25.03.2025 08:50
epd Steuern sind für die meisten Menschen ein Reizthema. Schon das Kompositum "Finanzbeamter" lässt viele an verkniffene Spaßbremsen denken. Für Fans von Modelleisenbahnen ist das "Brennende Finanzamt" der Firma Faller mit seiner rußgeschwärzten Fassade und wehenden Gardinen ein Schenkelklopfer. Dass aber ohne aufmerksame Steuerbeamte und Finanzbehörden der "wohl größte Steuerraub der Geschichte" nicht aufgedeckt worden wäre, strafbare Bereicherungsvorgänge, bei denen wir alle um dreistellige Milliardenbeträge erleichtert wurden, ging an vielen vorbei.
In der ausgezeichneten, höchst unterhaltsamen und bis zum Schluss spannenden Serie "Die Affäre Cum-Ex" erfährt man neben vielem anderen, dass es in Deutschland kein eigenständiges Wirtschaftsstrafrecht gibt. Staatsanwältin Lena Birkwald (Lisa Wagner) kommt den Großverbrechern mit weißem Kragen schließlich mit einem Strafrechtsparagraphen bei, der zur Bekämpfung der sogenannten Clankriminalität eingeführt wurde. Demütigend für die großkotzigen Betrüger, befriedigend für die Zuschauer.
Eine der vielen Stärken der hervorragend besetzten deutsch-dänischen Serie "Die Affäre Cum-Ex" ist, dass die beiden "Heldinnen" - einerseits Wagners Staatsanwältin, andererseits die dänische Finanzamtsfachfrau Inger Brogger (Karen-Lise Mynster) - als lebende Wertekompasse durch die den realen Geschehnissen sorgsam nachgebildeten Abläufe navigieren. Sie werden ausgespielt, bedroht und ohnmächtig gemacht. Sie machen ihren Job, obwohl es (in der Wirklichkeit für viele Jahre) nicht klar ist, ob am Ende nicht ein Klüngel von internationalen Anlegern, Steueranwälten, Banken und Politikern siegt.
Dieses "David-gegen-Goliath"-Motiv trägt die Serie über die vielen Schauplätze durch zahlreiche parallele Handlungen. Showrunner Jan Schomburgs Erzählökonomie ist so erstaunlich wie die Bildwerdung der eigentlich drögen Materie. Die Figuren der Akteure auf dem Finanzsektor sind ebenso gelungen wie die Portionierung des großen Skandalthemas in sehr viele kleine, konzentrierte und über sich hinausweisende Plotpoints.
Wer den Dokumentarfilm "Systemfehler. Der Cum-Ex-Skandal" von Judith Lentze in der Mediathek bereits gesehen hat (Mitte April soll er bei 3sat gezeigt werden), sieht das Dilemma der visuellen Versinnlichung. Viele "Talking Heads" erklären sehr viel. Man sieht Banken. Glasfronten, die Transparenz vortäuschen. Der Film ist sehenswert, weil er die komplexen Vorgänge verständlich erklärt und weil er die Dreistigkeit der Cum-Ex-Betrüger um den inzwischen verurteilten Hanno Berger beleuchtet.
Wo andere bei Wirtschafts- und Finanzthemen fiktional mit True-Crime-Bögen arbeiten oder die Satire galoppieren lassen wie in der Netflix-Produktion "King of Stonks", wo "Bad Banks" auf Thriller setzte und vor allem auf eitle, supergierige und grundverdorbene Charaktere, geht es in "Die Affäre Cum-Ex" auch ironisch um die "Banalität des Bösen", die sich selbst für superintelligent und an keine Regel gebunden hält. Es geht um die vermeintlich perfekte Ausnutzung des "strunzdummen" Staates und seiner Organe, über die sich nicht nur der "Cum-Ex-Erfinder", Steuerberater und Anwalt Bernd Hausner (großartig: Justus von Dohnányi) erhaben fühlt.
Die Inszenierung geht anschaulich in die Vollen, bleibt faktentreu, findet "Übersetzungen", die "Cum-Ex" verständlich machen - wie das Beispiel des doppelten Kassierens des Flaschenpfands. Hausners junger Mitarbeiter Sven Lebert (Nils Strunk) erzählt seinem Vater (Thorsten Merten) lieber vom zweimaligen Bezug des Kindergelds für einen Sprössling. Zum Schluss findet der Sohn im Haus überall Geldverstecke. Die Eltern haben den Banken genauso wenig getraut wie dem eigenen Sohn.
In einem anderen Handlungsstrang wird die Rolle des damaligen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz kritisch beleuchtet und auch auf der dänischen Seite der Produktion geht es so temporeich wie aufklärend zu. Zu Beginn kehrt Steuerfachfrau Inger Brogger aus Bhutan zurück, wo sie geholfen hat, die Einkommensteuer einzuführen. Was passiert, wenn der Staat seinen öffentlichen Aufgaben aufgrund von Unterfinanzierung nicht nachkommen kann, zeigt ihr Vortrag mit Bildern. Die Szene wirkt nicht edukativ, sondern augenöffnend.
Hervorragende Darsteller wie Fabian Hinrichs, Martin Wuttke, Lina Beckmann, Stefanie Reinsperger oder Cornelius Obonya werten die Serie zusätzlich auf. Dass es insbesondere in Deutschland an spannenden Möglichkeiten in Sachen Steuernachhilfe und Finanzbildung fehlt, gilt nach "Die Affäre Cum-Ex" nicht mehr.
infobox: "Die Affäre Cum-Ex", achtteilige Serie, Regie: Dustin Loose, Kaspar Munk, Buch: Jan Schomburg, Astrid Oye, Pal Sletaune, inspiriert von den Recherchen von Oliver Schröm u. a., Kamera: Clemens Baumeister, Laust Trier Mørk, Produktion: X Filme, True Content Entertainment, Epo-Film (ZDF-Mediathek/NRK/SVT/RUV/YLE/NPO/VRT/DR, seit 22.3.25, ZDF, 13.4. und 14.4.25, jeweils 22.15-1.15 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 25.03.2025 09:50 Letzte Änderung: 25.03.2025 11:29
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Kritikl.(Streaming), Serie, KZDF, Loose, Munk, Schomburg, Oye, Sletaune, Schröm, Hupertz, NEU
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