Mehr Kunst als Verstand - epd medien

18.03.2025 09:14

In der Dokumentation "Sandra Hüllers Geheimnis" von Arte und BR nähert sich Antje Harries der vielfach ausgezeichneten Schauspielerin an und vermittelt ein Gefühl für deren Kunst.

Sandra Hüller auf dem roten Teppich bei den Internationalen Filmfestspielen 2023 in Cannes

epd Der Titel dieser Dokumentation klingt reißerisch: "Sandra Hüllers Geheimnis". Antje Harries geht in diesem Film jedoch nur der seriösen Frage nach, worin das Geheimnis von Sandra Hüllers Schauspielkunst liegt. Um es vorwegzunehmen: Nichts Genaues weiß man nicht. Hüller selbst, bekannt aus "Toni Erdmann" oder "Anatomie eines Falls" fühlt sich dazu nicht wirklich auskunftsfähig. Denn die Aneignung einer Rolle ist bei ihr kein verstandesmäßig gesteuerter Prozess, den sie erklären könnte. Vielmehr dringe eine Rolle in einem unbewussten Vorgang in ihr "System" ein, sagt sie im Interview.

Ist eine Figur einmal in Hüllers "System", agiert sie als entschlossene Verteidigerin der Person, die sie darstellen soll. Das ist nicht immer angenehm. In "The Zone of Interest" zum Beispiel spielt sie Hedwig Höß, die Frau von Rudolf Höß, des Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz, die sich zwar intensiv ums Gedeihen ihres Gartens und ihrer Kinder kümmert (in dieser Reihenfolge), die über die Gartenmauer zu hörenden Geräusche des KZ aber ausblendet.

Energie und Präsenz

Das Geheimnis der Sandra Hüller, die oft ambivalente Rollen spielt (oder Figuren Ambivalenz verleiht), wird also nicht gelüftet. Man darf wohl sagen: Was man zwar spüren, aber mit Worten nur unzureichend erklären kann, macht "Kunst" wohl aus. Wer ihr zusieht, spürt, dass Hüller eine Künstlerin ist. Das bestätigen Weggefährtinnen und Weggefährten wie die hier befragten Regisseurinnen und Regisseure, unter anderem Justine Triet oder Johan Simons oder Schauspiel-Kollegen wie Jens Harzer oder Franz Rogowski.

Ihr Spiel wird von den Interviewten mit großer Übereinstimmung beschrieben. Allem voran werden ihre besondere Energie und Präsenz genannt. Man scheint sich auch darin einig, dass Hüller sich selbst und damit viel Heutiges in ihre Figuren einbringe. Sie sei schamlos im positiven Sinn, sie achte nicht darauf, ob sie selbst in einer Rolle vorteilhaft rüberkommt. Hüllers Berufskollege Jens Harzer sagt, dass es ihr auch schon zu viel geworden sei. Kleists Penthesilea wollte sie irgendwann nicht mehr geben, berichtet Harzer, der an ihrer Seite in Bochum den Achilles spielte. Er hätte gerne weitergemacht.

Hüller sagt, das Theater stehe ihr näher als der Film, Film funktioniere aber besser mit Familie. Aha, sie hat also eine Familie. Das war aber auch fast schon alles, was man über ihr Leben erfuhr. Die übrigen biografischen Informationen stammten aus der Vergangenheit: 1978 in der DDR geboren, wurde ihr Talent im Theaterkurs der Schule gefördert. Schon als sie im Kindergarten einen Zwerg zu spielen hatte, nahm sie sich vor, eines Tages das Schneewittchen zu sein.

Ambiguitätstoleranz

Das hat sie geschafft. Weil sie es kann. Bei der Schauspielschule (Ernst Busch) war sie "oft nicht da", wie sie sagt. Inzwischen ist sie ein Superstar, sie schreitet in Cannes und Los Angeles als Nominierte über die roten Teppiche - und gewinnt. Ohne ein klassischer Model-Typ zu sein, wurde sie für glanzvolle Modeaufnahmen gebucht und zierte das Cover der "Vogue". Ihre Prominenz setzt sie inzwischen für Demokratie und Seenotrettung ein. Sie findet, die ganze Prominenz solle doch auch für etwas gut sein.

"Ambiguitätstoleranz", sagt Hüller, sei ein schönes Wort. Was sie vermutlich meint - sie ist eher eine Frau des Spiels als der Sprache, wie in der Doku anklingt - ist die Fähigkeit, mit Widersprüchen, Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten umzugehen. Ist das ihr Geheimnis?

Antje Harries ist mit dieser angenehm unprätentiösen Doku mit Interviews und Ausschnitten aus Filmen und Theaterstücken die Annäherung an Hüllers Wesen gelungen, obwohl diese eigentlich nicht viel von sich preisgeben wollte - über das hinaus, was sie auf der Bühne und im Film ohnehin schon von sich zeigt. Am Ende hat man ein Gefühl für Sandra Hüller. Ein gutes.

infobox: "Sandra Hüllers Geheimnis", Dokumentation, Regie und Buch: Antje Harries, Kamera: Paul Georg Busse, Leo Eßbach, Markus Schmidt u. a. (Arte/BR, 7.3.25, 22.15-23.10 Uhr, Arte-Mediathek bis 5.4.25)



Zuerst veröffentlicht 18.03.2025 10:14 Letzte Änderung: 19.03.2025 14:58

Andrea Kaiser

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, KBR, Hüller, Dokumentation, Harries, Kaiser, NEU

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