14.01.2025 09:10
epd Wird die Personenschützerin Helen Schilling (Svenja Jung) vom Bundeskriminalamt ihrer lang ersehnten Schwangerschaft ein Ende bereiten und das Kind abtreiben lassen? Wird der sinistre Humangenetiker und Reproduktionsmediziner Wöllner aus Norwegen (Samuel Finzi) sie mit seinen Schergen, die aussehenden wie Mitglieder einer Rockergang, überwältigen können? Und wen oder was wird Helen Schilling am Ende gebären? Eine Chimäre? Ein ungewolltes Wunderkind? In ihren Augen ist der Embryo, entstanden aus verbotenem Eingriff in die Schöpfung, sein Werk.
Der Medizin- und Wirtschaftsthriller "Helix", der Helen zur Schnittstelle der aktuellen Debatten um Genmanipulation macht, zieht die Grenze des Wünschenswerten im Machbaren ungefähr dort, wo sie auch das eher restriktive deutsche Recht zieht. Heilen ja, alles andere nein. Es geht in "Helix" um Fragen der Ethik, beispielhaft gemacht am Genscheren-Verfahren CRISPR-Cas9, das hier auch mit bewegten Grafiken ins Bild gebracht wird.
Ein Verfahren für die Zukunft, das einerseits als Segen betrachtet werden kann. Mit ihm ist es möglich, Gene aus der DNA-Sequenz "auszuschneiden", zu ersetzen und so Erbkrankheiten zu eliminieren. Tödlich verlaufende Krankheiten wie Chorea Huntington, früher "Veitstanz" genannt. Jene Krankheit, die im Erbgut von Helen und ihrer Schwester Paula (Marie Bloching) enthalten ist. Die bei Paulas kleinem Sohn schon ausgebrochen ist, auch wenn er erst ein wenig stolpert. Der Verlauf wird gnadenlos sein.
Helen und ihr Mann Cem (Ugur Kaya), Inhaber einer Kampfkunstschule, der, wie Helen ihm einmal vorwirft, früher den Anabolika zugeneigt war, haben aus Angst bisher trotz sehnlichem Kinderwunsch auf Nachwuchs verzichtet. Cem, der Machbarkeitsfreund, will unbedingt die genverändernde Behandlung in Wöllners Klinik in Oslo. Helen zögert, vor allem, als sie vor Ort die Fotos all der kleinen "gezüchteten" Genies sieht. Darunter Olympiateilnehmer, Starpianisten, Superintelligente. Hier, und nicht nur hier, wird der Film mit seinen "Near-Future"-Szenarien ungenau bis zur Absurdität. Welche Gene sind für Begabung zuständig? Wo in der Doppelhelix der DNA sitzen bitte Kreativität und künstlerische Begabung?
Im Showdown gegen Ende wird Helen in einem leerstehenden Schwimmbad angegriffen, einem typischem Lost Place, und von Cem gerettet. In das Schwimmbad gelockt wurde sie von Ed Deaver (Benny O. Arthur). Dieses Computergenie hat alle Personen in diesem Film überwacht und sämtliche Schauplätze von einem Wohnwagen aus im Blick gehabt. Deaver hat auch Helens Schwester Paula zum Einbruch beim Saatgut- und Pflanzengenveränderungskonzern "Goodcrop" animiert und im Hintergrund scheinbar die Fäden gezogen. Aber ein anderer macht ihm einen Strich durch die Rechnung.
Für "Helix" hat Drehbuchautor Jörg Tensing die fast 700 Seiten dicke Bestsellervorlage von Marc Elsberg auf 90 Minuten eingedampft. In Elsbergs Buch geht es in mehreren Handlungssträngen rund um die Welt um das Thema CRISPR-Cas9 beziehungsweise: Chancen und Risiken der Genetik. Es geht um Humanmedizin und das Frankenstein-Motiv, es geht um das Problem der Bekämpfung des Hungers im globalen Süden. Das Buch beginnt mit der Ermordung des US-Außenministers und ist mit der Entdeckung neu geschaffener Pflanzen in Brasilien lange nicht vorbei.
Die Handlung ist für den Fernsehfilm wenig plausibel zusammengekürzt worden, aber Svenja Jung kämpft sich als Superwoman mit geradezu übermenschlichen Kräften da durch. Im Fernsehfilm wird eingangs der deutsche Wirtschafts- und Umweltminister Richard Bauer (Hannes Jaenicke) bei einer Pressekonferenz durch eine raffinierte Virusattacke ermordet, flugs tritt die Staatssekretärin an seinen Platz, die der Gentechnik aufgeschlossener gegenübersteht. Helen, die für den Schutz des Ministers verantwortlich war, wird Teil des Polizei-Ermittlungsteams. Ihre Vorgesetzte, die früher selbst Humangenetikerin war, ist seltsam misstrauisch und präsentiert später eine Geschichte von Mobbing unter Wissenschaftlern. Der Mord an dem Politiker wird am Schluss eher nebenbei aufgeklärt.
"Helix" kreist für einen Thriller zu sehr um die Fragen: "Baby - ja oder nein? Und um welchen Preis?" Mehr Familiendrama als Wissenschaftsthriller, eher emotional aufgebläht als der Logik verpflichtet, ist der Fernsehfilm auch ästhetisch eher rückschrittlich. Der komplexe Stoff hätte sich wohl eher für eine Serie geeignet. Als ernsthafter Near-Future-Beitrag ist "Helix" eine Mogelpackung, als Familiengeschichte unglaubwürdig und als Genrestück reichlich plakativ.
infobox: "Helix", Fernsehfilm, Regie: Elmar Fischer, Buch: Jörg Tensing nach dem Thriller von Marc Elsberg, Kamera: Bjørn Haneld, Produktion: Near Future Films (ARD-Mediathek/WDR, seit 1.1.25, ARD, 8.1.25, 20.15-21.45 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 14.01.2025 10:10
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KWDR, Fernsehefilm, Fischer, Tensing, Elsberg
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