19.03.2025 10:05
epd "Blüh wie das Veilchen im Moose, sittsam, bescheiden und rein ..." ist ein Spruch, mit dem noch in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts viele junge Frauen aufgewachsen sind. Dahinter steckt das jahrhundertelang vorherrschende Ideal, dass Frauen möglichst wenig auf sich aufmerksam machen sollten. Die 3sat-Dokumentation "Zu viel, zu laut, zu Frau" setzt dem etwas entgegen und beginnt mit einem engagierten Statement der Schauspielerin Stefanie Reinsperger zu persönlichen und auch medialen Übergriffigkeiten auf ihre eigene weibliche Persona - weil sie sich nicht bescheiden zurückhält und auch weil sie ein paar Kilo mehr auf die Waage bringt.
Die renommierte Darstellerin und Burgtheater-Schauspielerin Reinsperger, die seit 2021 auch im Dortmunder "Tatort" zu sehen ist, trat 2022 mit dem Buch "Ganz schön wütend" an die Öffentlichkeit. Sie führt im On und Off durch den Film. Auf einem Tisch eines Wiener Kaffeehauses breitet sie die Bücher von vier Frauen aus, die "angeblich zu viel" sind und kündigt an, dass sie diese näher kennenlernen möchte.
Diese vier, allesamt Österreicherinnen, sind die feministische Journalistin und Fotografin Alex(andra) Stanic ("zu fordernd"), Sängerin, Model, Schauspielerin und Content-Creatorin Phenix, die sich zuerst als "angeblich zu sexy" vorstellt, dann aber doch "zu selbstbewusst" auf den Gummiball schreibt, den Reinsperger jeder Protagonistin als Regie-Idee in die Hand drückt. Autorin Mareike Fallwickl landete mit ihrem Carearbeit-Corona-Rache-Roman "Die Wut, die bleibt" einen feministischen Bestseller und agitiert im Film in einem T-Shirt mit der Aufschrift "Riots not Diets" auf einer Lesebühne. Wenn sie sich selbst als "zu unbequem" bezeichnet, stinkt das doch etwas wie Eigenlob.
Dann ist da noch - in Tätigkeit und Alter aus der Reihe - Gexi Tostmann ("angeblich zu ehrgeizig"), die gemeinsam mit ihrer Tochter die gestandene Trachtenfirma Tostmann führt und auch mit über 80 Jahren im Geschäft noch täglich Hand anlegt. Ihr Motto "Ja-Sagen zum Frausein ist die eigentliche Emanzipation" klingt beim ersten Hinhören gerade im Zusammenhang mit dem Dirndlwesen schlimm essentialistisch, erklärt sich aber, wenn die Unternehmerin sich pragmatisch gegen einen von ihrem Bruder realisierten Führungsstil mit Hierarchien und Dauer-Meetings positioniert: Eine Haltung, die nach dem Tode des Vaters erst zur geschwisterlichen Aufteilung des 1949 gegründeten Familienunternehmens und dann zur Übernahme des brüderlichen Teils durch Gexi führte.
Als Trenn-Elemente zwischen den einzelnen Stationen gibt es Befragungen von Passantinnen und Filmbilder gewaltsamer Zerstörung, die zwischen feministischen Klischees (brennende Pumps oder zertrümmerte Make-Up-Schälchen) und Beliebigkeit (zerberstende Gläser) oszillieren. Doch warum wird ausgerechnet eine Tastatur zertrümmert, so als könnte das harmlose (und gut für feministische Inventionen nutzbare) Gerät etwas für all die Beleidigungen und Hate Speech, die gegen Frauen durch das Netz geistern? Und warum sind die Bilder, die Alex Stanic von Reinsperger bei einer Fotosession macht, um dem "male gaze" etwas entgegenzusetzen, im Film nie zu sehen?
Sie habe mit ihrem Team versucht, den Film "möglichst unterschiedlich" zu besetzen, sagte Filmemacherin Catharina Cleber, sei dann aber doch insofern gescheitert, dass nur Weiße Frauen zu Wort kämen. Störender aber ist vielleicht, dass alle (bis auf die Gexi Tostmann, die aber auch schon ein Buch veröffentlicht hat) als Darstellerinnen oder Autorinnen Erfahrungen mit medialer Selbstpräsentation haben. So kommen von misogynen Projektionen besonders stark betroffene Frauen aus der Politik - vielleicht aus Proporzgründen? - gar nicht vor.
Und auch wenn die dramatischen neueren Entwicklungen in Österreich, Deutschland oder den USA zur Drehzeit nur als Bedrohung sichtbar gewesen sein dürften, hätte sich die Autorin unbedingt mehr politische Inhalte erlauben müssen. So bleibt viel im Vagen. Am Ende werden die Bällchen mit den Begriffs-Festschreibungen zwar symbolisch losgelassen. Doch wenn Stefanie Reinsperger sagt, wir Frauen könnten auch "wunderschön wütend" sein, klingt schon wieder eine neue Normierung an.
infobox: "Zu viel, zu laut, zu Frau", Dokumentation, Regie und Buch: Catharina Kleber, Kamera: Alexander Fontana, Roman Litschke u. a., Produktion: Holyscreen Media (3sat/ZDF 8.3.25, 19.20-20.00 Uhr und in der 3sat-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 19.03.2025 11:05
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), K3sat, Dokumentation, Kleber, Hallensleben
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