Überpräsente Presenter - epd medien

21.03.2025 09:05

Kultur und Bildung sind seit der Gründung der öffentlich-rechtlichen Sender wesentliche Säulen des Auftrags und damit des Programms. Mit dem Dritten Medienänderungsstaatsvertrag, der am 1. Juli 2023 in Kraft trat, hat die Medienpolitik den Kulturauftrag von ARD und ZDF auf dem Papier aufgewertet. Wie schlägt sich das im Programm nieder? Heike Hupertz hat sich Kultursendungen angeschaut und festgestellt, dass die Kultur im Fernsehen immer weiter in die digitale Nische abgeschoben wird.

Kulturfernsehen bei ARD und ZDF

Jo Schück ist der präsenteste Presenter in Kulturformaten des ZDF

epd Kürzlich beim ZDF-Kulturmagazin "Aspekte": Der Moderator geht baden. Nicht allein, sondern zusammen mit dem Bestsellerautor Bas Kast, dem "Ernährungspapst", der gerade ein Buch darüber geschrieben hat, warum er keinen Alkohol mehr trinkt. Es verkauft sich wie geschnitten Brot. Mit einer Axt machen sich beide auf zum zugefrorenen Teich im winterlichen Park. Entkleiden sich weitgehend. Dann dürfen die Zuschauer frierenden Männern oben ohne beim Eisbaden zusehen. Dabei reden sie, der Schriftsteller und der Moderator. Der fragende frierende Mann ist Jo Schück, der präsenteste Presenter von Kultur-Formaten im ZDF.

Der Fokus liegt weniger auf dem Inhalt des Gesprächs als auf der Inszenierung. Eigentlich geht es bloß um einen Buch-Tipp, der oberkörperfrei präsentiert wird. Am Schluss der "Aspekte"-Sendung zum Thema Verzicht steht Schück wieder am Teich, das Fernsehteam ist jetzt auch im Bild. Aber natürlich ist vor allem Schück zu sehen, der als humorigen Rausschmeißer seine Askese auf die Spitze treibt. Verzichten könne man doch auch auf das Team, sagt er. Ein sich selbst filmender Schück, mit Smartphone, das reiche doch. Hihi, Sparpotential im Kulturfernsehen, da wird es munter in den Anstalten.

Buchtipp mit Eisbaden

Verständlich, dass Jo Schück meint, er sei Kulturprogramm genug. Seit das ZDF die Presenter im Kulturfernsehen eingeführt hat, wird deren Präsenz immer penetranter. Das Anliegen mag ursprünglich ehrenwert gewesen sein: Wer will schon Kultur-Frontalunterricht im Fernsehen oder in den Mediatheken sehen?

In den 60er Jahren forderte Bert Donnepp, der Erfinder des Grimme-Preises und Gründer des Grimme-Instituts, dass Fernsehen Volkshochschule im Bewegtbild sein soll, das war damals innovativ. Aber spätestens seit den 90er Jahren ist "Volkshochschule" in den Redaktionen von ARD und ZDF so ziemlich das schlimmste, was über einen Beitrag gesagt werden kann.

Es ist angemessen, mit Gesprächspartnern spezifische Orte aufzusuchen, die inspirieren und etwas bedeuten. Doch immer öfter schiebt sich im Kulturfernsehen, vor allem in den Kulturmagazinen, die "nach draußen" gehen, der Ort vor das Besprochene. Eisbaden zum Abstinenz-Buchtipp, das ist repräsentativ dafür, wie Kultur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vermittelt wird. (Bei den Privatsendern war die Nische Kultur lange von Alexander Kluge und "10 vor 11" besetzt, doch seit er die Sendung aufgegeben hat, herrscht dort in Sachen Kultur weitgehend Funkstille.)

Nicht nur von Literatur sprechen

1965 erhielt der Redakteur Klaus Simon für die Dokumentation "Der Dichter und seine Stadt - James Joyce und Dublin" den Grimme-Preis. Es war einer der ersten Grimme-Preise, die verliehen wurden. Hans Janke, von 1983 bis 1989 Leiter des Grimme-Instituts in Marl, sagte 1989 in Heinrich Breloers Film "Jährliche Ermahnung", der Film von Simon sei ein Paradigmenwechsel für die Vermittlung von Literatur im Fernsehen gewesen. Da sei etwas Entscheidendes geschehen: "Dass das Fernsehen eine eigene Möglichkeit gefunden hat, nicht nur von Literatur zu sprechen, sondern eigene Mittel der Recherche gegenüber der Literatur, den Interpretationen von Literatur zu entwickeln, vor allem bildlich zu werden."

