"Hitler war eine Trophäe" - epd medien

02.03.2025 09:10

Der Medienforscher Lutz Hachmeister (1959-2024) hat sich in seinem letzten, postum erschienenen Buch "Hitlers Interviews - Der Diktator und die Journalisten" mit den Interviews beschäftigt, die Adolf Hitler zwischen 1922 und 1944 ausländischen Journalisten gab. Hachmeister schreibt, dass Hitler die Begegnungen in der Regel strategisch nutzte, um bestimmte Botschaften oder auch Lügen zu platzieren. Der Publizist stellte in seinem Buch auch die Grundsatzfrage, welchen Sinn journalistische Interviews mit Diktatoren und Autokraten haben können. Wir dokumentieren Auszüge aus dem Prolog mit freundlicher Genehmigung des Verlags Kiepenheuer & Witsch.

Lutz Hachmeister über die Interviewer von Adolf Hitler

Im US-Wochenmagazin "Liberty" erschien 1932 ein Interview mit Adolf Hitler

epd Ich rede, also existiere ich. Das war der vorrangige Lebensmodus Adolf Hitlers. Wenn man ihm das Reden verboten hätte, hätte man ihm genauso gut das Atmen untersagen können. Und das betraf das Reden in jeglicher Form. Hitlers pausenlose Suada, sein hartnäckiges Monologisieren in allen möglichen Kommunikationssituationen, der "Redekatarakt", wie ihn 1935 Hitlers erster Exil-Biograf Rudolf Olden beschrieb - all dies war schon frühen Hitler-Beobachtern sogleich aufgefallen. Und das betraf ganz unterschiedliche kommunikative Settings, ob nun Hitler-Auftritte in Massenversammlungen, seine mittäglichen und abendlichen "Tischgespräche" vor der mal zwangsweise, mal begeistert zuhörenden Entourage oder eben die über hundert Interviews mit Auslandsjournalisten, von denen ein guter Teil in diesem Buch verhandelt wird.

Sortiert man diese Interviews nach den Ländern, aus denen die Reporter stammten, wird allerdings ein klares strategisches und instrumentelles Interesse aufseiten Hitlers sichtbar: Es dominieren die rund 60 Gespräche mit angloamerikanischen Journalisten; es folgen in der Summierung 17 Gespräche mit italienischen und acht mit französischen Interviewern.

Hitler ist ein schlechter Redner. Er schreit; seine manierierte Sprechweise ist unbeholfen.

Die Hitler-Interviews lassen sich ziemlich klar in drei Phasen einteilen: in die Frühphase des "bavarian Mussolini" bis zu seiner Festnahme 1923 und der anschließenden Landsberger Haft, dann wieder von 1930 bis 1933, als der NS-Bewegung ernsthafte Machtoptionen zukamen, und die diktatorische Phase als Staatschef und Wehrmachts-Oberbefehlshaber.

Schon der gut informierte US-Journalist John Gunther hatte 1936 die unerschöpfliche Redefähigkeit Hitlers als eine Hauptursache von dessen Aufstieg erkannt: "Er redete sich an die Macht. Das Seltsame daran, Hitler ist ein schlechter Redner. Er schreit; seine manierierte Sprechweise ist unbeholfen; seine Stimme bricht nach jedem Absatz; er weiß nie, wann er aufhören sollte. Goebbels ist als Redner weitaus feinsinniger und versierter. Dennoch kann Hitler, dessen Anziehungskraft im Allgemeinen nahezu null ist, ein Publikum in Raserei versetzen, insbesondere ein großes Publikum. Er kennt, natürlich, alle Tricks."

Kernpunkte der NS-Ideologie

Redetricks hin oder her - Hitler mochte generell keine Journalisten, die ihn befragen wollten: nicht einmal Berichterstatter des originär faschistischen Bündnispartners Italien, schon gar nicht publizistische Abgesandte demokratisch-medienkapitalistischer Institutionen, denn die waren aus seiner Sicht immer vom "Weltjudentum" gesteuert.

Auch als prononcierter Rassenideologe konnte er von den Interviewern schlecht einen Ariernachweis verlangen, wusste also nicht, wen er genealogisch genau vor sich hatte, außerdem ließ er sich bei seinen Deklarationen nur ungern unterbrechen, hatte mithin gar keinen Sinn für mögliche dialogische Formen von Gesprächen mit Reportern, die erst ein spannendes Interview ausmachen. Zudem konnte er sich nicht sicher sein, welche Folgekommentare die Interviews nach sich ziehen würden, da sie in die übergeordnete Berichterstattung der jeweiligen Auslandsmedien zu den Vorgängen im NS-Regime eingebunden waren.

Wenn ihm seine Berater, allen voran der langjährige "NS-Auslandspressechef" Ernst Sedgwick "Putzi" Hanfstaengl, zwecks Imageverbesserung Interviews mit Ausländern aufnötigten, legte er großen Wert darauf, dass die schon 1920 formulierten Kernpunkte der NS-Ideologie immer wieder vorkamen, und nutzte die publizistischen Gespräche für taktisch-strategische Themensetzungen und glatte Lügen, die ihm gerade wichtig erschienen.

Hitler - ein Kontrollfetischist

Den propagandistischen Nachrichtenwert solcher Interviews hatte der selbst ernannte Medien- und Propagandaexperte immerhin bald erkannt. Außerdem verlangte er, jedenfalls bis 1933, häufiger ein Honorar für die Interviews, um die stets knappe NSDAP-Kasse aufzufüllen.

Hitler - ein Kontrollfetischist wie alle Diktatoren, Sektenführer und Autokraten - gelang es mit der Ausweitung seiner Machtsphäre seit 1930, gemeinsam mit dem 1937 abservierten Hanfstaengl und den auf "Putzi" folgenden Medienspezialisten und Vermittlern, die Begegnungen mit Auslandsjournalisten gründlich vorzubereiten, auf vorab einzureichende Fragen zu beharren, den wesentlichen Vektor des jeweiligen Interviews vorzugeben und sich natürlich die letzte Autorisierung des Textes vorzubehalten. Das klappte auch zumeist (wenn auch nicht immer); Hitler behielt fast immer die Oberhand, dennoch fühlte er sich bei solchen Treffen unbehaglich.

