Ganz schnell reich oder alles Lüge? - epd medien

15.01.2025 08:25

Seit einigen Jahren boomen in Sozialen Medien die Angebote von "Finfluencern" - das sind Influencer, die ihren Followerinnen Tipps zu Finanzthemen anbieten. Wer den Ratschlägen ohne Gegenrecherche folgt, setzt sich allerdings oft der Gefahr aus, finanzielle Verluste zu erleiden. Cornelia Holsten und Jana Praßke von der Bremischen Landesmedienanstalt (Brema) beleuchten in ihrem Gastbeitrag das Phänomen "Finfluencing", stellen Risiken dar und diskutieren Regulierungsoptionen. Die Juristin Holsten ist Direktorin der Brema, die Medienwissenschaftlerin Praßke ist Referentin für Medienaufsicht bei der Landesmedienanstalt.

Über das Phänomen "Finfluencing"

Manche Influencer verdienen ihr Geld mit Finanztipps

epd Stellen Sie sich vor, ein Fremder spricht Sie auf der Straße an und erzählt von hohen Renditen und einzigartigen Chancen. Würden Sie der Person vertrauen und in eine unbekannte Geldanlage investieren? Oder eine Immobilie kaufen, die Sie nicht besichtigt haben ? Wahrscheinlich nicht. Aber wer ist schon sicher davor geschützt, nicht doch einmal auf die Verlockung des schnellen Reichtums einzugehen? Das menschliche Grundbedürfnis nach Sicherheit umfasst häufig auch den Wunsch nach einer sicheren finanziellen Zukunft, einem "Ausgesorgt-Haben".

Parallel dazu erleben wir angesichts von Pandemien und Kriegen eine zunehmend schlechtere wirtschaftliche Lage. Vielleicht gerade deswegen boomen seit ein paar Jahren auf Social Media Angebote von sogenannten Finfluencerinnen, die in meist knackig geschnittenen Videos über Finanzthemen sprechen und ihren Follower:innen "ganz im Vertrauen" Investitionsempfehlungen geben. Einige bieten auch kostenpflichtige Online-Coachings für den schnellen Reichtum an. Viele Menschen nehmen solche mitunter gefährlichen Ratschläge und Angebote von Finfluencern an, ohne sich umfassend zu informieren, finanzielle Verluste sind oftmals die Folge.

Primäre Zielgruppe: Unter 30-Jährige

So soll es nach Recherchen von "NDR" und "Spiegel" den Followerinnen des großen Finfluencers "Immo-Tommy" ergangen sein. Sie kauften bei ihm eine Wohnung, die sie nicht besichtigt hatten, und erfuhren dann bei der Vertragsunterschrift von marktunüblich hohen Summen, die sie direkt an "Immo-Tommy" zahlten. Wofür genau, war nicht festgehalten.

Während der Corona-Pandemie erlebte der Aktienmarkt bei Anlegerinnen und Anlegern unter 39 Jahren einen Boom. 2017 gab es 905.000 junge Anleger, drei Jahre später waren es 4,1 Millionen. Parallel zu dieser Entwicklung ist die Zahl von Finfluencern auf Plattformen wie Instagram, Youtube und Tiktok rasant gestiegen. Besonders die Millennials und die Gen Z, die im digitalen Zeitalter aufgewachsen sind, suchen zunehmend online nach Finanzinformationen. Was sie umtreibt, sind neben Zukunftsängsten hinsichtlich der Rentenentwicklung auch Themen wie Altersvorsorge und der Wunsch nach finanzieller Freiheit, um ein flexibles Leben führen zu können. Diese Sorgen und Wünsche greifen Finfluencer auf.

Mit einfachen Erklärungen zu Finanzthemen und scheinbar mühelosen Wegen zum Reichtum ziehen sie Millionen von Followerinnen an. Gegenstand kann der Aktien- und Immobilienmarkt sein, der Handel mit Kryptowährungen und viele weitere, teils hochriskante Anlageoptionen. Das Wissen der Finfluencer ist nicht immer fundiert. Viele verfügen über keine formale Ausbildung im Finanzwesen. Bei einer einfachen Erklärung, welche Geldanlagen es gibt oder was eine Aktie ist, ist das auch kein Problem.

