18.01.2025 10:20
epd Das Thema passt zum Jahreswechsel, um den herum viele Menschen gute Vorsätze fassen: Seit dem 8. Januar steht die zweite Staffel der dreiteiligen Doku-Serie "Dirty Little Secrets" in der ARD-Mediathek, die nach Antworten auf die Frage sucht, "warum wir immer weiter trinken". In der mehrfach ausgezeichneten ersten Staffel von "Dirty little secrets" (2023) war es um "Geheimnisse der Musikindustrie" gegangen. Der Anlass für die neue Staffel liegt auf der Hand: Beim Alkoholkonsum sind die Deutschen weltweit vorn dabei.
Die Doku-Serie nennt einige prägnante Zahlen: 1,6 Millionen Alkoholabhängige gebe es hierzulande und 1,4 Millionen, die Alkohol missbrauchen. In diesen Zahlen sind die vielen Menschen, die aus medizinischer Sicht "riskante Mengen" trinken, noch gar nicht enthalten.
Die Dokumentation der insgesamt fünf Autorinnen und Autoren legt einen besonderen Fokus auf Frauen, die deutlich mehr als Männer in "riskantem" Ausmaß Alkohol konsumieren. Nicht, weil sie faktisch mehr trinken, sondern weil das Risiko bei ihnen bereits bei weniger Alkohol beginnt.
Visuell und akustisch sind die drei jeweils rund 30 Minuten langen Folgen deutlich auf Mediathek-Abruf getrimmt. Julia Schweinberger, die als dezent ins Bild gesetzte Presenterin fungiert und den Kommentar spricht, macht einen Alkohol-Selbsttest im Internet und nutzt häufig Google samt Autovervollständigung als Recherche-Werkzeug. Sie gendert mit Glotisschlag, duzt das Publikum und verabschiedet es am Ende jeder Folge mit "bis gleich". Auf Englisch geführte Interviews werden untertitelt statt mit overvoice eingesprochen.
Vor allem aber setzt die Serie auf Gesichter: Hauptelement der ersten Folge ist eine aus fünf Frauen bestehende Berliner Runde. Zu ihr gehören Fernseh-Moderatorin Sarah Kuttner und die Food-Journalistin Eva Biringer. Am Tisch unterhalten sie sich darüber, wann sie zuletzt Alkohol tranken, die eine sagt am Vorabend, bei der anderen war das in den 2010er Jahren. Alle erinnern sich daran, wann sie zum ersten Mal Alkohol tranken.
Das wirkt ein bisschen wie ein gefilmter Podcast. Auch dass der schottische Suchtforscher Tim Stockwell sehr ausführlich erläutert, warum er anno 2000 die Meinung vertrat, geringe Mengen Alkohol seien gesund, und wie er dann zur gegenteiligen Ansicht gelangte, fesselt nicht sehr - auch wenn die These, geringe Mengen an Rotwein seien gesund, bis heute zirkuliert. Längst hat sich die Ansicht, dass Alkohol der Gesundheit immer schadet, durchgesetzt, das hat der Film bereits deutlich gemacht.
Fesselnder sind die beiden weiteren Folgen, "Die Alkoholflüsterer" und "Prost, Berlin!". Der Mediziner Helmut Seitz erklärt, dass es sich bei Alkohol um eine krebserregende Substanz handelt, für Frauen zumal. Es folgt Alkoholwerbung aus unterschiedlichen Epochen. Einst machte das "Bacardi-Feeling" im Fernsehen Furore. Inzwischen übernimmt das Publikum das Marketing selbst, wie Fotos zeigen, die viele von sich beim "Aperol"-Trinken machen und posten. Beim Campari-Konzern, der die Weltmarke entwickelte, mochte niemand über Alkoholprobleme sprechen.
Dass Wodka-Hersteller das in Deutschland bestehende Verbot, Alkohol in an Jugendliche gerichteten Medien zu bewerben, über Deutschrap-Videos unterlaufen, zeigt "Dirty little secrets" am Beispiel der Wodkamarke "9 Mile" und des Apache-207-Hits "Vodka".
Instruktiv waren auch Recherchen in Brüssel dazu, warum der "Beating-Cancer-Report" der Europäischen Union nach engagierten Anfängen verwässert wurde. Eine gut informierte Außenseiterin, Manuela Ripa, Abgeordnete der ÖDP, berichtet von der Lobbyarbeit, die nicht nur von Verbänden, sondern auch von einem italienischen Lega-Abgeordneten und einer ehemaligen pfälzischen Weinkönigin betrieben wurde. Die CDU-Abgeordnete Christine Schneider unterscheidet in einem Interview zwischen moderatem Genuss und schädlichem Konsum.
Jedenfalls prangen auf alkoholischen Getränken nicht die ursprünglich vorgesehenen "prominent" platzierten Warnlabel wie auf Zigarettenschachteln. Eher unscheinbare Text-Hinweise mahnen, verantwortungsvoll zu konsumieren.
Die einen sprechen von "Genussmitteln" und "Kulturgut", besonders, wenn sie Ehrentitel wie den des "Bierbotschafters" tragen, der auch bekannten Politikern wie dem Grünen Cem Özdemir verliehen wurde. Die anderen betonen, dass den gut drei Milliarden jährlichen Einnahmen aus Alkoholsteuern gesamtgesellschaftliche Folgekosten von "57 Milliarden" etwa durch Unfälle und Krankheiten gegenüberstünden. Hier wäre es gut gewesen, mehr über die Zahlen zu erfahren. Die Serie präsentiert all diese Argumente in einem flott montierten, nicht bevormundenden Mix, der sich gut konsumieren lässt - und definitiv zum verschärften Nachdenken über den eigenen Alkoholkonsum anregt.
infobox: "Dirty Little Secrets - Warum wir immer weiter trinken", dreiteilige Doku-Serie, Regie und Buch: Julia Schweinberger, Friederike Wipfler, Lennart Bedford-Strohm, Sammy Khamis, Alexander Nabert, Kamera: Christian Meckel (ARD-Mediathek/BR, seit 8.1.25)
Zuerst veröffentlicht 18.01.2025 11:20
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Streaming, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Dokumentation, Schweinberger, Wipfler, Bedford-Strohm, Khamis, Nabert, Bartels
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