Der Führer als Scoop

Anders die Rolle der Interviewer und jeweiligen Medienorganisationen: Für sie war Hitler eine Trophäe, der Scoop war das Interview mit dem "Führer" an sich, unabhängig von Struktur und Inhalt. Die meisten Journalisten waren auf Hitler schlecht vorbereitet, im biografischen, strategischen und politisch-konkreten Sinn. Zumeist ließen sie den sperrigen Gesprächspartner einfach reden, zwecks schneller Schlagzeilengewinnung.

Und das in wechselnden politischen Hitler-Rollen: zu Beginn der "bavarian Mussolini", die clowneske Figur mit Chaplin-Bart, der österreichische "house painter" mit der merkwürdig unklaren Biografie, nach den Wahlerfolgen der NSDAP 1930 reichsweit der schrille Exponent der völkischen Rechten, dann nach der NS-Machtübernahme für eine gewisse Zeit verblüffenderweise der Staatsmann im preußisch-militärischen Hindenburg-Gewand.

Hitler hegte keine besondere Sympathie für ausländische Pressevertreter.

Seit den Nationalsozialisten eine realistische Machtoption in Deutschland zugeschrieben werden konnte, gaben sich die Auslandsjournalisten bei Hitler die Klinke in die Hand. Der prominente US-Korrespondent Hans V. Kaltenborn beschreibt in seiner Autobiografie ein signifikantes und in so mancher Hinsicht typisches Meeting auf dem Berghof im August 1932:

Louis Lochner, damals Deutschland-Korrespondent von Associated Press, und ich hatten beide ein Interview mit dem Führer angefragt. Ziemlich überraschend rief mich einer meiner ehemaligen Harvard-Kommilitonen an, Ernst Hanfstaengl, zu der Zeit Hitlers Verbindungsoffizier für die Auslandspresse, und er sagte, dass uns der Führer am nächsten Tag in seinem Zuhause in Berchtesgaden sehen wollte. Wir kannten seinen Hang dazu, Zeitungsleuten Vorträge zu halten und hatten darum eine Reihe von Fragen vorbereitet, auf die wir unbedingt Antworten wollten.

Hitler hegte keine besondere Sympathie für ausländische Pressevertreter. Er begrüßte uns flüchtig und feindselig. Das Interview fand statt auf der Veranda seines malerischen Berghofs in den Bayerischen Alpen nahe der Grenze zu Österreich. Ein wunderschönes Plätzchen und von der Veranda hatte man einen herrlichen Blick auf die Berge. Es war ein warmer Sommermorgen und die Kanarienvögel zwitscherten fröhlich in den Käfigen, die überall auf der Veranda hingen. In dieser Umgebung begann Adolf Hitler finster dreinblickend zu reden, als würde er zu einer Menschenmenge sprechen. Absichtlich irritierte ich ihn mit meiner ersten Frage: "Warum unterscheidet Ihr Antisemitismus nicht zwischen den Juden, die in der Nachkriegszeit massenhaft nach Deutschland gekommen sind und den vielen feinen jüdischen Familien, die seit Generationen Deutsche sind?"

Wenn du ihm eine Frage stellst, hält er eine Rede.

"Alle Juden sind Ausländer", brüllte er zurück. "Für wen halten Sie sich, dass Sie mich fragen, wie ich mit Ausländern umgehe? Ihr Amerikaner nehmt keinen Ausländer auf, wenn er nicht über gutes Geld, einen guten Körperbau und gute Moral verfügt. Für wen halten Sie sich, darüber zu sprechen, wer in Deutschland aufgenommen werden sollte?" Damit waren wir bei dem Tonfall angelangt, der dann das gesamte Interview beherrschte.

Zum Missvergnügen von Lochner und Kaltenborn hatte Hanfstaengl auch noch unangekündigt den Hearst-Mann Karl von Wiegand zu dem Berghof-Treffen eingeladen. Wiegand handelte sich eine Viertelstunde Exklusivgespräch mit Hitler heraus, kam danach allerdings auch zu dem Schluss: "Dieser Mann ist ein hoffnungsloser Fall. Es wird jedes Mal schlimmer, wenn ich ihn sehe. Ich habe nichts aus ihm herausbekommen. Wenn du ihm eine Frage stellst, hält er eine Rede. Dieser ganze Besuch bei ihm war eine Zeitverschwendung."

Skepsis bei Wortlaut-Interviews

Alle drei anwesenden US-Journalisten ließen sich noch gemeinsam mit Hitler fotografieren; Wiegand führte später noch weitere Interviews mit dem "Führer".

Es gibt Dutzende von ähnlichen atmosphärischen Korrespondentenerinnerungen an Begegnungen mit Hitler. Aber keine Tonbandaufnahmen davon (schon aus technischen Gründen der damaligen Zeit), nicht einmal ausgefeilte stenografische Aufzeichnungen. Nur die Abdrucke in den jeweiligen Presseorganen, sodass dem konkreten Wortlaut mit gebotener Skepsis zu begegnen ist, vor allem in der Frühphase der Hitler-Interviews bis 1923. Mit der Zeit bessert sich die Quellenlage durch begleitende Korrespondenz, Archivmaterialien, NS-autorisierte Versionen im Zentralblatt "Völkischer Beobachter".

Eigenes Zentralorgan

Von Anfang an überwogen die Interviews mit ausländischen Journalisten. Hingegen lassen sich kaum Inlandsinterviews mit dem NS-Führer finden. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen hatten demokratische Qualitätsblätter wie die "Frankfurter Zeitung" oder das "Berliner Tageblatt" kein Interesse an dem völkischen Rabulistiker und Provinzpolitiker Hitler, der sich wiederum bis 1933 auch nicht mit Journalisten von "Judenblättern", wie er sie nannte, treffen wollte. Danach waren sie für ihn ohnehin nicht mehr relevant.

