Das eigene Echo - epd medien

17.01.2025 09:52

In "Nichts ist, sagt der Weise", hat die Hörspielmacherin Ulrike Haage Texte von Mascha Kaléko neu arrangiert und vertont. Sie zeigt: Im Werk der Dichterin gibt es noch viel zu entdecken.

Die Dichterin Mascha Kaléko (1907-1975)

epd Ein dunkler Lockenkopf, darunter herausfordernd blitzende Augen und ein leicht spöttisch geschürzter Mund, bereit, funkelnde Frechheiten zu formulieren: Im kollektiven Gedächtnis ist die im Berlin der frühen 1930er Jahre berühmt gewordene Dichterin Mascha Kaléko als ewig junges Lyrikgenie gespeichert. Ihre Fangemeinde wächst bis heute stetig, ihre schnodderschnäuzigen Zeilen übers Leben und Lieben in der Großstadt, übers Sehnen und Trauern und Dichten werden bis heute verlegt, verschenkt, vertont und in Sozialen Netzwerken geteilt.

Es ist vor allem der Ton, der die Zeilen der vor 50 Jahren gestorbene Schriftstellerin bis heute zugänglich macht. Und so ist es nur folgerichtig, dass sich Ulrike Haage, eine vielseitige Klangkünstlerin, des Werks angenommen hat. Für ihr Hörspiel "Nichts ist, sagt der Weise" bettet die Pianistin, Komponistin und Hörspielautorin Kalékos Gedichte und Reportagen, Briefe und eher unbekannte Notizen aus dem Nachlass in eine musikalische Komposition mit Flügel, Harmonium, Celesta und Gesang ein.

Östliches und Westliches

Die Instrumentierung durchmisst den Raum, den auch die damalige musikalische Avantgarde aufspannte, mit sachten Anklängen an orientalischen und jiddischen Gesang und in Harmonien wie bei Béla Bartók oder Claude Débussy, der wiederum bereits Jazz integrierte. Ohne sich im rein Illustrativen zu ergehen, schimmern darin Kalékos Lebensspuren auf: ihre Emigration 1938 in die USA, später nach Israel, Östliches und Westliches, Moderne und Archaisches.

1956 kehrt Mascha Kaléko zum ersten Mal seit ihrer Emigration zurück nach Deutschland. In der Nachkriegs-Bundesrepublik findet sie eine ungebrochen große Leserschaft. Nicht zuletzt deshalb will ihr die Akademie der Künste in West-Berlin den Fontane-Preis verleihen. Doch als die Dichterin erfährt, dass der Literaturwissenschaftler und ehemalige SS-Standartenführer Hans Egon Holthusen in der Jury saß, lehnt sie ab. "Aus dieser Hand", verkündet sie, "möchte ich sowohl als Autorin als auch als Jüdin nichts entgegennehmen".

Humorvolle Liebesbriefe

An der Akademie nahm man ihr das übel, galt Holthusens Nazi-Vergangenheit den Herren doch als "Jugendsünde", Kalékos Haltung war für sie Rufmord. Für "Das Bißchen Ruhm", so die Überschrift eines ihrer Gedichte, müsse man "leise treten./ Doch pfeifst du drauf, so wirst du nie/ Gekrönt von der A-ka-de-mie".

Mit Wärme, aber auch wohldosiert mit Schalk im Nacken gelesen von Winnie Böwe, Toni Jessen, Judith Rosmair und Bernhard Schütz und hin und wieder auch gesungen von Winnie Brückner, entfalten Kalékos Zeilen nicht bloß "Gefühl", wofür eine Lyrikerin auch heute noch zuständig zu sein hat, sondern viele Nuancen: Da sind die innigen, humorvollen Liebesbriefe an ihren Mann, da ist aber auch der spirituell-philosophische Austausch mit Martin Buber über die Gemeinsamkeiten zwischen jüdischer Mystik und Zen-Buddhismus; und da sind satirisch bis melancholisch hingetupfte Notizen über die Ruinen der zerstörten Heimatstadt und die schlechte Laune der Berliner. Sie denkt nach über die Sozial- und Kulturgeschichte des New Yorker Judentums, fühlt sich isoliert nach ihrem Umzug nach Israel und betrauert ihren Mann und ihren Sohn, der mit nur 31 Jahren an Krebs stirbt.

Dichtung wird zu Musik

Haage baut daraus keine dramatische Geschichte. "Nichts ist, sagt der Weise" ist kein Bilderbogen aus den Lebensstationen Kalékos. Die ausgewählten Texte, die Stimmen, das bisweilen an Kirchenorgeln erinnernde Harmonium, die sphärische Celesta und die konzertante Heimeligkeit des Flügels schaffen vielmehr Anknüpfungspunkte, um sich immer wieder aufs Neue mit der Dichterin auseinanderzusetzen. Die Hörspielmacherin sagt, Hörspiele seien für sie "musikalisch ausgeleuchtete Gedankenländer, durch die ich außergewöhnliches Textmaterial, kluge phantasievolle Gedanken von Künstlerinnen zeigen will, die ich mir zugleich zu Verbündeten meiner eigenen künstlerischen Welt mache".

Dazu arrangiert sie die Texte mitunter dialogisch und mehrstimmig. Aus einem Lebensbogen wird so ein Kreis, eine Begegnung mit dem eigenen, verfremdeten Echo. "Auf einmal ist es wieder da, das Kind, das ich einst war", schreibt Kaléko und fragt selbst zurück: "war?" Zum Lebensende hin weiß sie, "dass ich es bin", ein Kind, "ohne Scheu Vergessenes aus dem Dunkel ziehend". Die Unvergessene hält noch genügend Stoff zum Entdecken bereit in einer wieder von Krieg und "Debatten" zerschossenen Gegenwart. Bei Haage wird das, was wir Heutigen dem Dichterinnenwort oft überstülpen wollen, das monolithisch Identitäre oder bloß Biografische, überwunden, indem es zu Musik wird: schwingend zwischen einsamem Choral und gemeinsamem Gebet.

infobox: "Nichts ist, sagt der Weise", Hörspiel nach Texten aus dem Nachlass Mascha Kalékos, Regie, Komposition, Buch und Bearbeitung: Ulrike Haage (Radio3, 19.1.25, 16.03-17.00 Uhr, ARD-Audiothek, seit 28.12.24)



Zuerst veröffentlicht 17.01.2025 10:52 Letzte Änderung: 21.01.2025 11:57

Cosima Lutz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KRBB, Hörspiel, Kaleko, Haage, Lutz, NEU

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