Berlin-Klischees in Serie - epd medien

28.03.2025 09:39

Was dem Frankfurter sein Wasserhäuschen und dem Ruhrgebietseinwohner sein Büdchen, ist dem Berliner sein "Späti": Kioske, die auch abends noch lange geöffnet haben und Treffpunkt für den Kiez sind. In der ZDF-Serie "Späti" wird ein solcher zum Mittelpunkt des Geschehens.

Die ZDF-Serie "Späti" mit Wilson Gonzalez

Wilson Gonzalez vor seinem neuen Arbeitsplatz, dem Späti

epd Seit einigen Jahren startet das ZDF eine Kaskade von Mini-Serien, Comedyreihen und Sitcoms in der Mediathek und auf ZDFneo, die - mal mehr, mal weniger gelungen - vor allem auf das jüngere, urbane Publikum zielen. Auch "Späti", die neue Comedy, macht da keine Ausnahme.

Es war letztlich nur eine Frage der Zeit, dass jemand den Späti als perfekten Schauplatz wählt, denn, so der Pressetext des ZDF: "Gibt es eine bessere Arena, um den Zeitgeist und die Alltagsprobleme der unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten zu beobachten, als den Späti? Ein Mikrokosmos auf 44 Quadratmetern Ladenfläche zwischen Kita, Immobilienverwaltung, Dönerbude und Fetisch-Club, mittendrin in der Kultur- und Partymetropole Berlin." Damit sind auch sämtliche Fallstricke benannt, die einer Späti-Serie drohen können - nämlich ein Haufen abgestandener Berlin-Klischees.

Wo das Bier billiger ist

Spätis und das Wegbier stehen in jedem Berlin-Reiseführer, weshalb manche Zuzügler aus der Provinz und Berlin-Touristen annehmen, Spätis seien die Inkarnation der Freiheit und das Wegbier in Tram, U- und S-Bahn Pflichtausstattung wie ein gültiges Ticket. Beides trifft nicht zu: Eingeborene sehen die Anhäufung von Spätis eher als Indiz für den Niedergang des Einzelhandels, verteidigen sie aber nichtsdestotrotz jedes Mal vehement gegen die regelmäßigen administrativen Attacken, und am Wegbier erkennen sie, nun ja, Touristen.

Auch Wilson Gonzalez (der offenbar neuerdings ohne den bekannten Nachnamen Ochsenknecht auftritt) kam als 19-Jähriger nach Berlin und strandete wie so viele neue Großstädter abends des Öfteren im Späti, wo das Bier billiger ist als in der Kneipe und die Nacht lang. Das Kommen, Gehen und alles dazwischen begeisterte ihn so, dass er zusammen mit Martin Waldmann die Idee zu der Serie entwickelte, sie produzierte und gleich noch die Hauptrolle übernahm: Er spielt Fred, einen ziemlich verpeilten Hipster, der nichts gebacken kriegt und erst den Job, dann die in Aussicht gestellte Wohnung und damit wiederum Freundin Maya (Zeynep Bozbay) verliert.

Es geht schief, was schiefgehen kann

Mitten in Freds tiefstem Elend, über das er sich natürlich in seinem Stamm-Späti mit einem Bier hinwegtröstet, trifft Späti-Inhaber Hakan die Nachricht vom Erdbeben in der Türkei. Schnell muss er dorthin, um seinen Verwandten beizustehen. Hakans 17-jährige Tochter Aylin (Gülseren Erkut) geht noch zur Schule und kann den Laden nicht allein schmeißen, also erklärt sich Fred kurzerhand bereit, als Vertretung einzuspringen und damit Verantwortung zu übernehmen.

Prompt geht alles schief, was nur schiefgehen kann: In Folge eins scheitert Fred am Öffnen der Kasse und ruiniert den Slush-Automaten, in Folge zwei versäumt er es, den von Bill Kaulitz im Späti deponierten Schlüssel im Safe einzuschließen, worauf der Schlüssel "zu Heidis Penthouse" prompt geklaut wird. In Folge drei flutet Fred erst die Toilette (an deren Tür ein Schild deutlich lesbar die Benutzung untersagt) und dann mit der braunen Brühe den halben Laden, was wiederum das Gesundheitsamt auf den Plan ruft und so fort.

Komisches Senioren-Trio

Das Chaos wird komplettiert von Freds Kumpel Konnopke (!), als Inkarnation eines Volltrottels gespielt von Alexander Finkenwirth. Konnopkes Wortschatz besteht zu 25 Prozent aus der Vokabel "stabil", womit er so ziemlich alles bezeichnet, was er großartig, gut oder zumindest okay findet.

Auch Wilson Gonzalez' Idee, seinen Fred als liebenswerten Loser zu verankern, geht nicht auf: irgendwie steht Fred meist nur wie bestellt und nicht abgeholt in der Gegend herum und ist vor allem immer Wilson Gonzalez. Mehr komisches Potenzial bietet das Senioren-Trio, das sich täglich auf der Bank vor dem Späti versammelt und damit quasi zum festen Inventar gehört: Marianne (Eva Weißenborn), Helmut (Torsten Michaelis) und Rashid (Falilou Seck), deren Wetten zum Tagesgeschehen der Running Gag der Serie sind.

Cameo-Auftritte der Kiez-Prominenz

Hinzu kommt der "grumpy" Herr Elster aus dem ersten Stock, der den Späti zwar beim Ordnungsamt anschwärzt, in letzter Minute aber doch zu dessen Rettung eilt. Selbstverständlich gehört auch eine gierige Hausbesitzerin zum Personal-Tableau, natürlich befindet sich der Späti mitten in Kreuzberg, und auch noch vis à vis eines Fetischclubs, vor dem die Leute abends Schlange stehen.

Ein Potpourri diverser Blog-, Podcast-, Schauspiel- und Musik-Promis wie Kaulitz, Sophie Passmann, Conny from the Block, Marc Hosemann, Ali Neumann, Jasna Fritzi Bauer und Ski Aggu taucht in Gastrollen als Späti-Besucher auf. Warum erschließt sich nicht so recht, die Auftritte machen die Serie auch nicht besser.

Acht Männer und eine Frau haben sich an Buch und Regie von "Späti" abgearbeitet - einmal mehr ein Beleg dafür, dass viele Köche den Brei nicht besser machen. Der Serie mangelt es an so ziemlich allem, was eine gute Comedy ausmacht: Originalität, intelligenter Witz mit Tiefgang, Timing, Pointen. So ist "Späti" nicht viel mehr als Klischee-Berlin aus touristischer Hipster-Perspektive.

infobox: "Späti", achtteilige Comedyserie nach einer Idee von Wilson Gonzalez und Martin Waldmann, Regie: Marleen Valien, Max Rainer, Buch: Patrick Stenzel, Marleen Valien, Mathis van den Berg, Max Rauer, Biko Erki, Kilian Lieb, Max Rainer, Sebastian Huber, Kamera: Max Rauer, Joseph Strauch, Produktion: btf Bildundtonfabrik (ZDF-Mediathek, seit 28.325, ZDFneo, ab 8.4.25 jeweils freitags, 21.45-22.25 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 28.03.2025 10:39

Ulrike Steglich

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Comedy-Serie, Gonzalez, Waldmann, Valien, Rainer, Stenzel, van den Berg, Rauer, Erki, Lieb, Huber, Steglich

zur Startseite von epd medien