Drei Klicks genügen

Riskant wird es, wenn Finfluencerinnen bestimmte Produkte oder Anlagestrategien empfehlen, weil sie selbst wirtschaftlich davon profitieren. Auf diesen - unseriösen - Part des Finfluencings beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen. Denn oft geht es nicht um langfristige Investitionen oder den Aufbau eines zusätzlichen Rentenbausteins, sondern um "Finanzielle Freiheit", "Copy Trading", "Raus aus dem Hamsterrad" und "in kurzer Zeit, sehr, sehr reich werden".

Drei Klicks im Netz genügen, um mittendrin zu sein: Dann werden angeblich geheime Signale zum Kauf und Verkauf von Derivaten in Telegram-Gruppen verschickt, Boni und Prämien für die Werbung neuer Kunden bei Neo-Brokern eingesteckt, digitale Seminare für die finanzielle Unabhängigkeit mit Rabatt verkauft oder besonders interessante Kryptowährungen oder "geheime Tools" angepriesen, die mit nur einem Klick hohe Gewinne bringen sollen.

Ein aktuelles Beispiel ist die Kryptowährung "Beercoin", die besonders intensiv von reichweitenstarken Influencern beworben wurde. Der Kurs stieg erst rasant an und erlebte dann einen drastischen Sturz. Von Beobachtern gibt es den Vorwurf des Insider-Handels. Oft kommt es demnach bei derartigen "Meme-Coins" zu Absprachen von Insidern, die gemeinsam ihre Anteile auf ein Signal hin verkaufen und so den Kurscrash erzeugen.

Riskantes Copy-Trading

Als besonders lukrativ wird auf Finfluencer-Accounts oft das sogenannte Copy Trading thematisiert. Die Strategie ist: Investorinnen kopieren die Handelsstrategien erfahrener Trader. Sobald diese Trader kaufen oder verkaufen, wird die gleiche Aktion automatisch im eigenen Portfolio ausgeführt. Finfluencerinnen nutzen ihre Reichweite, um ihre Follower zu ermutigen, Copy Trading zu nutzen, indem sie Erfolgsgeschichten teilen und hohe Renditen versprechen. Sie bewerben oft bestimmte Trader, deren Strategien angeblich besonders profitabel sind.

Was meist nicht erwähnt wird, ist das hohe Risiko dieser Vorgehensweise. Große Trader lassen ihre Investitionen oft weiterlaufen, auch wenn sie zunächst Verluste machen. Um nicht verkaufen zu müssen und auf einen späteren Gewinn zu hoffen, legen sie zusätzliches Geld nach, um ihre Position zu halten und eventuelle Verluste auszugleichen. Kleinanleger, die Strategien von großen Tradern kopieren, geraten so in die Lage, ebenfalls nachinvestieren zu müssen - selbst, wenn sie es sich nicht leisten können - und riskieren dadurch noch größere Verluste. Finfluencer verschweigen häufig, dass Copy-Trading mit Risiken verbunden ist, da sie Provisionen von Copy-Trading-Plattformen für neue Nutzerinnen und Nutzer bekommen.

Lockmittel Gamification

Besonders hohe Gewinne - aber ebenso hohe Verluste - spielen auch beim Day-Trading eine große Rolle. Hier wetten Anleger darauf, dass die Kurse von Aktien im Laufe eines einzigen Tages steigen oder fallen. Finfluencer empfehlen dabei häufig, den sogenannten "Hebel" einzusetzen, was bedeutet, dass man mit geliehenem Geld handelt und so größere Summen bewegt, als man selbst besitzt. Seriöse Broker lassen ihre Anleger nicht ins Minus gehen. Problematisch wird es daher bei vermeintlichen Tipps, in denen Verluste das eingesetzte Kapital überschreiten können und hierauf nicht vorher deutlich hingewiesen wird

Ähnlich wie bei Apps setzen auch Finfluencer Elemente der sogenannten Gamification ein, um Anlegerinnen und Anleger zu gewinnen und zu motivieren. Viele bewerben Demo-Versionen von Handelsplattformen oder virtuellen Konten, die es Nutzern ermöglichen, mit "Spielgeld" zu handeln. Dies soll erleichtern, Strategien auszuprobieren und ein besseres Verständnis für den Handel zu entwickeln, ohne echtes Geld zu riskieren.

