07.04.2025 07:10
Aus der Grimme-Jury Unterhaltung
epd Auf den ersten Blick hat sich in der Jury Unterhaltung nichts geändert. Die Zahl der nominierten Produktionen blieb auch in diesem Jahr auf dem historischen Tiefstand von 2024. Erneut hat die Nominierungskommission nur sieben Produktionen an die Jury weitergereicht, die auch keinen Grund für eine Nachnominierung sah. Dass sich die Jury letztlich doch mit neun Produktionen befasste, lag an zwei weitergereichten Produktionen aus der Jury Fiktion, die in ihrer Zuordnung völlig unstrittig waren und einstimmig in das Unterhaltungskontingent aufgenommen wurden. Eine der beiden wurde schließlich sogar mit einem Preis ausgezeichnet.
Die geringe Zahl der Nominierungen als vernichtende Generalkritik am Unterhaltungsangebot des deutschen Fernsehens zu interpretieren, wäre allerdings falsch. Tatsächlich ist ein großer Teil des Gesendeten, vor allem zur Primetime, nach den Regularien des Grimme-Preises schlicht nicht nominierbar, weil es sich um Format-Adaptionen mit nur geringem deutschem Eigenanteil handelt. Außerdem versteht sich der Grimme-Preis laut seinen Statuten als eine Art Trüffelschwein unter den Fernsehpreisen - hier geht es nicht nur um gutes Handwerk, die ausgezeichneten Produktionen sollen auch etwas Zukunftsweisendes an sich haben.
Und an beidem mangelt es seit vielen Jahren spürbar. Nur selten wird bei deutschen Format-Adaptionen etwas hinzugefügt, das diese Adaption zu etwas Besonderem macht. Und im Programmangebot wird - nicht nur aus Sicht der Grimme-Jury - viel häufiger nach hinten geblickt als nach vorne. Es wird häufiger nach dem gesehen, was früher schon einmal erfolgreich gewesen ist, als nach dem, was in Zukunft vielleicht erfolgreich sein wird. Als Konsequenz ist das Neue im Unterhaltungsprogramm nur selten gut, und das Gute ist nur selten neu. In diesem Jahr hat die Jury Unterhaltung aus diesem Umstand eine unerwartete Schlussfolgerung gezogen.
Das überschaubare Unterhaltungskontingent lässt sich in diesem Jahr zu vier Paaren gruppieren - nur die neunte Nominierung bleibt außen vor -, und jedes dieser Paare sagt etwas Wichtiges über den Stand der deutschen Fernsehunterhaltung des Jahres 2024 aus.
Das erste Paar unterstreicht die These, dass das Gute oft eine lange Geschichte hat. Das gilt für die seit 2022 mit jeweils einer neuen Folge zu Silvester ausgestrahlten Reihe "Kurzschluss" (ARD/WDR), in der die von Anke Engelke und Matthias Brandt gespielten Hauptpersonen, die sich aus ihrer Schulzeit kennen, immer wieder unfreiwillig Silvester zu zweit an einem Ort verbringen, von dem sie nicht vor Mitternacht wegkommen. 2024 war "Der zweite Kurzschluss" nominiert, diesmal "Kurzschluss hoch drei".
Eine noch viel längere Vorgeschichte hat die Sketch-Comedy-Reihe "Kroymann" (ARD/RB/SWR/NDR/WDR), deren Protagonistin und Autorin, Maren Kroymann nicht nur für diese Produktion bereits zwei Grimme-Preise gewonnen hat, sondern außerdem 2023 mit der Besonderen Ehrung des Deutschen Volkshochschulverbands ausgezeichnet wurde. Dieses Jahr war das Format erneut nominiert, und zwar "Kroymann - ist die noch gut?", eine fiktive Galashow zu 30 Jahre Maren Kroymann in der ARD.
Das zweite Paar bilden zwei Produktionen des Streaming-Anbieters Amazon Prime Video: "Viktor bringt’s" und die "Teddy Teclebrhan Show". "Viktor bring's" versteht sich als Dramedy, in der ein Vater-Sohn-Gespann (gespielt von Moritz Bleibtreu und Enzo Brumm) als Servicetechniker in jeder Folge in einer anderen Wohnung ein Gerät installiert. Dabei entwickeln sich lustige bis ernste Gespräche mit den Bewohnern, und Vater und Sohn verhandeln ihre äußerst komplizierte Beziehung.
Die "Teddy Teclebrhan Show" wiederum kombiniert die Genres Show und Mockumentary mit einer Melange, die an amerikanische Filmrevuen der 1930er Jahre erinnert: Kern der Handlung sind Probleme, die gelöst werden müssen, wenn eine Show auf die Bühne gebracht werden soll.
Zwei weitere Nominierungen erinnern daran, dass beim Grimme-Preis gerne auch in die medialen Ecken geschaut wird, die sonst oft übersehen werden. An zeitlichen Programmrändern und bei kleinen Anbietern sind Nominierungskommissionen und Jurys gerade in der Unterhaltung schon oft fündig geworden. So auch in diesem Jahr: Ausgerechnet vom Hessischen Rundfunk kamen gleich zwei Produktionen in die engere Wahl.
