Historische Lücke - epd medien

02.02.2025 10:56

Die dreiteilige Terra-X-Dokumentation "Roadtrip 1945 - Kriegsende" mit vielen fiktionalen Elementen erzählt die Geschichte eines geflohenen Juden, der als britischer Soldat in seine Heimat zurückkehrt, um seine Eltern aus dem KZ zu befreien. Leider wird der Infotainment-Aspekt zu sehr in den Vordergrund gerückt, findet Manfred Riepe.

Mirko Drotschmann führt als Moderator durch die Dokumentationen "Roadtrip 1945"

epd Es ist eine bewegende Geschichte: Der 16-jährige Manfred Gans, Sohn wohlhabender Juden aus dem Münsterland, flieht 1938 vor den Nazis nach England. Als Mitglied einer britischen Spezialeinheit, den X Troops, kehrt er 1944 in seine Heimat zurück. Auf der Suche nach seinen Eltern, die er im KZ Theresienstadt vermutet, begibt sich der junge Soldat unmittelbar nach der Kapitulation von Holland aus auf eine knapp tausend Kilometer lange Autofahrt quer durch die deutsche Trümmerlandschaft.

Eine Odyssee

Auf der Grundlage des detaillierten Berichts von Manfred Gans alias Freddy Grey sowie zahlreichen Briefen an seine Verlobte in New York rekonstruiert eine Dokumentation aus der ZDF-Reihe "Terra X" diese Odyssee. Das dokumentarische Roadmovie lotet dabei die Stimmung in Deutschland zur Stunde Null vielschichtig aus. Von einer routinierten Historiendokumentation unterscheidet sich der Dreiteiler von Gabriele Rose und Andrea Mokosch unter anderem durch die Fülle der aufgegriffenen Themen. Vorgestellt werden nicht nur die als "Churchils Geheimwaffe gegen Hitlerdeutschland" geltenden X Troops, zu denen insgesamt 87 Männer, ausschließlich Juden, zählten. Interessant ist vor allem die nacherzählte Autofahrt von Holland nach Theresienstadt, um die herum mit einer Fülle von Archivmaterialien die chaotische Situation unmittelbar nach der Kapitulation nachgezeichnet wird.

Zurechtgerückt wird dabei unter anderem der Mythos von den "Trümmerfrauen". Pseudodokumentarische Filmen aus dieser Zeit, in denen Frauen stets gut genährt, fröhlich und sauber gekleidet in die Kamera schauten, vermitteln ein verzerrtes Bild von der Beseitigung der Trümmer, die von professionellen Firmen erledigt wurde. Die Dokumentation erinnert auch an das dunkle Kapitel sexueller Übergriffe auf Frauen durch Soldaten der Alliierten, die vorwiegend auf das Konto von Rotarmisten gingen. Laut einer Schätzung der zu Wort kommenden Historikerin Miriam Gebhardt müsse man mit 860.000 Opfern rechnen, vermutlich sogar wesentlich mehr. Erinnert wird zudem an die Situation jener Millionen Flüchtlinge aus den Ostgebieten, die im Westen keineswegs willkommen waren. Aufschlussreich ist ebenso der Blick auf jenes erbitterte Tauziehen zwischen den Westalliierten, die auf deutschem Boden eine Demokratie nach westlichem Vorbild errichten wollen, und den Sowjets, die den Einflussbereich der stalinistischen Diktatur auszuweiten versuchen.

Dokumentarische Autofahrt

Verbindendes Element zwischen diesen vielfältigen Themen - die zwar nicht neu sind, aber pointiert aufbereitet werden - ist die dokumentarische Autofahrt durch das zerbombte Deutschland. Die bange Hoffnung, dass Manfred Gans am Ziel dieser beschwerlichen Reise seine Eltern in Theresienstadt lebend antrifft, wird dabei allerdings etwas prätentiös als Spannungsbogen aufgebaut. Forciert wird diese Fiktionalisierung durch Reenactments. Neben Rony Herman als Manfred Gans verkörpern zehn weitere Schauspieler die Rollen von Manfreds Eltern, britischen Soldaten, Bauern und KZ-Aufsehern.

Überdies sind die Nachinszenierungen durch ein an die Rotoskopie erinnerndes Verfahren entfremdet. Die Bilder von Manfred Gans' Reise muten an wie aus einem japanischen Manga-Comic. Wie auf der Palette eines Malers werden die Übergänge zwischen diesen cartoonartigen Szenen und dokumentarischen Bilder fließend. Diese forcierte Ästhetisierung lenkt ab von dem packenden Stoff dieses Dreiteilers, der für sich genommen interessant genug ist.

Erinnerung an "Schindlers Liste"

Als Moderator tritt der frühere Geschichtsblogger Mirko Drotschmann auf, der mit einem Jeep die damalige Strecke von Manfred Gans noch einmal abfährt, um unterwegs mit zahlreichen Zeitzeugen zu sprechen. Höhepunkt dieser dokumentarischen Reise ist ein Treffen mit Manfred Gans' Sohn Daniel, seinem Enkel Dylan sowie seiner Großnichte Sivan Zic. Mit diesem ergreifenden Bild erinnert die Dokumentation an die berühmte Schlussszene aus Steven Spielbergs "Schindlers Liste", in der die Nachkommen der von Schindler geretteten Juden vor die Kamera treten - und so das Überleben feiern. Ein Blick auf die düstere Gegenwart, in der Juden wieder bedroht werden und Synagogen im ganzen Land unter Polizeischutz stehen, hätte diese bewegende Szene noch vielfältiger gestaltet.

Mit der Geschichte eines bis dato eher unbekannten Juden, der vor den Nazis floh, um nach Kriegsende in seine Heimat zurückzukehren - wo er auch bei der Entnazifizierung mitwirkte - schließt die dreiteilige Dokumentation eine historische Lücke. Leider wird der Infotainment-Aspekt, der aus dem Terra-X-Format offenbar nicht mehr wegzudenken ist, zu sehr in den Vordergrund gerückt.

infobox: "Terra X History: Roadtrip 1945 - Kriegsende", dreiteilige Dokumentation, Regie und Buch: Gabriele Rose, Andrea Mokosch, Moderation: Mirko Drotschmann, Kamera: Reiner Bauer, Dirk Heuer, Produktion: Doclights (ZDF, 26.1.25, 22.15-23.00 Uhr, nur Folge 1, alle drei Folgen seit 26.1.25 in der ZDF-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 02.02.2025 11:56 Letzte Änderung: 03.02.2025 13:56

Manfred Riepe

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Dokumentation, KZDF, Rose, Mokosch, Riepe, NEU

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