Zum anderen verfügte die NSDAP mit dem "Völkischen Beobachter" über ein eigenes Zentralorgan, in dem Hitler ab 1921 gern und häufig schrieb - so hatte er auch schon früh seine Berufsbezeichnung von "Kunstmaler" in "Tagesschriftsteller" verändert, bereits vor der Abfassung von "Mein Kampf". Das längste Inlandsinterview von Hitler, das sich finden lässt, ist bezeichnenderweise eine Unterredung mit dem Blatt seines eigenen Pressechefs Otto Dietrich.

Immer gleiche Überredungskommunikation

Eines der seltenen Interviews mit einem deutschen Blatt gab Hitler schon im Herbst 1922 dem "8-Uhr-Blatt" aus Nürnberg und München, es erreichte eine erhebliche internationale Resonanz. So ging das französische Rechtsblatt "L’Action Française" am 12. November 1922 darauf ein, wobei der "Mussolini bavarois" als "Dr. Hittler" präsentiert wurde. Der entscheidende tipping point für diese Beachtung Hitlers in der Auslandspresse war zweifellos Mussolinis "Marsch auf Rom" Ende Oktober 1922. In seiner Unverblümtheit war dieses frühe Interview bereits ziemlich bezeichnend. (...)

Es ist eine der Thesen dieses Buchs, dass sich Hitlers Bierhallenreden, Volksansprachen, diplomatische Verhandlungen, "Tischgespräche" oder die intimeren Interviewsituationen im Grundsatz nicht unterscheiden. Es sind letztlich nur situative Varianten, mehr oder weniger kalkuliert, der immer gleichen sterilen Überredungskommunikation.

Unfähig zu Selbstironie

Die "Tischgespräche im Führerhauptquartier" (1941/42), aufgezeichnet von NS-Stenografen, bestätigen das. In ihnen ist vollends der völkische Faselant zu erkennen, mangels jeglicher philosophischer Grundbildung unfähig zu Selbstironie und dialektischem Denken. Es spiele keine Rolle, so fiel Hitler etwa im März 1942 ein, dass immer noch von Oberführer Soundso, Straßenbahnführern, Zugführern und so weiter gesprochen werde, aber wenn es für ihn einmal einen Nachfolger geben werde, müsse man das ändern und den Ausdruck "Führer" zu einem "einmaligen Begriff erheben".

Im selben Monat, nach Lektüre von Reichsleiter Philipp Bouhlers Napoleon-Biografie, ließ er seinen anwesenden Gehilfenkreis wissen, dass Napoleon Bonaparte nicht zuletzt daran gescheitert sei, "dass seine Mitarbeiter den Anforderungen nicht entsprachen. Man könne ihm den Vorwurf nicht ersparen, daß er sich minderwertige Mitarbeiter ausgesucht habe." (...)

Reden vor bis zu 7.000 Zuhörern

Nachdem Hitler 1919/20 zunächst als Reichswehr-Bildungsbeauftragter, dann als "Werbeobmann" und schließlich als Parteivorsitzender in München die Deutsche Arbeiter-Partei (DAP) gekapert hatte, setzte ziemlich rasch sein unbestrittener Erfolg als missionarischer Redner ein. Bald füllte er Biersäle im Sterneckerbräu, Hofbräuhaus oder im Kindl-Keller mit häufig mehr als 2.000 Zuhörern. Allein 1920 hielt er rund 90 solcher Reden. Er erkannte seinen Unique Selling Point und ließ seine Gestik und Mimik professionell schulen. Am 3. Februar 1921 hörten ihm bei seinem ersten Auftritt im Zirkus Krone 3.500 Teilnehmer zu; dies war eine der ersten Massenveranstaltungen der neuen, aus der DAP hervorgegangenen NSDAP. Insgesamt sieben Mal hielt Hitler in diesem Jahr Reden im Zirkus Krone, vor bis zu 7.000 Zuhörern (...).

Der Historiker Norman Domeier hat in seiner Habilitationsschrift über die US-Korrespondenten im NS-Staat 2021 die These aufgestellt, dass ohne Hitler-Interviews "der Aufstieg des ›Führers‹ und der NS-Bewegung in den Massenmediengesellschaften des 20. Jahrhunderts schwer vorstellbar" wäre. Da könnte man durchaus anderer Auffassung sein: Wahrscheinlich wäre Hitler auch an die Macht gekommen, wenn er Auslandskorrespondenten gar keine Exklusivinterviews gegeben hätte.

Der Führer und die Masse

Hitlers Medienbiografie fällt in eine Zeit gravierender Umbrüche: Kino, Rundfunk, Illustriertenkultur, politische Plakate, Neonreklamen tauchen auf und finden Verbreitung. Noch bedeutsamer ist aber der seit Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Zusammenhang von Werbung, PR, frühen Formen des Politmarketings, "Massenpsychologie" und Propaganda. Den Grundton hatte hierzu Gustave Le Bon mit seiner "Psychologie des foules" (1895) und seiner Entdeckung der "Massenseele" vorgegeben: "Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet. Von den Tatsachen, die ihnen mißfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern, wenn er sie zu verführen vermag. Wer sie zu täuschen versteht, wird leicht ihr Herr, wer sie aufzuklären sucht, stets ihr Opfer."

In dieser Dichotomie von (männlichem) "Führer" und verführbarer (weiblicher) "Masse" blieb Hitler sein Leben lang gefangen. Dies wurde noch dynamisiert durch die weithin überschätzte Rolle, die der Propaganda (nebst "Heerespsychologie") im Ersten Weltkrieg zugemessen wurde, bis hin zur schlagkräftigen Formel "Im Felde unbesiegt", die durch die Oberste Heeresleitung und später durch alle Vertreter der nationalistischen Rechten verbreitet wurde.

