30.01.2025 09:51
epd Synästhesie bedeutet aus dem Griechischen übersetzt so viel wie "Vermischung der Sinne" und bezeichnet eine besondere Art der Wahrnehmung: Synästhetiker nehmen Sinnesreize nicht einzeln wahr, sondern auf mehrere Arten gleichzeitig: Beispielsweise sehen sie bei Musik vor ihrem inneren Auge Farben oder Formen, andere sehen Buchstaben und Zahlen farbig oder schmecken Farben. Wissenschaftlern zufolge handelt es sich dabei um eine besondere Art der Vernetzung im Gehirn.
Über diese besondere Gabe verfügt auch Tonja Raaben (Alina Stiegler) in der Reihe "Brandenburg-Krimi: Die Raaben und das tote Mädchen". Raaben ist eine eigenwillige junge Streifenpolizistin in der Lausitz, die zu Alleingängen neigt und deshalb öfter in Schwierigkeiten gerät. Auch ihr Bruder Anton (Anton Rubtsov) ist bei der Polizei, allerdings als Kriminalkommissar. Beide bekommen es mit dem Mord an einem Au-pair-Mädchen zu tun. Dabei wurde auch ein Baby entführt, was an ein Trauma der Geschwister rührt: Vor zwanzig Jahren verschwand ihr kleiner Bruder Micha spurlos, sein Verschwinden wurde nie aufgeklärt.
Der eine Fall hat freilich mit dem anderen nichts zu tun: Die Geschichte um den verschwundenen Micha ist jedoch essenzieller Teil des erzählerischen Hintergrunds und prägt maßgeblich auch die melancholisch-verhaltene Atmosphäre des Films. So führt Michas Stimme aus dem Off auch eine sorbische, an "Krabat" erinnernde Sage ein, derzufolge kleine Jungs, die nicht brav waren, in Raben verwandelt werden. Die Legende der Raben und Tonjas synästhetische Wahrnehmungen (im Film erscheinen entscheidende Orte in purpurn getönt) verbinden sich zu einem geradezu mystischen Unterton, zumal Tonja hochsensibel die Stimmungen und Verfasstheit anderer aufnimmt und damit den anderen Ermittlern immer ein wenig voraus ist.
Der eigentliche Fall ist eher konventionell gestrickt: Das kolumbianische Au-Pair-Mädchen Adelina musste sterben, weil sie der Entführung des kleinen Liam im Wege stand, dessen Eltern, das Unternehmerpaar Fischer (Julischka Eichel, Franz Dinda) nun erpresst werden. Falsche Fährten werden für den Zuschauer höchst halbherzig gelegt, denn ganz schnell ist klar, dass weder Adelinas Freund Amir (Mohammad Eliraqui), ein junger Geflüchteter aus Syrien, noch Liams Vater selbst oder dessen undurchsichtiger Anwalt etwas damit zu tun haben. Ärgerlich ist daran die dramaturgische Funktionalisierung der Figuren: Letztlich ist Adelina nur ein menschlicher Kollateralschaden - immerhin gibt es noch ein Videotelefonat zwischen Liams Mutter und Adelinas am Boden zerstörter Mutter in Kolumbien. Mit der Figur des jungen Syrers wiederum lässt sich einerseits noch ein veritabler Brandenburger Mob vor dem Geflüchtetenwohnheim inszenieren, andererseits verzögert seine auf Kriegstraumata basierende Angst vor der Polizei die Ermittlungen, denn Amir ist ein Augenzeuge.
Dieser Verzögerung hätte es wiederum dramaturgisch nicht mal bedurft, denn auch so sind die Ermittlungen von teils enervierender Bräsigkeit: Die Datenauswertung lässt mal wieder auf sich warten (wir sind in Deutschland) und alles andere irgendwie auch. Man hat den Eindruck, dass sich das Drehbuch hier allzu sehr auf Tonjas synästhetische Gabe verlässt, die einerseits etliche logische Lücken kaschieren muss, andererseits maßgeblich bei der Aufklärung hilft. Das gibt dem Ganzen einen geradezu parapsychologisch-übersinnlichen Anstrich, was Synästhesie ja keineswegs ist.
Man hat schon elegantere Fälle als Serieneinstieg gesehen. Denn als solcher ist dieser "Brandenburg-Krimi" wohl angelegt, und er hat Potenzial: Alina Stiegler und Anton Rubtsov sind ein starkes, überzeugendes Schauspielerteam. Insbesondere Stiegler zieht mit ihrer zwar spröden und wortkargen, aber dennoch zugewandten, empathischen Art in den Bann. Auch die von beiden verkörperten Charaktere machen neugierig auf mehr. Nicht zu vergessen die dritte Hauptrolle: die Lausitzer (Stadt-)Landschaften, die Valentin Selmke sensibel in Szene setzt. Er fotografiert keine Postkartenansichten, sondern das Spröde, Herbe, die Realität der Kleinstädte und die Stille der Wälder und des Wassers. Dass die Geschwister untereinander und auch mit dem Vater Sorbisch sprechen, "offiziell" aber Deutsch, ist ein kleiner, aber wichtiger Baustein für einen unverstellten Blick auf die Realität.
infobox: "Brandenburg-Krimi: Die Raaben und das tote Mädchen", Krimi, Regie: Nina Vukovic, Buch: Alexander Buresch, Kamera: Valentin Selmke, Produktion: Moovie/Constantin Television (ARD, 30.1.25, 20.15-21.45 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 30.01.2025 10:51
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Krimi, KARD, Vukovic, Buresch, Steglich
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