15.01.2025 10:36
epd Als Slapstick-Schurke Uwe Mittig gehörte Vincent Redetzki zu den heimlichen Stars der Netflix-Serie "Kleo" mit Jella Haase als ehemaliger Stasi-Killerin auf Rachefeldzug. Wer den Schauspieler noch in dieser Rolle in Erinnerung hat - mit seinen Tarantino-haften Gewaltausbrüchen und im Kontext eines grellbunten Plots, der dem anarchischen Motto folgte "Dies ist eine wahre Geschichte. Nichts davon ist wirklich passiert." -, der muss sich bei "Levi Strauss und der Stoff der Träume" erst einmal gehörig umstellen. Dort verkörpert Redetzki die historische Figur des titelgebenden Kurzwaren- und Textilienhändlers, der im 19. Jahrhundert als Auswanderer aus Oberfranken in die USA kam und dort zusammen mit einem Geschäftspartner die Jeans erfand.
Rechtschaffen, asketisch, ehrgeizig wären Adjektive, die den Charakter von Levi Strauss beschreiben könnten - zumindest in dem Porträt, das Regisseurin und Co-Autorin Neele Leana Vollmar von ihm zeichnet. Der Filmhandlung hat sie die Einordnung "Frei nach wahren Begebenheiten" vorangestellt, hält sich aber weitgehend an die verbürgten Fakten. Dazu gehört, dass dem lettischen Schneider Jacob Davis (Anton von Lucke) als dem eigentlichen Entwickler der robusten Arbeitshose mit verstärkten Nähten und Nieten gebührend Raum gewährt wird. Dass die beiden jüdischen Emigranten einander schon, wie in der Auftaktepisode geschildert, an Bord des Dampfers bei der Atlantik-Überquerung begegneten, dürfte dagegen eine dramaturgische Erfindung sein.
Ästhetisch erfüllt der mit vier mal 45 Minuten Laufzeit recht schlanke Mehrteiler alle Anforderungen an ein Degeto-Histotainment-Event: Immer ein bisschen zu sauber und adrett strahlen Kleidung und Ausstattung, den Kulissen sieht man allzu deutlich an, dass sie Kulissen sind, und die Landschaftsbilder der Sierra Nevada wurden pragmatisch in Südtirol und im Piemont aufgenommen. Selbst Hafenszenen in New York oder San Francisco verströmen Kammerspiel-Atmosphäre, für Schauwerte sorgen vor allem die imposanten Koteletten des Protagonisten. Ein echtes Gefühl für die Vereinigten Staaten um 1850, für Goldrausch, Sklaverei und Bürgerkriegswirren stellt sich so beim Zuschauer nicht ein.
Zu den Stärken der Miniserie gehören zwei Frauenfiguren: Amy Benkenstein verleiht Levis Schwester Fanny eine wunderbar melancholische Tiefe; die Verbundenheit der Geschwister, die in der alten Heimat gemeinsam als Hausierer über Land zogen und den grassierenden Antisemitismus zu spüren bekamen, erscheint jederzeit plausibel. Und Lea van Acken glänzt als Jacobs resolute Gattin Annie, die mit ihrem Durchhaltewillen entscheidenden Anteil am Zustandekommen der Jeans-Kooperation hat.
Etwas holzschnittartig geraten sind zwei männliche Gegenspieler: der Schutzgelderpresser J. C. Eddy (Roland Koch), der mit seinem Sohn (Alessandro Schuster) als Gehilfen San Franciscos Händler schröpft, und der Journalist und Lebemann Jude William (Golo Euler), der eben jenem Mister Eddy das Handwerk legen will. Eine homoerotische Anziehung zwischen Jude und Levi Strauss wird angedeutet, aber nicht ausbuchstabiert.
Der Unternehmer selbst bleibt, abgesehen von seinem unbändigen Wunsch, sich von seinen älteren Halbbrüdern Louis (Hannes Wegener) und Jonas (Paul Walther) und deren New Yorker Geschäft zu emanzipieren, wenig greifbar. Nachdem der Kampf um ein eingetragenes Patent für die Denim-Beinkleider endlich gewonnen ist, bietet er seinem loyalen Co-Gründer Jacob eine Villa und eine lebenslange Anstellung an, um ihm dessen Hälfte abzukaufen.
"Der Auswanderer aus Buttenheim, der nur dann seinen Seelenfrieden findet, wenn er das Zepter alleine in der Hand hält", arbeitet der Geschäftspartner da mit leichtem Tadel noch eine weitere Charakterfacette von Levi Strauss heraus: ausgeprägtes Kontrollbedürfnis. "Ja, ich fürchte, da haben Sie Recht", erwidert der Ertappte.
Am Ende der Erzählung steht dann jener PR-Stunt, der als Vorwegnahme schon am Anfang aufblitzte und der bis heute als Logo die ikonischen Hosen ziert: Zwei Pferde ziehen - Trommelwirbel! - in entgegengesetzter Richtung an einer Jeans, aber sie reißt nicht. So lässt sich "Levi Strauss und der Stoff der Träume" wohl am ehesten rezipieren: nicht als emotional aufgeladene Heldenstory, nicht als ausladendes Zeitporträt, sondern als leidlich unterhaltsame Geschichtsstunde über die Geburt eines Markenimperiums.
infobox: "Levi Strauss und der Stoff der Träume", vierteilige Dramaserie, Regie: Neele Leana Vollmar, Buch: Robert Krause und Neele Leana Vollmar nach einer Vorlage von David Marian, Kamera: Armin Dierolf, Produktion: Lieblingsfilm (ARD-Mediathek/MDR/Degeto, seit 30.12.24 , ARD, 3.1.25, 20.15-23.15 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 15.01.2025 11:36
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Luley
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