"Bildlich werden", auf diesen jeweils zu aktualisierenden Begriff lassen sich die Forderungen an das Kulturfernsehen im Laufe der Jahrzehnte bringen. Zwei halbnackte Männer, die beim Eisbaden über ein Sachbuch sprechen, das ist ein Bild. Aber reicht das?

Kultur stört den Programmfluss

Auf hervorragende Weise, so befand eine Grimme-Jury im Jahr 1967, gelang das "Bildlich werden" auch Georg Stefan Troller, der die Retro-Atmosphäre im Paris des Jahres 1925 bei "Shakespeare & Co" oder 1919 im beginnenden Jazz-Zeitalter einfing. Das ist fast 60 Jahre her. Aber an solchen Innovationen, Gestaltungsmöglichkeiten und -prinzipien scheint das Kulturfernsehen heute kaum noch interessiert zu sein. Kreativ hat es abgeschaltet.

Kultur im Fernsehen haftet der Ruch an, elitär zu sein, ein Quotenkiller. Sie stört den Programmfluss. Im Internet zeigen die Programm-Sammelsurien von ARD-Kultur und ZDFKultur (eine Kachel ganz unten in der ZDF-Mediathek), was man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen heute unter Kultur versteht. Hier versammeln sich politische und historische Reportagen, Geschichtsbeiträge, informative Dokumentationen. Würde man das nicht mitzählen, was eher Bildung, Information oder Unterhaltung zuzuordnen ist, wäre das Repertoire von ARD-Kultur und ZDFKultur sehr begrenzt.

Das beste Kulturmagazin

Natürlich lassen sich solche Grenzen nicht immer trennscharf ziehen, und sie haben auch nicht durchweg Sinn. Es würde aber deutlich, wie wenig Kultur im Fernsehen - außerhalb der Magazine "TTT", "Aspekte" und "Kulturzeit" - tatsächlich stattfindet.

Im vergangenen Jahr gab es lautstarke Proteste gegen die im Reformstaatsvertrag umrissenen Pläne der Medienpolitik, die Inhalte von 3sat in Arte aufgehen zu lassen oder in die Hauptprogramme zu überführen. Tatsächlich gibt es Inhalte bei 3sat, die einzigartig sind, auf die nicht nur Kulturinteressierte nicht verzichten wollten. So ist die "Kulturzeit" schon seit längerem unbestritten das beste Kulturmagazin aller öffentlich-rechtlichen Sender. Sehr zu Recht wurde das Magazin 2022 beim Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie "Beste Information" ausgezeichnet.

Verführung zum Denken

Doch schaut man sich das restliche Programm von 3sat an, kann man tatsächlich infrage stellen, ob das eigentlich noch ein Kulturprogramm ist. Ausgezeichnete Eigenproduktionen sind vor allem im Dokumentarischen zu finden, Reihen wie "Ab 18!" zum Beispiel. Tagsüber dagegen sieht man überwiegend Genusskultur oder Reisekultur. Sendungen wie "Zu Tisch in Lappland", "Tegernsee, da will ich hin", oder "Travel like a local - Kroatien" füllen da die Sendezeit.

Hans Janke, der von 1992 bis 2009 Fernsehfilmchef des ZDF war, sprach 1989 vom spezifischen Mehrwert, den das Kulturfernsehen, das seine eigenen Mittel wertschätzt, bieten kann: In den besten Stücken sehe man "nicht etwa einen ins Fernsehen transportierten Leitartikel, eine Rezension oder ein Gespräch mit einem Autor", sondern da zeige das Kulturfernsehen, "dass es immer wieder eigene Erkenntnismittel nutzt". Auch das sei "Fernsehen für alle", wie Fiktion und Unterhaltung. Keine Bildungshuberei sollte solches Kulturfernsehen prägen und kein professoraler, autoritärer Gestus.

Janke stellte sich Kulturfernsehen als Angebot für alle vor, Verführung zum Denken statt Nötigung zur Bewunderung. Er sah hier "haltbares Fernsehen", Bewegtbild mit der Lizenz zum Entdecken, so gestaltet, "dass etwas zum Betrachten entsteht, in dem man sich mal umtun kann".