Taktik des NS-Apparats

Auch wenn kein Hitler-Analyst an einer Darstellung seiner Performance vorbeigekommen ist, gibt es bis heute seltsamerweise kein konsistentes Werk, das sein Gesamtrepertoire kommunikativer Zeichengebung mit den konkreten Ausprägungen der nationalsozialistischen Propaganda schlüssig in Verbindung setzt. So kann man auf der einen Seite zahlreiche Studien über Hitlers Rhetorik, seine "Symbolpolitik" und Selbstinszenierung, seine Kleidung, seine Physiognomie, seine Bibliothek und sogar seinen Bartschmuck lesen, auf der anderen Seite die Bücher über den Aufbau der NS-Medienlenkung, die "Gleichschaltung" des öffentlichen Lebens, die Wahlkampfschlachten vor 1933 ("Hitler über Deutschland") oder über die Auslandspropaganda.

Da sich die Hitler-Interviews über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren erstrecken, zeigt sich hier besonders klar der enge Zusammenhang von Hitlers Propagandakonzeption mit der entsprechenden Programmatik, Technik, Strategie und Taktik des gesamten NS-Apparats. Hitler wird damit, um es kurz zu fassen, weniger von Goebbels & Co. getrennt, als es üblicherweise geschieht.

Auf seine Gehilfen in der Propaganda- und Medienlenkung hielt sich Hitler viel zugute. So äußerte er im Februar 1942 über den Rabauken, Arisierer und NS-Verlagschef Max Amann (1891-1957), der im Ersten Weltkrieg einer seiner Vorgesetzten gewesen war: "Beim Amann kann ich nur sagen: Er ist ein Genie. Der größte Pressemann der Welt. Er tritt gar nicht in Erscheinung, aber der Rothermere und Beaverbrock sind Knirpse gegen ihn." Amann habe schon beim "Völkischen Beobachter" "alle Mitarbeiter mit soldatischer Strenge zu äußersten Leistungen gebracht".

Die Schmutzkübel übelster Verleumdungen und Ehrabschneidungen

Hitler verwandte in "Mein Kampf" erhebliche Anstrengungen darauf, seine Ansichten zur überragenden Rolle der Presse als Bildungsinstitution darzulegen, und begründete seine unbedingte Rassenideologie sogar biografisch mit seiner Lektüre der Wiener Zeitungen. Diese Passagen gehören zu den erhellendsten seines ausschweifenden Programmbuchs. Zunächst habe er, so schrieb Hitler, die Wiener "Weltpresse" durchaus ehrfurchtsvoll rezipiert, erstaunt "über den Umfang des in ihr dem Leser Gebotenen sowie über die Objektivität der Darstellung im Einzelnen" und "den vornehmen Ton".

Dann aber habe er entdeckt, dass gerade die vorgeblichen Qualitätsblätter vom jüdischen Kapital und Geist beherrscht seien: "Man muß diese infame jüdische Art, ehrliche Menschen mit einem Male und wie auf Zauberspruch zugleich von hundert und aber hundert Stellen aus die Schmutzkübel niedrigster Verleumdungen und Ehrabschneidungen über das saubere Kleid zu gießen, studieren, um die ganze Gefahr dieser Presselumpen richtig würdigen zu können."

Journalismus als dienendes Glied

Von da an gab es in "Mein Kampf" nur noch wilde Invektiven gegen "die Presse" im Allgemeinen: "geistige Raubritter", "Strolche", "Pack", "Geflunker einer sogenannten Pressefreiheit". Letztere sei die tödlichste Gefahr für jeden Staat. Die Pressefreiheit bedeute nämlich keineswegs Freiheit der Presse, sondern lediglich Freiheit einzelner Subjekte, das zu tun, was sie wollten und was ihren Interessen entspräche. Und dieses selbst dann zu tun, wenn es gegen die Staatsinteressen verstoße.

Da aber auch das NS-Regime auf die Presse nicht ganz verzichten konnte, blieb nur noch "Gleichschaltung" und Subordination des Journalistenstandes unter die Direktiven von diktatorischer Führung und vermeintlichem "Volkswillen". Es sei anfangs nicht so einfach gewesen, erläuterte Hitler, dem Journalismus klarzumachen, dass auch er ein dienendes Glied am Ganzen sei. Man habe ihn deshalb immer wieder darauf hinweisen müssen, dass sich die Presse selbst widerlege und schädige. Denn wenn zum Beispiel in einer Stadt von zwölf Zeitungen jede über denselben Vorgang etwas anderes schreibe, so müsse der Leser zu der Überzeugung kommen, dass alles Quatsch sei. Die öffentliche Meinung laufe dann der Presse aus dem Ruder und sei zum Schluss in keiner Weise mehr mit ihr identisch, so Hitler am 15. April 1942 abends in der Wolfsschanze.

Faible für den Drahtfunk

Hitler sah sich selbst als ausgesprochenen Propagandaexperten und Spezialisten in allen Pressefragen - bis in die Details hinein. Dies wird in den "Tischgesprächen" deutlich. So sollte nach seiner Vorstellung die "Leipziger Illustrierte" inhaltlich wieder fesselnder werden, um mit den angelsächsischen Illustrierten zu konkurrieren; die "Deutsche Illustrierte" dagegen könne entbehrt werden; im Frieden solle neben das Prestigeblatt "Das Reich" eine entsprechende Sonntagszeitung für die bäuerliche Bevölkerung treten, mitsamt Fortsetzungsroman, "damit die Dirndln was davon haben".

Am gefährlichsten seien, so der Medienökonomie-Fachmann Hitler, die "Annoncen-Agenturen in Judenhänden" gewesen, mit diesen könnten die Juden "durch Sperrung der Annoncen eine große Tageszeitung doch völlig ruinieren". Mit seinem Faible für den "Drahtfunk" wiederum, der Radiosignale flächendeckend über das Telefonnetz verbreiten sollte, habe er sich bei Goebbels nicht durchsetzen können: "Der Drahtfunk! Ich habe befohlen, daß es gemacht wird. Das Propagandaministerium hat es versäbelt, weil der Postminister sagte, die Sache sei technisch noch nicht fertig!"