Einige Plattformen bieten Belohnungen oder Ranglisten für diejenigen an, die regelmäßig handeln oder bestimmte Handelsziele erreichen. Finfluencer nutzen diese Systeme, um ihre Followerinnen zu motivieren und sie zur Nutzung der Plattform zu ermutigen. Durch Wettbewerbe und "Challenges", die von Finfluencerinnen organisiert oder gefördert werden, können Nutzende gegen andere antreten und Preise gewinnen. Diese Art der Gamification kann das Engagement erhöhen und dazu beitragen, dass mehr Menschen aktiv handeln oder investieren. Es besteht die Gefahr, dass die spielerische Darstellung von Investitionen die wahrgenommenen Risiken verringert.

Mangelnde Transparenz

Die größte Gefahr bei unseriösen Finfluencern liegt in der mangelnden Transparenz und dem oft fehlenden Sachverstand. Während lizenzierte Finanzberater verpflichtet sind, im besten Interesse ihrer Kundschaft zu handeln, müssen sich Finfluencerinnen nicht an solche Vorschriften halten. Dies führt dazu, dass sie häufig Produkte bewerben, die ungeeignet oder sogar gefährlich sein können.

Ein weiteres Problem ist die fehlende Offenlegung von finanziellen Anreizen. Viele Finfluencerinnen werden von den Unternehmen, deren Produkte sie bewerben, bezahlt, geben dies aber nicht immer zu. So kann es passieren, dass sie aus eigenem finanziellen Interesse Produkte empfehlen, die sie selbst nicht nutzen oder verstehen.

Neben den bereits genannten Strategien nutzen unseriöse Finfluencer vor allem emotionale Tricks, um ihre Followerinnen zum Investieren zu bewegen:

Verschiedene Regulierungsoptionen

Während Finanzberaterinnen einer strengen Regulierung unterliegen, die durch Aufsichtsbehörden wie die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) überwacht wird, sind Finfluencer vergleichsweise unreguliert, jedenfalls was die Finanzaufsicht betrifft. Finanzberater haben eine formale Ausbildung und Zertifizierungen, die sicherstellen, dass sie ihre Kundinnen und Kunden fundiert und im besten Interesse beraten. Sie tragen Verantwortung für ihre Empfehlungen und haften rechtlich, wenn ihre Ratschläge zu finanziellen Verlusten führen.

Finfluencer hingegen bieten oft allgemeine, unpersönliche Ratschläge, die nicht auf die spezifischen finanziellen Bedürfnisse ihrer Follower zugeschnitten sind. Sie sind nicht verpflichtet, die Risiken ihrer Empfehlungen vollständig offenzulegen. Selbst wenn eine Schadenersatzpflicht bestehen sollte - die sich nur in seltenen Fällen nachweisen lassen wird - dürfte die Durchsetzung von Ersatzansprüchen häufig unrealistisch sein.

Die BaFin warnt regelmäßig vor den Risiken, die von irreführender Werbung durch Finfluencern ausgehen. Eine Zuständigkeit für die Überprüfung der Inhalte besteht nicht. Laut BaFin sollten Anleger besonders darauf achten, dass Werbung gekennzeichnet wird, die Risiken eines Investments beleuchtet werden, Kosten transparent dargestellt werden und Aussagen über Finanzprodukte auch durch andere Quellen überprüfbar sind.

Neue EU-Regeln geplant

Auch auf EU-Ebene gewinnt das Thema an Relevanz. Die EU plant eine Reformierung der Kleinanlegerstrategie, die auch Finfluencerinnen einschließen soll. Für diese bedeutet das, dass sie sich bald an strengere Regeln halten müssen, um den Schutz der Anlegenden zu gewährleisten. Insbesondere müssen sie transparente Informationen bereitstellen, Risikohinweise geben und ethische Standards einhalten.

Auch beim Blick in die Community-Richtlinien von Meta - für Facebook und Instagram - und Youtube wird man fündig. Bei Meta gibt es unter anderem ein Werbeverbot für einzelne Finanzmarkttransaktionen. Interessanterweise bezieht sich dieses Verbot allerdings nicht auf den Content, sondern nur auf geschaltete Werbeanzeigen. Auch bevor Werbung für Kryptowährungen geschaltet werden kann, muss ein Bewertungsprozess durchlaufen werden.

Anders ist es bei Youtube. Dort ist nach der Community-Richtlinie zu Spam, irreführenden Praktiken und Betrug beispielsweise die Behauptung verboten, dass Zuschauer schnell reich werden können. Das Gleiche gilt für Videos, in denen versprochen wird, durch ein Programm oder eine Strategie über Nacht 50.000 Euro zu verdienen. Angesichts der tatsächlich bei Youtube vorhandenen Inhalte ist indes fraglich, wie ernst die Plattform die Durchsetzung ihrer eigenen Richtlinie nimmt. Ein hoheitlicher "Anspruch" auf Durchsetzung der Youtube-Richtlinie besteht nicht.

