgut", DDR-Biografien und -Träume sind nichts mehr wert. Aus dem "Palast" soll ein Casino mit Feinschmeckertempel und Beinezeigen werden, eine Art Las Vegas für Arme. Uschi tritt in Streik, der Intendant flieht nach vermurkster Premiere. Draußen besetzen junge Leute die leerstehenden Häuser, machen sie wieder bewohnbar, unterstützt von den DDR-Urgesteinen Martha (Jutta Wachowiak) und Erwin (Axel Werner), sowie vom jungen Ringo (Luis Santiago Klier), Nachwuchskapitalist mit Herz.
Die Immobilienspekulanten kommen, Liebeshändel bahnen sich an, Lukas fängt etwas mit einer deutlich älteren Frau an, alle folgen ihren Gefühlen. Die erste Berliner Loveparade wird mit nostalgischem Blick (und einigen dokumentarischen Bildern) bedacht.
Der Cast ist um einiges größer als hier beschrieben. Augenscheinlich soll auch "Der Palast 2" ein größerer Wurf sein, als es die Mittel erlauben. Als Zeitpanorama streift die Produktion zu viele Themen zu oberflächlich. Die Geschichte des Friedrichstadt-Palasts gerät aus dem Fokus. Die Charaktere sind, bis auf Chefchoreografin Jeanette Hain, oberflächlich und kaum mehr als illustrierend. Die Schauwerte, auf die es bei solcher "Unterhaltung mit zeithistorischem Mehrwert" ja wohl ankommt, wirken bescheiden. Die Liebesgeschichte zwischen dem jungen Mann und der älteren Frau wird im Kitsch verzuckert. Man wünschte sich, dass in den Trainingsszenen nur ein einziges Mal glaubwürdige Schweißtropfen zu sehen wären.
Von der Ausdrucksperformance zu schweigen. Behauptet wird, dass mit solcher Streetcredibility-Tanzkunst am Ende die Bude wieder voll ist. Durch das Zusammenwirken von Herzblut, Authentizität und Qualität. Nicht immer freilich ergibt eins das andere. Was hier zu sehen ist.
infobox: "Der Palast 2", Fernsehserie, zweite sechsteilige Staffel, Regie: Uli Edel, Buch: Rodica Doehnert, Kamera: Hannes Hubach, Produktion: Moovie GmbH, Constantin Film (ZDF-Mediathek seit 19.12.24, ZDF, 6.1.25, 20.15-21.45 Uhr, 7.1.25, 20.15-21.45 Uhr, 8.1.25, 20.15-21.45 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 06.01.2025 17:03
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Serie, Edel, Doehnert, Hupertz
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