Neuer völkischer Volkstribun

Die Medienfigur Hitler brauchte Vermittler und Gehilfen. Eine der unbekannteren Intermediates bei frühen Hitler-Interviews war der Konteradmiral a. D. Waldemar Vollerthun, ein Anhänger des kaiserlichen Marinechefs Alfred Tirpitz. Vollerthun (1869 - 1929), unter anderem als junger Leutnant vor Kamerun stationiert und im Nachrichtenbüro des Berliner Reichsmarineamts tätig, hatte seine große Zeit im Ersten Weltkrieg als führender Stratege in der Marinekolonie Tsingtau erlebt. Er gehörte zu den zunächst führungslosen, dann politisch umtriebigen Figuren der Heeres- und Marineleitung, die nach 1918 eine Verbindung zwischen wilhelminischem Gedankengut, Freikorps, rechtsradikalen Geheimgesellschaften und dem neuen völkischen Volkstribun Hitler herstellen wollten.

In den 1920er Jahren war Vollerthun, der schon das Erinnerungsbuch "Der Kampf um Tsingtau" geschrieben hatte, Ressortleiter für Außenpolitik der nach rechts gedrehten "Münchner Neuesten Nachrichten" (MNN) geworden und hatte sich auch im völkischen Sinne pressepolitisch betätigt. Vollerthun stellte seine Münchner Wohnung an der Theresienwiese für Begegnungen von Hitler mit Auslandsjournalisten zur Verfügung und versuchte vor allem, eine Hitler-Tirpitz-Allianz zu schmieden. (...)

Machen Sie mich nicht rasend mit Ihrem Geiz!

Hitler mochte den Sinn solcher Vermittlungsbemühungen bald eingesehen haben, war aber davon nicht restlos überzeugt. Am 6. Juli 1942 ließ er sich bei einer seiner abendlichen Tischrunden über seinen langjährigen Auslandspresseberater Hanfstaengl aus, der längst in Ungnade gefallen und nach Großbritannien entwichen war. Zwar sei das Anbahnen von Interviews mit der Auslandspresse (und auch die Vermittlung von Hitler-Namensartikeln dorthin) finanziell durchaus lukrativ gewesen, aber schließlich sei "Putzi" mehr Geschäftsmann als Politiker gewesen und habe "immer nur den Gelderfolg gesehen".

Als Hitler ihn zum Beispiel beauftragt habe, "einen Artikel auf schnellstem Weg in die Presse der ganzen Welt zu jagen", habe Hanfstaengl kostbare Zeit mit dem Versuch vertrödelt, möglichst viel Geld aus ihm herauszuschlagen. Schließlich habe er ihn voller Ärger angeschrien: "Hanfstaengl, machen Sie mich nicht rasend mit Ihrem Geiz! Wenn es mir darauf ankommt, daß der Artikel morgen in der ganzen Welt gelesen wird, spielen finanzielle Überlegungen doch nicht die geringste Rolle!" (...)

Genau vorbereitete Begegnungen

Das Interview des US-Korrespondenten der Hearst-Gruppe und gebürtigen Luxemburgers Pierre John Huss mit Hitler vom Januar 1935, im Umfeld der Saarland-Abstimmung, kann als paradigmatisch für die genau vorbereiteten Begegnungen des "Führers" mit Auslandsjournalisten nach 1933 gelten, war es doch von den NS-Medienstrategen besser geplant und kontrolliert als vom Journalisten selbst. (...)

Für das Zustandekommen dieses Gesprächs waren Dr. Karl Bömer, damals Pressechef von Alfred Rosenbergs Außenpolitischem Amt der NSDAP, und der - von Hitler sehr geschätzte - Ministerialrat Dr. Hans Thomsen von der Reichskanzlei zuständig. Huss (1901 - 1966) hatte zunächst den gelernten Zeitungswissenschaftler und NS-Propagandisten Bömer, den er von dessen Dozententätigkeit in den USA persönlich kannte, um ein Hitler-Interview gebeten.

Am 14. Dezember 1934 signalisierte Thomsen, an den der anglophile "Charly" Bömer den Interviewwunsch weitergeleitet hatte, diesem ein grundsätzliches Plazet des "Führers und Reichskanzlers" für das Gespräch; Bömer meldete sich Anfang Januar des folgenden Jahres bei der Reichskanzlei noch einmal zurück: "Ich selbst werde mit Huss am 10. abends in die Saar fahren und am 14. morgens zurückkehren. Huss wird seinen Bericht dann fertiggestellt haben, ihn durch das Interview mit dem Führer ergänzen und sofort nach New York und die deutsche Presse durchgeben."

Haben Sie, Herr Reichskanzler, etwas zu sagen, das von besonderem Interesse sein könnte?

Huss hatte auf Verlangen seines treu sorgenden Betreuers Bömer sechs Fragen vorab schriftlich eingereicht, zum Beispiel: "Gerüchte wollen wissen, dass nach der Saarabstimmung eine neue Reorganisierung und Säuberung in der NSDAP vorgenommen, dass ein neuer Kampf mit der Katholischen Kirche und eine neue Handhabung der evangelischen Kirchenfrage bevorstehe, und dass überhaupt eine straffere Parteiherrschaft einsetzen werden soll. Was ist daran richtig?"

Bömer blockte diese heikle Frage schon im Vorfeld ab - die Röhm-Aktion vom Juni 1934 und ihre Wirkung in der Auslandspresse ("Nacht der langen Messer") waren noch in frischer Erinnerung. Er beschäftigte Huss im Saarland nach Kräften, unter anderem durch die Vermittlung von Begegnungen mit NS-Offiziellen wie dem Saarlandbeauftragten und Gauleiter Josef Bürckel. So konnte Bömer vor dem eigentlichen Hitler-Interview einen freundlichen Bericht über die "Korrektheit" der Saar-Abstimmung einheimsen.

