24.01.2025 04:39
Berlin/Bamberg (epd). Der Politikwissenschaftler Andreas Jungherr erwartet im laufenden Bundestags-Wahlkampf eine größere Rolle der Video-Plattform Tiktok als bisher. "Gerade Tiktok hat sich im vergangenen Europawahlkampf als erfolgreiches Instrument erwiesen - vor allem für die AfD", sagte der Professor der Universität Bamberg dem Evangelischen Pressedienst (epd). Andere Parteien sollten auf der chinesischen Plattform präsent sein und der AfD nicht das Feld überlassen. Andernfalls entstehe schnell der Eindruck, dass es dort keine Gegenstimmen oder konträre Positionen gebe.
Soziale Medien sollten Jungherr zufolge in jeder Wahlkampfstrategie eine zentrale Rolle spielen. "Wenn man dort nicht stattfindet, könnte bei den Wählerinnen und Wählern der Eindruck entstehen, dass man sie nicht ernst nimmt", sagte der Experte für digitale Transformation. Plattformen wie Tiktok und Instagram ermöglichten es Wahlkämpfenden zudem, Menschen zu erreichen, die sich sonst nicht aktiv mit Politik auseinandersetzten. "Über soziale Netzwerke kann man Wählerinnen und Wähler gezielter ansprechen als mit einem großen Plakat auf der Straße", sagte Jungherr.
Niemand wählt einen Hampelmann.
Für Politikerinnen und Politiker böten soziale Medien die Möglichkeit, sich ungefilterter darzustellen. "Sich auf Plattformen wie Tiktok zu präsentieren, erfordert natürlich auch ein Umdenken der Politikerinnen und Politiker, die sonst eine viel kontrolliertere Kommunikation gewohnt sind", gibt Jungherr zu bedenken. "Mit Anzug und 'Sehr geehrte Damen und Herren' kommen Sie auf Tiktok nicht weit."
Jungherr führte das Beispiel des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) an, der auf Instagram Weihnachtslieder singt oder sein Mittagessen fotografiert. Dieser habe seine Rolle in den Sozialen Medien gefunden. Gleichzeitig warnte Jungherr davor, sich übermäßig anzubiedern oder seine Sprache zu sehr zu verstellen: "Niemand wählt einen Hampelmann."
Trotz ihrer Bedeutung können die sozialen Medien den Wahlkampf vor Ort nicht ersetzen, ist sich Jungherr sicher: "Der direkte Wählerkontakt ist und bleibt das effektivste Mobilisierungsinstrument." Es gebe jedoch Möglichkeiten, beides miteinander zu verbinden, wie die Küchentisch-Kampagne vom Bundeswirtschaftsminister und Grünen-Spitzenkandidat, Robert Habeck (Grüne), zeige. "Indem diese Besuche auch auf den digitalen Kanälen ausgespielt werden, sitzt Habeck nicht nur an einem Küchentisch, sondern an Tausenden." Geschickte Inszenierung könne Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern schaffen.
Professionelle Social-Media-Kampagnen allein seien jedoch kein Garant für einen Wahlerfolg, warnte Jungherr: "Wenn die Parteien den Bürgerinnen und Bürgern nicht erklären können, wie sie die deutsche Wirtschaft wieder nach vorn bringen wollen, dann bringen auch schöne Social-Media-Videos nichts." Der Erfolg auf Social Media sei außerdem kein zuverlässiger Indikator für Wahlerfolge. Eine Wahlentscheidung basiere auf vielen verschiedenen Erfahrungen: "Menschen, die einem Video ein ‚Like‘ geben, sind oft bereits Unterstützerinnen und Unterstützer. Viel schwieriger ist es, jene zu erreichen, die bisher am Wahltag zu Hause geblieben sind oder ihre Kreuze woanders gesetzt haben."
kps
Zuerst veröffentlicht 24.01.2025 05:39 Letzte Änderung: 24.01.2025 08:56
Schlagworte: Medien, Internet, Wahlen, Tiktok Jungherr, kps, NEU
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