Medienstaatsvertrag kann greifen

Allerdings gibt es durchaus Optionen der rechtlichen Regulierung. Anders als bei vielen anderen Influencing-Phänomenen kann sich hier niemand auf eine unklare Rechtslage berufen. Zum einen darf Werbung gemäß Paragraf 8 Abs. 1 Satz 3 des Medienstaatsvertrags (MStV) nicht in die Irre führen oder den Interessen der Verbraucher schaden. Dies gilt laut Paragraf 74 MStV auch für rundfunkähnliche Telemedien.

Unter bestimmten Voraussetzungen können Youtube-Videos, Tiktoks oder Reels durchaus unter diese Kategorie fallen. Verstöße gegen das Irreführungsverbot für Werbung könnten mithin von den Landesmedienanstalten geprüft und im Zweifel beanstandet oder mit einem Bußgeld geahndet werden. Ein Verstoß könnte beispielsweise dann vorliegen, wenn übertriebene oder unrealistische Renditen angepriesen werden, die angeblich durch "sichere" Investitionen oder spezielle Trading-Strategien erzielt werden können.

Ein weiteres Verbot irreführender Werbung enthalten die Paragrafen 5 ff. des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Es ist wettbewerbsrechtlich sowohl unzulässig, wesentliche Informationen zu verheimlichen, als auch durch positives Tun in die Irre zu führen, beispielsweise durch fehlerhafte oder missverständliche Aussagen über Finanzprodukte. Vor diesem Hintergrund scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die ersten unseriösen Finfluencer eine Abmahnung nebst strafbewehrter Unterlassungserklärung von Konkurrenten oder von einem Verbraucherverband erhalten.

Tendenzen der Rechtsprechung

Und es gibt erste Tendenzen der Rechtsprechung, die relevant werden könnten, wenn Finfluencer Online-Kurse anbieten. So hat beispielsweise für den Fall eines Online-Coachings das Oberlandesgericht Celle in seinem Urteil vom 29. Mai 2024 (13 U 8/24) den Vertrag für nichtig erklärt, weil das Fernunterrichtsschutzgesetz auch für Unternehmer gelte und der betreffende Coach keine Zulassung für einen Fernlehrgang hatte. Der Kunde durfte mithin den Vertrag widerrufen und bekam das Geld für die nicht in Anspruch genommenen Unterrichtsstunden erstattet.

Die Entscheidung stützte sich auf das Ziel des Gesetzes, Teilnehmende am Fernunterricht vor mangelnder Qualität zu schützen. Auch wenn diese Entscheidung nicht unmittelbar auf den Bereich des Finfluencings übertragbar ist, lässt sich doch erkennen, dass die Gerichte Verbraucherrechte im Fall jeglicher Irreführung eher stärken als schwächen.

Finfluencing ist nicht per se unseriös. Wenn über Aspekte des Finanzmarkts sachlich aufgeklärt wird, ist dies sogar zu begrüßen. Problematisch wird es, wenn Finfluencer konkrete Tipps geben, weil sie eigene wirtschaftliche Interessen verfolgen und das nicht transparent machen. Irreführung durch Finfluencerinnen hat viele Facetten, ist immer unzulässig und regulierbar.

Sie kannten dieses Phänomen vor der Lektüre dieses Artikels noch nicht? Gehen Sie doch mal kurz ins Nachbarbüro, zu den jüngeren Kolleginnen aus der Generation der Millennials oder der Generation Z. Es wird sicher mindestens eine Person geben, die eine Trading-App auf dem Smartphone installiert hat. Um sich vor den Gefahren irreführender Finfluencer zu schützen, sollten Verbraucher immer kritisch hinterfragen, wem sie ihre finanziellen Entscheidungen anvertrauen, und eine gründliche Hintergrundrecherche vornehmen. Denn Sie würden ja schließlich von einem Fremden auf der Straße auch keine Immobilie kaufen, die Sie nicht besichtigt haben.



Zuerst veröffentlicht 15.01.2025 09:25 Letzte Änderung: 15.01.2025 10:29

Cornelia Holsten und Jana Praßke

Schlagworte: Medien, Brema, Holsten, Praßke, Medienaufsicht, Internet, Influencer, Finfluencer, NEU

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