Bloß nicht anstrengen

Aus dieser Aufforderung zur geneigten Zwanglosigkeit, der aufklärerischen Kulturbildung scheint inzwischen ein fast zwanghafter Impuls geworden zu sein, Offenheit zu vermeiden. Dass der Kultur mit der Lizenz zum Entdecken ein Moment produktiver Konfrontation oder Herausforderung des Rezipienten eigen ist, dass sie eigensinnig und auch sperrig sein muss, ist dem aktuellen Kulturfernsehen nicht mehr anzusehen.

Schlimmstenfalls ist an die Stelle gelungener Sperrigkeit ein seltsamer Originalitätszwang getreten. Kulturfernsehen als Kommunikationsangebot? Heutzutage heißt das, die Beiträge müssen besonders "niedrigschwellig" und "abholend" sein. Je weniger Sachkenntnis sie voraussetzen, umso besser. In dieser Logik führt paradoxerweise gerade "Niedrigschwelligkeit" zu Exklusion. Gefühlig wird argumentiert, Sachkenntnis könnte ängstigen. Anstrengung könnte ängstigen. Verstehen könnte ängstigen.

Auf den Hund gekommen

Stellvertretend sei hier die Dokumentation "Kafka und ich - Wer war der legendäre Schriftsteller?" genannt, die im vergangenen Jahr im Anschluss an die beeindruckende fiktionale Serie "Kafka" von David Schalko und Daniel Kehlmann lief. Hier ist die Kultur im Fernsehen auf den Hund gekommen. Zentral ist in "Kafka und ich" die Frage: "Was macht das mit mir?"

Die Sendung beginnt beim Fotografen, wo ein Hund neben Kafka posiert. Er spricht: "Das bin ich. Nicht der." "Der" ist Franz Kafka, das von Anna Thalbach gesprochene "Ich" ist der Hund: "Nicht gerade einfach, die Beziehung zu diesem Mann. Kann ich jetzt gehen?" Der Hund läuft auf den Friedhof, zu Kafkas Grab. "Bin irgendwie unsterblich. Franz hingegen ist tot." Angespielt wird auf die Erzählung "Forschungen eines Hundes". Kafka soll hier möglichst leicht verdaulich gemacht werden. Frei nach dem Amazon-Motto: "Wenn du das hier magst, wirst du auch Kafka lieben." Nichts radikal Anderes, nichts zum Abarbeiten, nichts zum Nachdenken oder Miteinander-Streiten. Das Fremde an Kakfas Sprache? Bloß nicht ängstigen!

Wie cool ist das bitte?

Thilo Mischke hatte in diesem Film, der "Geschichte und Werk des Schriftstellers auf neuartige Weise" interpretieren wollte, seinen ersten Auftritt als Kultursachverständiger im Ersten, lange bevor die Kulturverantwortlichen in der ARD auf die Idee kamen, er könnte ein geeigneter Presenter für "ttt - Titel, Thesen, Temperamente" sein. Mischkes "Nicht-Fachwissen" sollte den imaginierten Normalzuschauer umstandslos "abholen".

Auf Betriebstemperatur kommt der Investigativreporter in der Dokumentation bei der Erläuterung des "Briefs an den Vater". Das sei halt das "Privileg der Jugend. Jede Generation lehnt die Welt ab, so wie sie ist. Deswegen kann jede Generation auch wieder Kafka entdecken und für sich verwenden." Mischke als Kafka-Versteher: "Er wollte ja nie Weltliteratur werden. Er hat einfach nur ein Ventil gefunden. Und wie cool ist das bitte?"

Zumindest auf dem Papier wurde die Kultur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gestärkt. Mit dem dritten Medienänderungsstaatsvertrag, der 2023 in Kraft trat, ist die Verpflichtung der Öffentlich-Rechtlichen, Kultur in ihren Programmen anzubieten, an die erste Stelle gerückt, noch vor Bildung, Information und Beratung. Was Kultur ist, wird im Staatsvertrag so definiert: "Bühnenstücke, Musik, Fernsehspiele, Fernsehfilme und Hörfilme. Bildende Kunst, Architektur, Philosophie und Religion, Literatur und Kino." Die dem Radio eigene Kunstform Hörspiel fehlt in dieser Definition - wie die Medienpolitik überhaupt dazu neigt, das Radio als Kulturfaktor zu übersehen.