Als Huss dann Hitler auf dem Obersalzberg gegenübersaß, öffnete er mit der vorab eingereichten Abschlussfrage Tür und Tor für den üblichen Redefluss seines Interviewpartners: "Haben Sie, Herr Reichskanzler, nach Ihrem großen Erfolg in der Saar-Abstimmung etwas zu sagen, das von besonderem Interesse gerade für das amerikanische Volk sein könnte?"

So wie sie über die Saar gelogen haben, lügen sie über Deutschland.

Da war die Saar-Abstimmung noch nicht einmal gelaufen, aber Huss hatte ihren erwartbaren Ausgang antizipiert. Das nutzte Hitler in einer auch über das NS-offizielle Deutsche Nachrichtenbüro (DNB) verbreiteten Meldung zu seiner momentan "einzigen Bitte" an das US-Volk: "Millionen amerikanischer Bürger werden seit Jahren und in den letzten Monaten über die Saar das Gegenteil von dem gehört und gelesen haben, was jetzt durch diese freie, offene Wahl bekundet ist. Ich würde glücklich sein, wenn man dies erkennen wollte, um auch in Zukunft den beruflich internationalen Brunnenvergiftern und Hetzern unserer Emigranten kein Wort mehr zu glauben. So wie sie über die Saar gelogen haben, lügen sie über Deutschland und belügen damit praktisch die ganze Welt." Das "amerikanische Volk" solle wenn möglich selbst nach Deutschland kommen, um sich ein Bild von einem Staat zu machen, "für dessen Regime heute die überwältigende Mehrheit einer Nation" eintrete.

Zudem nutzte Hitler das Huss-Interview dazu, wieder einmal zu versichern, dass er nach der Rückkehr des Saargebietes zu Deutschland "keine territorialen Forderungen mehr an Frankreich" stellen werde: "Ich tue es, um durch dieses schwerste Opfer beizutragen zur Befriedung Europas." Das war natürlich glatt gelogen, Hitler als Revanchist hatte nicht vor, Elsass-Lothringen den Franzosen zu überlassen - und im Zuge der Westfeldzugs-Planungen wurde dann sogar erwogen, ganz Burgund als altes "Reichsland" zu annektieren. Frankreich sollte so oder so zerstückelt werden, prominent beteiligt an solchen Planungen: Konrad Adenauers späterer Kanzleramtschef Hans Globke.

Spaziergang mit dem "Nazi-Fuehrer"

Pierre J. Huss hat seine Begegnung mit Hitler auf dem Obersalzberg 1942 - da war er wieder zurück in den USA - in seinem Buch "Heil! and Farewell!" noch einmal blumig und mit allerlei Hitler-Psychologien geschildert, ohne genauer auf die Vorgeschichte dieses Interviews einzugehen. Er schildert seinen Spaziergang mit dem "Nazi-Fuehrer", bei dem er mit Hitler und dessen "großem ungarischen Hund" durch den tiefen Schnee gestapft sei und Hitler ihn gebeten habe, einen Schneeball zu formen und diesen durch die Luft zu werfen: "Hitler zog eine Automatikwaffe und schoss zielsicher auf meinen Schneeball. Einen Sekundenbruchteil, nachdem der Schuss ertönte, platzte der Schneeball in der Luft, von der Kugel zerfetzt. Ich wirkte wohl etwas skeptisch, denn Hitler forderte mich auf, einen weiteren Schneeball zu werfen. Betulich schoss er und, so schien es mir, fast ohne zu zielen, doch der Schneeball wurde gewaltsam in der Luft zerfetzt."

Hitler habe ihm bei dieser Gelegenheit noch verraten: "Ich glaube, ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich gegenwärtig einer der wenigen vielseitigen Schusswaffenkenner der Welt bin." Solche Episoden mag man glauben oder nicht - jedenfalls fand Huss 1942 die Zeit, Hitler für sein angloamerikanisches Publikum im Grundsatz als den programmtreuen Fanatiker darzustellen, der er war. Allerdings ließ er nicht durchblicken, dass Hitler und seine PR-Leute in Anbahnung und Autorisierung die Deutungshoheit über solche Interviews hatten, erst recht, wenn sie in deutscher Übersetzung durch das DNB und den Völkischen Beobachter verbreitet wurden.

Verwickelte Familiengeschichte

Hitler als Führerphänomen ist kein Geheimnis, dabei aber weder durch die Erforschung familiärer Hintergründe noch durch ausgefeilte Psychopathologien gewinnbringend zu erklären. Schon die Journalisten seiner Zeit erkannten, dass die Familiengeschichte mit all den Hiedlers, Hüttlers und Schicklgrubers zwar verwickelt ist, Hitler aber nicht der einzige Sprössling des Waldviertels mit einem autoritären Vater und ausgeprägter Mutterverehrung gewesen sein dürfte.

1934 fuhren John Gunther und sein Kollege Marcel Fodor, der für den "Manchester Guardian" schrieb, in das niederösterreichische Dorf Spital, um Verwandte des NS-Herrschers aufzufinden - Cousins und Tanten, aus denen aber nicht viel herauszubekommen war. Die Ergebnisse der Familienrecherchen waren für die Reporter enttäuschend. Sie sahen einige Kindheitsfotos von Adolf und seiner Mutter, als diese bereits ihrem Lebensende nahe war. Außerdem fanden sie heraus, dass seine Mutter Dienstmädchen im Haushalt der zweiten Frau von Hitlers Vater gewesen sei. "Und das beweist was?", fragte Gunther. "Ich sag dir die Wahrheit - gar nichts", gab Fodor zu. (...)

Wer fragt wen was auf welche Weise mit welchem Effekt?

