17.01.2025 08:08
Belgrad (epd). Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft den Behörden in Serbien vor, systematisch kritische Journalisten und oppositionelle Bürgerrechtler zu überwachen. Einem Amnesty-Bericht mit dem Titel "A Digital Prison" zufolge installieren die serbische Polizei und die staatliche Agentur für Sicherheit und Information (BIA) Spionagesoftware auf Handys von operativen Zielpersonen, um sie lokalisieren und überwachen zu können. Da dies ohne richterlichen Beschluss geschehe, handle es sich um eine illegale Abhörpraxis, kritisierte Amnesty.
Bekannt wurde sie im Februar 2024, als der freie Lokaljournalist Slaviša Milanov aus Dimitrovgrad nach einer scheinbar routinemäßigen Verkehrskontrolle auf eine Polizeistation gebracht wurde. Dort musste er sein Telefon am Empfang abgeben. Nach Verlassen der Polizeiwache bemerkte Slaviša Auffälligkeiten an seinem Telefon. Unter anderem waren die Daten- und Wi-Fi-Funktionen ausgeschaltet. Da er dies für mögliche Anzeichen eines Hackerangriffs hielt, bat er das IT-Sicherheitslabor von Amnesty International um eine forensische Analyse seines Telefons.
zitat: Hochgradig invasive Technologien
Die Analyse ergab, dass digitale Forensik-Technologie der israelischen Firma Cellebrite zum Entsperren seines Geräts und zur Extraktion von Daten verwendet worden war. Außerdem fanden die Experten Spuren einer bisher unbekannten Spionagesoftware, die sie "NoviSpy" nannten. Bei ihr handle es sich um ein "neuartiges, im Inland hergestelltes Android-Spyware-System", das es ermögliche, persönliche Daten zu erfassen und Mikrofon und Kamera aus der Ferne zu bedienen. "Zwei hochgradig invasive Technologien wurden kombiniert eingesetzt, um das Gerät eines unabhängigen Journalisten anzugreifen, sodass den serbischen Behörden fast sein gesamtes digitales Leben zugänglich war", heißt es dazu in dem Mitte Dezember veröffentlichten Amnesty-Bericht.
Der Bericht basiert auf 13 Interviews mit von Spionagesoftware oder anderen Formen digitaler Überwachung betroffenen Journalisten und Bürgerrechtlern sowie zwei Dutzend vom AI-Sicherheitslabor durchgeführten forensischen Handy-Analysen. Ihn zufolge bedient sich vor allem die staatliche Agentur für Sicherheit und Information (BIA) dieser Methode. Sie lade regelmäßig für sie interessante Personen zu sogenannten Interviews in ihre Niederlassungen ein. Diese müssten vor Beginn der Gespräche ihre Handy abgeben, die währenddessen mit Technologie von Cellebrite entsperrt und mit der Abhörsoftware NoviSpy bestückt würden. Anschließend sei für die serbischen Behörden der Aufenthalt des jeweiligen Handy-Besitzers jederzeit zu lokalisieren, seine Telefongespräche abzuhören und seine Sprachnachrichten lesbar.
Laut Amnesty International kommt in Serbien außer Cellebrite und NoviSpy auch die Pegasus-Spyware der israelischen NSO Group zum Einsatz. Gegenüber der serbischen Sektion des internationalen Recherchenetzwerks Balkan Insight (BIRN), die ebenfalls eine umfangreiche Recherche zur Abhörproblematik in Serbien veröffentlichte, äußerte sich das Unternehmen Cellebrite zu den Amnesty-Enthüllungen folgendermaßen: "Wenn dies tatsächlich der Fall ist, hat Serbien gegen das Abkommen verstoßen und werden wir neu bewerten, ob es sich um ein Land handelt, mit dem wir zusammenarbeiten."
Wie Radio Slobodna Evropa (RSE) berichtete, stellten Vertreter von zehn Nichtregierungsorganisationen am 24. Dezember 2024 Strafanzeige gegen unbekannte Personen bei der BIA und der Polizei wegen drei mutmaßlichen Straftaten. "Wir gehen davon aus, dass der Verdacht besteht, dass die unbefugte Erhebung personenbezogener Daten, die Entwicklung und Einführung von Computerviren sowie der unbefugte Zugriff auf einen geschützten Computer und die elektronische Datenverarbeitung begangen wurden", sagte Dušan Pokuševski vom Belgrade Center for Human Rights (BCLJP) dem Radiosender RSE.
In ihrer auf der eigenen Online-Präsenz veröffentlichten Erklärung nannte die BIA die Enthüllungen von Amnesty International "trivialen Sensationalismus". Sie sei "nicht in der Lage, die nichtssagenden Aussagen im Text zu kommentieren". Die Behörde beteuerte, sie arbeite "ausschließlich im Einklang mit den Gesetzen der Republik Serbien". Innenminister Ivica Dačić nannte die Vorwürfe von Amnesty International im Interview mit dem Fernsehsender Pink TV "unbegründet", sie seien aber auch "ein Angriff auf die Sicherheitspraktiken in Serbien". Die "erwähnten technischen Hilfsmittel", sagte der Minister, seien "eine Spende vom Westen" und würden "gesetzeskonform genutzt".
fst
Zuerst veröffentlicht 17.01.2025 09:08
Schlagworte: Medien, Serbien, Amnesty International, Pressefreiheit, fst
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