Marginalisierung der Kultur

Die Kultur, das schreibt der Medienstaatsvertrag vor, gehöre ins Hauptprogramm. ARD und ZDF überlesen das geflissentlich und schaffen digitale Nischen für die Kultur, wo sie unbemerkt entschlafen kann, ohne den Programmfluss zu stören.

Kultur müsste eigentlich ein "umkämpftes Feld" sein, schrieb der 2021 verstorbene Kritiker und Publizist Fritz Wolf. Kultur im Fernsehen (und auch sonst) konstituiert nicht nur die Darbietung und Erfahrung gewisser "kultureller Inhalte". Zentral ist die Möglichkeit kritischer Aufnahme und der Reflexion der Inhalte durch ganz unterschiedliche Formen und Gestalten. So verstanden ist Kulturfernsehen inklusiv, nicht exklusiv. Keine Angelegenheit akademischer Kreise und nichts Elitäres.

Die Öffentlich-Rechtlichen könnten sich trotz des Spardrucks Kulturprogramme mit kreativer Freiheit leisten. Kultur steht medienpolitisch viel weniger auf dem Prüfstand als anderes. Zu beobachten ist aber die weitere Marginalisierung der Kultur im Fernsehen durch "Digital First!".

Formatierungsschablonen

Das digitale Portal ARD-Kultur ist ein Gemischtwarenladen, in dem allerhand egaler "Content" dominiert, während im Linearen selbst bei Arte Formatierungsschablonen über alle möglichen Inhalte gelegt werden. Gestaltung wurscht, Konzept wurscht, Hauptsache prominente Talking Heads. Oder mit praktischem Nutzwert. Solche kulturelle Vermittlung hat auch ihre Daseinsberechtigung. Doch wenn sie zum großen Teil oder ausschließlich die öffentlich-rechtlichen Programme bestimmt, ist der gesellschaftsbildende, demokratiekonstituierende Ansatz der Kultur bedroht.

Wer Kulturprogramm nur aus der Negation macht, landet beim Mindestkonsens, selbst in sogenannten Leuchtturmprojekten. Wie in der ARD-Kultur-Eigenproduktion "For the Drama". In dieser Miniserie, halb Making-Of von Barry Koskys grellbunter "Fledermaus"-Operettenproduktion an der Bayerischen Staatsoper, halb fiktionaler "Così fan tutte"-Handlungsverschnitt, spielen zwei Schauspieler, Rosa und Gabriel, die Aufführungs-Zweitbesetzung und spiegeln die Bühnendramaturgie in ihrem Privatleben. Zwischendurch, in eingeschobenen Erklärsituationen, entfalten die wirklichen Sänger der Musiktheaterproduktion Auffassungen ihrer Figuren. Probenausschnitte sind zu sehen, Atmosphäre in den Gassen, Rosa und Gabriel entlieben sich, streiten, hoffen auf einen Auftritt. Das klingt nach Potential, gestaltet sich aber vor allem höchst zäh. Hier gibt es keine Reibung, es schlagen keine Funken.

Es fehlt an Mut

Entgegen den Versicherungen und dem Selbstlob aus Sendeanstalten ist der Zustand der Kultur im Fernsehen und im Digitalen beklagenswert. Es fehlt an Mut, keine Innovation, kein Wille zur Veränderung wird sichtbar. Die Idee der Verantwortlichen in den Häusern, Thilo Mischke könnte ein passender Moderator für "TTT" sein, zeigt, auf welch verlorenem Posten die Kultur in der ARD steht.

Es fehlt die Liebe, die Begeisterung für Kultur und ihre Hervorbringungen. Kultur ist im besten Fall eine Spielwiese der Freiheit, sie eröffnet Möglichkeitsräume für Phantasie und Vernunft, schafft gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir können es uns nicht leisten, uns mit diesem Zustand des Kulturfernsehens abzufinden.

Heike Hupertz Copyright: Foto: privat Darstellung: Autorenbox Text: Heike Hupertz ist freie Journalistin und Autorin von epd medien.



Zuerst veröffentlicht 21.03.2025 10:05 Letzte Änderung: 21.03.2025 11:24

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kultur, ARD, ZDF, 3sat, Hupertz, Janke, NEU

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