Bedrohliche Zukunftsvision - epd medien

10.01.2025 15:50

Auf der Suche nach einer guten Geschichte sucht eine Journalistin in dem Hörspiel "Echokammer" hoch oben im Gebirge den Gletscherforscher Frank Oberland auf. Doch bald wird klar, dass sich Oberland nicht nur für die Natur interessiert und dass die kalte Höhenluft auch für atmosphärische Veränderungen im Diskussionsklima steht.

epd Etwas ist passiert. War es ein Unfall? Ein Verbrechen? Mit einem Zwiegespräch, das alle Anzeichen eines Verhörs trägt, aber auch ein gewisses Einvernehmen zwischen den Beteiligten spüren lässt, beginnt das Hörspiel "Echokammer". Im Wechsel zwischen dem "Verhör" jetzt und Szenen von damals wohnen wir einem Geschehen bei, das harmlos beginnt, aber zunehmend an Brisanz gewinnt. Ort der Handlung, die in immer wieder neuen Rückblenden aufgerollt wird, ist eine Hütte hoch oben in einer Gletscherregion. Dort also, wo die Zivilisation endet, der Mensch mit all seinen Gewohnheiten aufs Elementare schrumpft und ein Leben führt, das von den Gegebenheiten der Natur geprägt ist.

Hierher führt es die Journalistin Inge auf ihrer Suche nach einer guten Story. Sie hat gehört, dass es in dieser Gegend Dohlen gebe, die "sprechen" können. Sie imitieren nicht nur Geräusche, sondern auch Stimmen. So nimmt sie den strapaziösen Weg nach oben in Kauf, um sich von ihrem Gastgeber, dem Gletscherforscher Frank Oberland, in die Geheimnisse der tierischen Kommunikation einweihen zu lassen.

Donnerbalken über dem Abgrund

Sie taucht ein in eine Welt der Bedürfnislosigkeit, in der es erst einmal gilt, sich mit der dünnen Luft, dem fehlenden Strom und dem vorgefundenen Klo abzufinden, einem Donnerbalken hoch über dem Abgrund.

Beim Anhören der Vogelstimmen ist sie elektrisiert, die Laute klingen "irgendwie unheimlich". Welche Geschichten erzählen die Vögel? Schöne, phantastische, bedrohliche? Bis in die Träume verfolgen sie die Stimmen. Bei ihrem Gegenüber, das ihre Interpretationen als Ausgeburt kruder Einbildungen abtut, stößt sie jedoch auf brüske Ablehnung.

Zwei Welten stehen sich hier gegenüber: Inge, die Besucherin, die mit ihren Vorstellungen "von unten" kommt, und Frank, von Inge als "sympathisch, aber ein bisschen kauzig" beschrieben, der sich ganz den Gesetzen der Natur verschrieben und sein Leben danach eingerichtet hat. In ihren Gesprächen spitzt sich dieser Gegensatz zu, wird grundsätzlich, politisch. Ein Handlungsmodell tut sich auf.

Gletscherschmelze

Frank - später erfährt man, dass er auch Begründer einer Naturschutzpartei ist - ist einer jener Typen, die sich mit ihrem Forscherdasein nicht begnügen wollen. Er zielt auf das Ganze, auf eine Veränderung der Gesellschaft, notfalls mit Gewalt: "Vielleicht muss ganz viel kaputt gehen, bevor etwas Neues entstehen kann." Die Natur mit ihren Selbstheilungskräften ist ihm Vorbild.

Die Natur habe Vorkehrungen getroffen, mit der verhängnisvollen Gletscherschmelze zurechtzukommen, sagt Frank, nicht aber der Mensch, der seine individuellen Bedürfnisse über alles stelle und in seinem Wachstumsstreben zerstörerisch sei: "Kooperation, Solidarität - die Natur kriegt das besser hin als wir." Die Demokratie habe ausgedient, weil sie das wirtschaftliche Wachstum fördert.

Die Lawine

Die Spannung steigt, als ein weiterer Besucher den Raum betritt. Ein Freund? Ein Kollege? Ein politischer Gegner? Nachfragen wischt Frank, der mehr weiß, als er zugeben will, beiseite. Das herrische Auftreten des Gastes brüskiert Inge, ebenso dessen Ansicht, man müsse "wieder lernen, Entscheidungen zu treffen, die dem moralischen Empfinden zuwiderlaufen". Mit einem solchen Menschen soll sie unter einem Dach sein?

Da kommt ihr eine nach einem Wetterumschlag auf die Hütte zustürzende Lawine zu Hilfe. Inge und Frank haben drinnen rechtzeitig Schutz gesucht, der Ankömmling, der gerade seinen Hund nach draußen geführt hat, will in letzter Minute hinein. Inge sieht ihre Chance gekommen und verwehrt ihm den Einlass, sodass er von den herabstürzenden Schneemassen zermalmt wird. Eine Befreiungstat? Ein Verbrechen? Das Verhör lässt die Frage offen.

Kein Platz für Andersdenkende

Vier Jahre später: Nach einem plötzlichen Stimmenzuwachs ist die von Frank Oberland gegründete Naturschutzpartei der ideale Koalitionspartner der rechtsextremen Nationaldemokraten, denen einst der von Inge in den Lawinentod beförderte geheimnisvolle Hüttengast angehörte. Von einer "Brandmauer" ist die Rede, die durchbrochen worden sei. Grund genug für Inge, das Land zu verlassen. Auf nach Kanada, wo es, wie Frank ihr zuvor dargelegt hat, "noch ziemlich europäisch" zugehe.

Das Stück endet mit einer so finsteren wie bedrohlichen Zukunftsvision, einer gleichsam Orwellschen Welt, in der es nur für Gleichgesinnte Platz gibt und Andersdenkende das Weite suchen müssen.

Das Hörspiel des deutschen Theaterautors David Lindemann ist dicht und mit vielen Spannungsmomenten erzählt, ein deutlicher Fingerzeig auf unsere Gegenwart: Es spielt in Österreich, noch bevor dort der FPÖ-Vorsitzende Herbert Kickl mit der Regierungsbildung beauftragt wurde. Überzeugend die Protagonisten in ihrem Zusammenspiel, geglückt auch die gestaffelte Raumakustik, die mitten hinein ins Geschehen führt. Hölzern wirken die Dialoge allerdings da, wo es um Politisches geht. Neben dem im Schwebezustand gehaltenen Krimimotiv müssen die Naturgewalten die Dramatik des Geschehens versinnbildlichen. Das Heulen des Sturms tut das Seine, uns die bedrohliche Welt vor Ohren zu führen, die sich hier auftut.

infobox: "Echokammer", Hörspiel, Regie und Buch: David Lindemann (Deutschlandfunk Kultur, 8.1.25, 22.03-23.00 Uhr und in derARD-Audiothek)



Zuerst veröffentlicht 10.01.2025 16:50

Christian Deutschmann

Schlagworte: Medien, Kritik, Radio, Kritik.(Radio), Hörspiel, KDLF Kultur, Lindemann, Deutschmann

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