26.02.2025 11:19
epd Der Unfallchirurg hat sich im Nachtclub mit Ketamin abgeschossen und taumelt mit letzter Kraft zum Dienst. Das mit der vielsagenden Abkürzung "KRANK" bezeichnete Krankenhaus Neukölln residiert in einem brutalistischen Betonbau, der kurz vor dem Einsturz zu stehen scheint. Aus dem Fenster fällt der Blick auf ein Graffito: THC/ADHS. Gerade wird ein junger Mann mit Stichwunde im Allerwertesten eingeliefert, als Nächstes kommen Schussverletzungen rein. Die Computer streiken, der Drucker funktioniert nicht, der Akku des Ultraschallgeräts ist kaputt, und das Doppelschichten schiebende Personal operiert permanent am Rande des Nervenzusammenbruchs. Kein Wunder, dass am Betäubungsmittelschrank auf Buchführung verzichtet wird.
In dieses Albtraumszenario gerät, aus dem saturierten München kommend, die Internistin Suzanna Parker (Haley Louise Jones) als Leiterin der Notaufnahme, nachdem binnen eines Jahres schon vier Vorgänger auf dieser Position gescheitert sind, wie sie beiläufig erfährt. Klinikchef Steffen Beck (Peter Lohmeyer) kann sein Glück über die Personalie immer noch kaum fassen.
Die Kollegen in der Rettungsstelle dagegen reagieren reserviert - sie haben sich daran gewöhnt, "den Laden von der Seitenlinie aus zu schmeißen", wie es Ben Weber (Slavko Popadić) ausdrückt, der drogenabhängige Unfallchirurg mit Halstätowierung. "Fuffi? Die schafft drei Tage höchstens", wettet Emina Ertan (Şafak Şengül). Doch die Neue erweist sich als tough: Als ihr Name auf dem Dienstplan zunächst in "Dr. Planlos" und dann in "Verpiss dich" geändert wird, ritzt sie "Dr. Parker" mit einem Metallwerkzeug auf die Kreidetafel.
Die furiose Eröffnung dieses ursprünglich von Sky Deutschland beauftragten und nun als Co-Produktion von Apple TV+ und ZDFneo realisierten Achtteilers setzt den Ton: Hier werden keine Götter in Weiß gefeiert wie im US-amerikanischen Dauerbrenner "Grey’s Anatomy". Hier kämpfen Gehetzte und Überforderte mit katastrophalen Arbeitsbedingungen. Headautor Samuel Jefferson, selbst Notfallmediziner, hebt das Genre auf ein geradezu dystopisches Level und spart nicht mit Kritik am unterfinanzierten deutschen Gesundheitswesen.
"Krank Berlin" verdient das Label Krankenhausserie 2.0, und der Schauplatz trägt das Seine dazu bei: "Dit is Balin!", schwingt als Botschaft der Bilder immer mit - und zwar in seiner räudigsten, härtesten Erscheinungsform. Die deutsche Club- und Druffi-Hauptstadt, gerade auch in der ARD-Serie "The Next Level" Thema, dürfte international ebenfalls gut vermarktbar sein.
Natürlich kommen auch klassische Plot-Elemente und Charaktere vor. Der altgediente Rettungssanitäter Olaf (mit Ohrring: Bernhard Schütz) und seine junge Auszubildende Olivia (mit Nasenring: Samirah Breuer) etwa bilden ein herzerwärmendes odd couple. Zudem entwickelt Olivia zärtliche Gefühle für Emina. Es gibt einen freundlichen Hochstapler (Aram Tafreshian als Assistenzarzt Dominik) in der Belegschaft, dessen Inkompetenz irgendwann Opfer fordert. Es wird dramatisch um Leben gerungen, es werden Fehlentscheidungen getroffen. Allmählich erschließt sich, aus welchen privaten Gründen Suzanna weg aus München wollte. Und ja, Suzanna und Ben fallen einmal in der Umkleide übereinander her.
Die Regisseure Fabian Möhrke und Alex Schaad verstehen es jedoch, all das nicht seifig oder wie ein Zugeständnis an Genre-Konventionen wirken zu lassen. Vielmehr erscheinen die emotionalen Ausbrüche wie eine unvermeidliche Kompensation angesichts eines Berufslebens am Limit. Konsequent ist, dass die Protagonisten - bis auf Ben bei wenigen Entzugsszenen - nie zu Hause zu sehen sind. Alles spielt sich im Krankenhaus ab, das Gebäude ist der heimliche Star der Serie.
Gedreht wurde auf dem Areal des ehemaligen DDR-Sport- und Erholungszentrums (SEZ) an der Landsberger Allee, das seit Jahren vor sich hin rottet und eine veritable "Lost-place"-Aura verströmt. Nichts sieht nach Kulisse aus in diesem formidablen Set, alles ist authentisch abgewrackt. Falls die Macher sich für eine zweite Staffel entscheiden sollten, müssten sie sich wohl beeilen, laut aktuellem Bebauungsplan sollen dort 500 Wohnungen und eine neue Schule entstehen.
Allerdings haben die Drehbuchautoren vorgebaut und Veränderungen bereits eingepreist: Nach einem Katastrophenalarm und kriegsähnlichen Zuständen in der letzten Folge verkündet die Gesundheitssenatorin den Verkauf des "Krank" an einen privaten Investor. Schlimmer geht immer.
infobox: "Krank Berlin", achtteilige Dramaserie, Regie: Fabian Möhrke, Alex Schaad, Buch: Samuel Jefferson u. a., Kamera: Tim Kuhn, Produktion: Violet Pictures, Real Film Berlin (Apple TV+/ZDFneo, ab 26.2.25)
Zuerst veröffentlicht 26.02.2025 12:19
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KApple TV+, Serie, Möhrke, Schaad, Jefferson, Luley
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