Interviews gehören seit dem 19. Jahrhundert zum Standardrepertoire des professionellen Journalismus; als Pionier des journalistischen Interviews gilt allgemein der Verleger James Gordon Bennett (1795 - 1872), gebürtiger Schotte, Herausgeber und Gründer des Massenblatts "New York Herald", der 1839 den US-Präsidenten Martin van Buren interviewte. Manche Presseforscher nennen auch den Vorkämpfer gegen die Skavenhaltung Horace Greeley, dessen 1859 in der New York Tribune abgedrucktes Gespräch mit dem Mormonenpropheten Brigham Young als das weltweit erste in der heute üblichen Frage-und-Antwort-Form gilt.

Die Formen des Interviews sind so vielfältig wie das Berufsfeld und seine Handlungsrollen selbst. Sie können im Prinzip nach der berühmten, etwas abgewandelten Formel des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Harold Dwight Lasswell analysiert werden: "Wer fragt wen was auf welche Weise mit welchem Effekt (und wann)?" Es kann protokollierte Rechercheinterviews geben, die gar nicht zur Veröffentlichung vorgesehen sind, kurze Einvernahmen zu aktuellen Themen, ausladende und längere biografische Gespräche mit Künstlern und Popstars, sachliche Interviews mit Naturwissenschaftlern über ihre Forschungsergebnisse oder Bekenntnisinterviews mit Skandalcharakter.

Verstärkende Prominenzeffekte

Ohnehin ist zu berücksichtigen, dass es - viel häufiger als vom Publikum angenommen - bestellte Gespräche gibt, mit denen der Interviewte eine bestimmte Botschaft zu verbreiten sucht. In diesem Sinne kann man von Push-Interviews sprechen, bei denen die Initiative vom Interviewten ausgeht, und von Pull-Interviews, bei denen die Medienorganisation initiativ wird. In der Fragetechnik sind die Grenzen zu Befragungen in Kriminalistik, Justiz oder sozialwissenschaftlicher Recherche fließend, wobei die formellen Trainings, etwa good cop, bad cop bei der Polizei, in letzteren Bereichen mutmaßlich strukturierter sind als an Journalistenschulen.

Zwischen Interviewern und Interviewten wirken oftmals sich wechselseitig verstärkende Prominenzeffekte: Wirklich mächtige politische Führungsfiguren können sich häufig ihre journalistischen Interviewpartner aussuchen, während für Starjournalisten die Liste der Diktatoren, Staatschefs oder Topterroristen, die sie getroffen haben, zu Standardangaben in ihren professionellen Biografien gehört, ob nun die von Barbara Walters, Walter Cronkite oder Christiane Amanpour in den USA oder die von Jean-Pierre Elkabbach, Christine Ockrent oder Patrick Poivre d’Arvor ("PPDA") in Frankreich.

Möglichkeiten der Gesprächsanbahnung

"When big names talk, they talk to the BBC", so lautet ein markanter Werbespruch für die renommierte BBC-Sendung "Hardtalk". Hugh Hefners Machoblatt "Playboy" konnte sein Image mit gehaltvollen Interviews aufmöbeln, Andy Warhol gab die Zeitschrift "Interview" heraus, in Spielfilmen wie "Interview" (Steve Buscemi, 2007), "Frost/Nixon" (Ron Howard, 2008) oder "The Interview" (Evan Goldberg, 2014) werden die Möglichkeiten der Gesprächsanbahnung und Konversationsführung unterhaltsam durchgespielt.

Für den deutschsprachigen Raum mag man die "Spiegel"-Gespräche, Günter Gaus’ präzise vorbereitete, philosophisch-biografische TV Interviews in "Zur Person", André Müllers in diversen Qualitätszeitungen zu findende psychologistische Zudringlichkeiten oder Roger Willemsens Frage-Antwort-Schnellfeuer in der Premiere-Sendung "0137" nennen. (...)

Beziehungen zwischen Hitler und Mussolini

Die journalistischen Interviews mit Hitler haben im 21. Jahrhundert ein verstärktes Interesse gefunden; 2019 hat Eric Branca in Frankreich 16 Interviews mit Hitler ediert, kommentiert und mit einer Einleitung versehen. Ganz so vergessen, wie es der Titel seines Buchs suggeriert ("Les entretiens oubliés d’Hitler 1923 - 1940"), waren diese allerdings nicht.

Wolfgang Schieder hat in seinem Werk über die Beziehungen zwischen Hitler und Mussolini auf viele der Gespräche von italienischen Journalisten mit dem NS-Diktator zurückgegriffen. In vielen Hitler-Biografien kommen weitere Interviews mit Reportern aus anderen Ländern zur Sprache.

Obskure frühe Interviews

Schon 2007 hatte der "Guardian" das Hitler-Interview von George Sylvester Viereck (1923/32) in seine Broschürenreihe "Große Interviews des 20. Jahrhunderts" aufgenommen (...). Und im Oktober 2019 entdeckte das dänische Blatt "Arhus Stiftstidende" in seinem Archiv ein frühes Interview vom November 1922 wieder, in dem Hitler den bislang nicht näher zu identifizierenden Interviewer gleich eingangs fragte: "Sind Sie Jude?" Außerdem habe Hitler schon damals, bezogen auf die Judenfrage, mit dem Zitat geantwortet: "Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag’ ich dir den Schädel ein."

Das angeblich in der damaligen Münchener NSDAP-Geschäftsstelle (Corneliusstraße 12) geführte Gespräch ist allerdings ebenso obskur wie alle frühen Hitler-Interviews; es ist nicht mehr zu eruieren, was dort wirklich gesagt wurde. Dass Hitler aus seiner rabiaten antisemitischen Einstellung in solchen Gesprächen kein Geheimnis machte, ist allerdings konsistent. (...)

Debatten um "nützliche Idioten"

Unser Thema hat darüber hinaus eine Aktualität, die sofort einsichtig ist: die multiple Vereinnahmung von Medienkanälen im In- und Ausland durch Diktatoren, Autokraten, Geschichtsrevisionisten und Populisten aller Schattierungen. Das betrifft publizistische Institutionen des bürgerlichen Spektrums wie auch schwer zu regulierende Social-Media-Plattformen, die für Propagandaanstrengungen bis hin zu Diversionen und Angriffen von "Trollfabriken" im Rahmen der psychological warfare besonders anfällig sind.

