16.03.2025 12:50
epd Wer die Nachfolge von Annalena Baerbock als deutsche Außenministerin antritt, ist noch offen. Aber dass sich eine von Friedrich Merz (CDU) geführte schwarz-rote Koalition eine feministische Außenpolitik auf die Fahnen schreiben wird, ist eher unwahrscheinlich. Der sehenswerte Dokumentarfilm von Nicola Graef zieht also auch eine Art Bilanz nach der dreijährigen Amtszeit der Grünen-Politikerin. Wohltuend ist der differenzierte und kritische Tenor des Films, in dem die Autorin nicht nur auf eigene Kommentare verzichtet, sondern auch Pöbeleien und Diffamierungen keine Bühne bietet, sieht man von einigen wenigen Zitaten aus den sozialen Netzwerken ab.
"Außenpolitik am Limit" ist ein treffender Titel. Die internationale Politik rückte in der Zeit der Ampelregierung stärker in den Fokus als in den Jahren zuvor. Im Februar 2022 begann die Invasion Russlands in der Ukraine. Im September 2022 löste der Tod von Jina Mahsa Amini eine Protestbewegung im Iran aus, die das Regime mit einer Verhaftungs- und Hinrichtungswelle niederschlug. Am 7. Oktober 2023 verübte die Hamas ein Pogrom in Israel und entführte 250 Menschen, worauf die israelische Regierung mit massiven Angriffen auf den Gaza-Streifen reagierte. Der Krieg im Nahen Osten und die verschiedenen Aspekte der deutschen Politik kommen hier zwangsläufig zu kurz. Und der Umsturz in Syrien oder auch das wichtige Verhältnis zur Türkei werden gar nicht erst thematisiert.
Was konnte die deutsche Außenministerin in einer solchen Zeit politisch bewirken? Sie hatte sich "feministische Außenpolitik" auf die Fahnen geschrieben, doch was bedeutet das konkret? Baerbock selbst definiert den Begriff mit drei Stichworten, die in weiten Teilen der Erde wie Fernziele anmuten: gleiche Rechte, gleiche Ressourcen, gleiche Repräsentanz. Immer wieder spricht sie in ihren Reden über die Situation von Frauen und Kindern, nennt Beispiele, versucht Anteilnahme und Betroffenheit zu wecken.
"Nicht nur in Floskeln kommunizieren", hat sie sich vorgenommen - und hält dieses Versprechen auch ein. Auf dem diplomatischen Parkett eckt sie damit an, etwa als sie Pekings Machthaber Xi Jinping als "Diktator" bezeichnet. Während Menschenrechtsaktivisten ihren Mut loben, fürchten andere, dass Baerbock mit einem solchen Auftreten eher Schaden anrichtet.
Im Film werden zwar aus dem Archiv auch mal Politiker wie Norbert Röttgen (CDU) zitiert oder ein Ausschnitt aus einer Bundestagsdebatte gezeigt, aber bei den eigenen Interviews stützt sich die Autorin mehrheitlich auf Expertinnen, Aktivistinnen, Journalistinnen und Außenministerinnen wie Mélanie Joly (Kanada) und Donika Gërvalla-Schwarz (Kosovo). Graef ist auch mit der Kamera dabei, wenn sich am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz ein halbes Dutzend Außenministerinnen trifft - ein kleines weibliches Netzwerk inmitten der männlich dominierten Außenpolitik. Gërvalla-Schwarz bemerkt, mit Frauen lasse sich oft "über die Dinge ganz anders, ohne Ego und ohne Überheblichkeit" reden.
Allerdings wird Baerbock von manchen moralische Überheblichkeit vorgeworfen. "Was China am wenigsten braucht, ist ein Lehrmeister aus dem Westen", entgegnet Außenminister Qin Gang bei ihrem Besuch in Peking. Grundsätzliche Kritik äußert im Film zum Beispiel Nicole Deitelhoff vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung. Sie bezeichnet es zwar als "großartige Leistung", dass Baerbock es in einer Phase massiver Krisen überhaupt geschafft habe, feministische Außenpolitik zu formulieren. Doch es sei "relativ wenig" umgesetzt worden. Deitelhoff spricht von einer "leeren Formel, die in ihr Gegenteil umschlägt, weil sie nicht mehr ernst genommen wird".
Die Politikwissenschaftlerin kritisiert nicht nur Baerbocks Auftreten gegenüber China, sondern auch allgemein ihre Art zu reden. Sie bringe "eine Art moralische Grundnote" in die Außenpolitik, "die dort nicht gänzlich gut aufgehoben ist".
Diese Frau steht immer für uns alle ein.
Den Gegenpol bildet die Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal, die sich mit ihren Schwestern für die vom Islamischen Staat (IS) verfolgten Jesidinnen und Jesiden engagiert. "Diese Frau steht immer für uns alle ein", sagt sie über Baerbock und bezeichnet feministische Außenpolitik als "Gegengewicht zur Zerstörungs-Energie von Erdogan, Putin, Trump". Als Beispiel für ein Projekt feministischer Außenpolitik berichtet der Film, wie ein von einer Frau geführtes Unternehmen in der irakischen Region Kurdistan mit der Lieferung von Nähmaschinen unterstützt wird.
Und auch Kritiker der zu laschen Haltung Deutschlands gegenüber dem iranischen Regime halten Baerbock zugute, dass sie bei den Vereinten Nationen eine unabhängige Fact-Finding-Mission zur Situation der Menschenrechte durchsetzen konnte. Welchen Einfluss Baerbock als erste Außenministerin Deutschlands in den internationalen Krisen geltend machen konnte, bleibt aber letztlich unterbelichtet.
Graefs Film ist auch eine Reise um die Welt, mit Baerbock im Flugzeug und im Zug, bei den Vereinten Nationen in New York und Genf, im Westjordanland und Israel, in der Ukraine und im Irak, mit Rede-Ausschnitten und Beobachtungen am Rande offizieller Treffen. Das Amt hat die Grünen-Politikerin erkennbar viel Kraft gekostet. Dass sie sich einen Panzer wie einst der homosexuelle Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zugelegt habe, davon spricht Barbara Kostolnik vom ARD-Hauptstadtstudio.
Baerbocks Erbe liegt wohl darin, dass sie immer wieder - und leider oft vergeblich - den Schutz der Zivilbevölkerung einforderte. Es gebe keine dauerhafte Sicherheit, "wenn Frauen und Kinder nicht sicher sind", sagte sie. Auch die Politik ihres Nachfolgers - oder ihrer Nachfolgerin - muss sich unter anderem an diesem Ziel messen lassen.
infobox: "Außenpolitik am Limit", Dokumentation, Regie und Buch: Nicola Graef, Produktion: Graef Screen Productions (Arte/WDR, 4.3.25, 23.50-1.20 Uhr, Arte-Mediathek bis 2.4.25)
Zuerst veröffentlicht 16.03.2025 13:50 Letzte Änderung: 18.03.2025 14:48
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, Dokumentation, Baerbock, Graef, Gehringer, NEU
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