Kein Gegensatz - epd medien

01.02.2025 10:12

Das Hörstück "Wildly tender ist thy music" vereint auf versierte Art und Weise die scheinbaren Gegensätze von Poesie und Wissenschaft. Dabei gelinge eine "wunderbare Horizonterweiterung", findet Eva-Maria Lenz.

epd Weit und einsam, geheimnisvoll und unheimlich ist das Moor. Mit seiner unwiderstehlichen, doch ambivalenten Anziehungskraft wird es ein Lieblingsort der Schauerromantik. Die drei legendären Schwestern Bronte, Pfarrerstöchter, die sich als Autorinnen profilierten, wuchsen im frühen 19. Jahrhundert im abgelegenen englischen Haworth inmitten einer Moorlandschaft auf. Besonders Emily liebte das Moor in Yorkshire von Kindheit an als Gelände eigener Beobachtungen und Abenteuer, aber auch als Projektionsraum für wilde Traum-Geschichten. Das bezeugen in ihrer Art sehr verschiedene Texte wie ihre atmosphärischen "Poems from the Moor", ihre Fantasy-Entwürfe vom Moorkönigreich Gondal und ihr - erst im 20. Jahrhundert hochgeschätzter - kühner psychologischer Roman "Wuthering Heights", der raue Emotionen hochhält.

Schlüsselsatz des Hörstücks

Der Titel des Hörstücks "Wildly tender ist thy music" zitiert Emilys Gedicht "Redbreast early in the morning". So beginnt die gesamte Sprach- und Klangkomposition des Duos Merzouga (Eva Pöpplein, Janko Hanushevsky) als Hommage an die enthusiastische Poetin, die gerne mit dem Moor im Bunde war. "Locke mich aus dem Tal auf deine stürmischen Höhen", ruft Emily (Veronika Bachfischer) hier alsbald den Westwind über dem Moor an. Suggestiv wiederholt wird dies ein Schlüsselsatz des Hörstücks, der angetan ist, auch Zuhörende an Emilys Seite zu versetzen. Mitreißend zieht zudem die bald gestochen klare, bald irisierende Stimme der österreichischen Jazz-Sängerin Filippa Gojo in den Bann, deren magischer Gesang das Hörstück von Anfang an prägt.

Teils beschaulich, teils spannungsreich begleitet hier das Wechselspiel von Sprache, Sounds und Musik die Jahreszeiten in der Reihenfolge Winter, Frühling, Sommer, Herbst. Zudem interessiert noch eine weitere wesentliche Erzählebene. Ein (fiktiver) modellhafter Moorexperte von heute betritt die Szene, ein Wissenschaftler, der den Zustand des Moores, der für das Klima eine zeitweise verkannte, zentrale Rolle spielt, exemplarisch ein Jahr lang in Yorkshire beobachtet.

Während Emily, die schon mit 30 Jahren starb, ihr Tagebuch mit Vorliebe als "Flaschenpost in die Zukunft" versteht, blickt der Forscher (Jean-Paul Baeck), der seine Tage im Moor nummeriert, bevorzugt in Vergangenheit und Gegenwart. Dabei geht es hier um die für den Klimaschutz so wichtige Torfbildung. Seit 10.000 Jahren wächst die Torfschicht einen Millimeter jährlich, seit Emily Gedichte schrieb, hat sie also um 20 Zentimeter zugesetzt. Insgesamt ist sie, so der Forscher, der Stichproben macht, für die Erhaltung des Klimas wesentlich als "gigantischer Kohlenstoffspeicher".

Spezialist für Unterwasseraufnahmen

Der Forscher hat neben aktuellen Statistiken zur weltweiten CO2-Bilanz eigene Messgeräte und ein Audio-Equipment für allerlei Field-Recordings dabei, ist zudem Spezialist für Unterwasseraufnahmen. So beleben hier nicht nur die Vögel über dem Moor mit vielfältigem Gezwitscher die Szene, belauscht wird auch sonst Verborgenes wie das Weben und Wabern von Unterwasserinsekten und Unterwasserwanzen, die hier als Klangkörper hörbar werden.

Das Hörstück klärt Umweltfragen, ohne jedoch die Gegensätze von Wissenschaft und Poesie simpel gegeneinander auszuspielen. Es kostet vielmehr lieber ihre sich ergänzenden Perspektiven aus. Implizit zeigt es die wunderbare Horizonterweiterung mit Messgeräten und Mikrofonen gegenüber Emilys Beobachtungsstand. Auch wenn der Forscher zentral aus anderen Gründen als die wild bewegte Emily die Hochmoore naturbelassen erhalten sehen will, ist er gerne dort unterwegs mit ihrem lyrischen Werk und mit seinem technischen Equipment. Wer das Stück des Duos Merzouga Stück hört, kann beide Zugänge schätzen lernen.

infobox: "Wildly tender is thy music", Hörstück mit Texten von Emily Bronte, Komposition, Klang- und Textarrangement: Duo Merzouga (Eva Pöpplein, Janko Hanushevsky), Produktion: Deutschlandfunk (DLF, 18.1.25, 20.15-21.15 Uhr sowie auf der DLF-Hörspielseite)



Zuerst veröffentlicht 01.02.2025 11:12

Eva-Maria Lenz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KDLF, Hörstück, Pronte, Merzouga, Lenz

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