Die Debatten um "nützliche Idioten" in den etablierten Medien, die bewusst oder unfreiwillig politisch extreme Einstellungen verstärken, indem sie Polit-Rabauken - häufig mit der wohlfeilen Intention, diese zu demaskieren - "eine Bühne bieten" oder überhaupt intensiver über sie berichten, haben sich mit den Wahlerfolgen rechtsideologischer Parteien in ganz Europa verschärft. Sie wären etwa mit einer kommunikationshistorischen Analyse über den Aufstieg des Le-Pen-Clans in Frankreich zu präzisieren.

Materialien gibt es bereits in Hülle und Fülle über die medial-politischen Karrieren des unsanft geendeten FPÖ-Führers Jörg Haider (1950 - 2008) in Österreich oder des langlebigeren Silvio Berlusconi (1936 - 2023) in Italien. In Deutschland tobt eine zirkuläre Diskussion über die Präsenz von Vertretern der Alternative für Deutschland (AfD) in öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows oder "Sommerinterviews" von ARD und ZDF, wobei Befürworter eines normalisierten Umgangs mit solchen Figuren gern und schlicht darauf verweisen, diese seien schließlich demokratisch gewählt und der beitragszahlende TV-Nutzer (und AfD-Wähler) habe ein Anrecht darauf, diese auch in solchen Formaten zu sehen. (...)

Unheimliche Parallelen

Nachdem er Volker Ullrichs Hitler-Biografie zum zweiten Mal gelesen hatte, kam der US-Schriftsteller T. C. Boyle in einem "Stern"-Interview (Februar 2024) zu dem Schluss, dass es zwischen Donald Trump und Hitler "unheimliche Parallelen" gebe, denn auch Trump ("ein zutiefst skrupelloser, moralisch verkommener Machtmensch", "Trump ist ein Faschist") manipuliere die Menschen so stark mit Fake News, Propaganda und Hass auf Minderheiten, "dass sie am Ende gar gegen ihre eigenen Interessen wählen".

Zwar hatte Trump bereits während seiner ersten US-Präsidentschaft noch schärfere Möglichkeiten als der NS-Diktator, legacy media wie CNN, "New York Times" oder "Washington Post" via Social Media links liegen zu lassen, verbunden mit härtesten Beleidigungen für ohnehin verunsicherte Journalisten dieser publizistischen Eliteinstitutionen. Aber auch hier sind die Differenzen augenfällig: Trump ist ein rich kid, obskurer Immobilieninvestor, Reality-TV-Moderator und internationalen militärischen Interventionen eher abgeneigt. Hitler war all dies, schon biografisch, nicht.

Panem et circenses

Allerdings ist T. C. Boyles Hinweis auf kommunikationsstrategische Verfahren, auf Gegner-Definitionen, auf das Politmarketing mit Schablonierungen und unterkomplexen Vereinfachungen sicherlich korrekt. Nahezu alle Diktatoren, Autokraten, Sekten- und Religionsführer in der Geschichte haben Aufstieg und Herrschaft mit kommunikativen Kontrollregimen, geschichtspolitischen Revisionen, panem et circenses und einer mehr oder weniger ausgefeilten psychologischen Beobachtung ihrer realen und potenziellen Anhängerschaft bewältigt. Dafür nutzten sie die jeweils gegebenen medialen Mittel, etwa Gedenkfeiern, Zeichengebungen, Slogans, Aufmärsche und Demonstrationen im Wortsinn.

Auch Hitlers Interviews waren Teil einer solchen Gesamtstrategie unter dem Gebrauch von Funktionsweisen der modernen Journalistik. Bloß scheiterte diese Überredungsstrategie letztlich an den real- und militärpolitischen Fakten beziehungsweise an den Grenzen des Glaubens an jegliche Propaganda. "Im Felde unbesiegt", das stimmte schon für den Ersten Weltkrieg nicht, für den Zweiten noch viel weniger. (...)

Egomanie und Solipsismus

Schon in seiner signifikanten Reichstagsrede vom 11. Dezember 1941, in der Hitler für das Deutsche Reich den USA den Krieg erklärte und in der er US-Präsident Franklin D. Roosevelt, wie auch dessen mittelbaren Amtsvorgänger Woodrow Wilson, als geisteskrank einstufte, hatte er deklamiert: "Ich kann sagen, daß für mich der Krieg seit dem Jahre 1914 kein Ende gefunden hatte. Ich habe weiter gekämpft, wie ich erst wieder reden konnte, und bin landauf, landab gezogen, von Ort zu Ort, von Stadt zu Stadt und habe nur geredet, geredet und wieder geredet und gearbeitet, immer nur mit dem einen Gedanken, das deutsche Volk aus dieser Zersplitterung zu erlösen, aus seiner Lethargie herauszureißen, es aus seinem Schlaf zu bringen und wieder zusammenzufassen."

Außerdem bekannte Hitler ziemlich offen, dass er auf den meisten Gebieten keine Berater oder überhaupt irgendwelche Experten brauche: "Bei mir genügt immer mein Kopf ganz allein. Ich habe keinen Gehirntrust zur Unterstützung notwendig. Wenn also wirklich eine Veränderung irgendwo stattfinden soll, dann entsteht das zunächst in meinem Gehirn und nicht im Gehirn anderer, auch nicht bei Experten." Über diese Art von Egomanie und Solipsismus hätten auch die Hitler-Interviewer, ganz gleich, was sie ihn fragen würden, informiert sein können, bei allen unterschiedlichen Interessenlagen der Verlagshäuser und einzelner Journalisten.

infobox: Lutz Hachmeister, "Hitlers Interviews - Der Diktator und die Journalisten", Kiepenheuer& Witsch. 384 Seiten, 28 Euro

dir



Zuerst veröffentlicht 02.03.2025 10:10

Schlagworte: Medien, Dokumentation, Journalismus, Mediengeschichte, Hitler, Hachmeister

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