Seit der 2003 nominierten "Late Lounge", einer skurrilen Late-Night-Show mit minimalem Budget, ist der HR im Unterhaltungs-Genre kaum noch aufgefallen. Die in weiten Teilen spontan improvisierte 15-Minuten-Talkshow "Noeldorado" setzt die Tradition der No-Budget-Produktionen aus Hessen fort. Auch "Schleudergang", eine Comedy-Serie, die in einem Offenbacher Waschsalon spielt, dürfte nicht viel aufwendiger gewesen sein.
Ein viertes Paar bilden schließlich die beiden aus der Fiktion weitergereichten Produktionen: der Animationsfilm "Das Grundgesetz der Tiere" (ZDF) aus dem Hause Böhmermann und die Mockumentary "Player of Ibiza" (NDR). Diese Weiterreichungen veranschaulichen, dass die Zuordnung von Produktionen zu einer der etablierten Grimme-Kategorien immer schwieriger wird: Fiktion, Information & Kultur, Unterhaltung, selbst Kinder & Jugend werden zusehends durchlässiger, die allgemeine Medienentwicklung unterstützt diesen Trend.
Neben den beiden seit Jahren vertrauten Produktionen "Kroymann" und "Kurzschluss" verwiesen zwei weitere Nominierungen indirekt auf vor einigen Jahren Ausgezeichnetes beziehungsweise Nominiertes, ohne es zu imitieren. Mit dem Ansatz, Dramedy und Kammerspiel zu kombinieren, hat der "Tatortreiniger" 2012 und 2013 einen Grimme-Preis gewonnen und "Warten auf’n Bus" immerhin eine Nominierung erreicht. Der "Schleudergang" teilt mit "Warten auf’n Bus" den immer gleichen Handlungsort - hier ist es allerdings ein Innenraum - und das feste Personal, zu dem in jeder Folge einzelne Charaktere hinzukommen.
"Viktor bringt’s" dagegen erinnerte die Jury sofort an den "Tatortreiniger" - jeweils anderer Handlungsort, ebenfalls gleiche Protagonisten plus wechselnde Gaststars. In beiden Fällen erkannte die Jury an, dass hier jeweils interessantes Neues geschaffen wurde, Komik mit Alltagsphilosophie kombiniert.
Die zweite Produktion des HR im Unterhaltungskontingent hatte nach Ansicht der Jury die Nominierung ebenfalls unbedingt verdient. Bei "Noeldorado" wurden zwar gelegentliche peinliche Momente und scheinbare Dilettantismen bemängelt, dafür aber viele gute Ideen, der Charme der Produktion und nicht zuletzt der Moderator gelobt: Noel Schmidt, auch Moderator und Redakteur des HR-Jugendradios YOU FM. Es wäre also gleich aus zwei Gründen zu begrüßen, wenn der HR in Zukunft mehr in eigene Unterhaltungsformate investieren würde.
Der Weg zur Preisfindung war diesmal besonders lang, das lag nicht zuletzt an der guten Arbeit der Nominierungskommission. Alle der Jury vorgelegten Produktionen waren im Prinzip in Preisnähe, auch die einzige Nominierung, die nicht ins Paarmuster passte: Fabian Köster und Lutz van der Horst waren für ihre Beiträge zur "Heute-Show" und ihre "Heute-Show-Spezial"-Ausgaben für einen Grimme-Preis Spezial vorgeschlagen, da sie in beiden Formaten etwas leisten, das in der politischen Satire sehr außergewöhnlich ist.
Mit ihrer Gesprächsführung bei ihren Außeneinsätzen schaffen Köster und van der Horst es immer wieder, ihre Gesprächspartner zu unerwartet authentischen Reaktionen zu verführen, auf die sie wiederum spontan eingehen. Daraus entstehen oft einmalige Interaktionen. Das hat nicht nur hohen Unterhaltungswert, "man nimmt auch immer was mit", wie es ein Jurymitglied formulierte.
Die Schlussdiskussion sprengte den geplanten Zeitrahmen so deutlich, dass mehrere Jurymitglieder ihre Rückreisepläne ändern mussten. Unterhaltungs-Jurys beim Grimme-Preis haben traditionell mit einem besonderen Problem zu kämpfen: Anders als bei Fiktion oder Information/Kultur gibt es in diesem Bereich keinen etablierten Qualitätsdiskurs, so dass jede Jury immer wieder neu am eigenen Kriterienkanon arbeiten muss und angesichts des breiten Genrespektrums der nominierten Produktionen an eigenen Lösungen für das Problem, Äpfel mit Birnen vergleichen zu müssen, ohne dass dabei Birnen oder Äpfel zu kurz kommen.
Zusätzlich wurden in der Jury zwar mehrfach Beobachtungen geteilt, aber deren Bewertung war umstritten: Wenn "Gespräche ins Nichts gehen" wie bei "Noeldorado" - ist das gut, weil es Talk-Rituale dekonstruiert, oder schlecht? Wenn dabei mit Peinlichkeiten so gespielt wird, dass beim Zusehen Cringe-Momente entstehen - ist das Medienaufklärung oder schlechtes Handwerk? Und wie ist es bei seriellen Formaten, wenn einzelne Folgen rundum gelungen sind, es bei anderen aber in der Dramaturgie knirscht?
Bis sich die Jury zur Preisvergabe vorarbeitete, wurden ausführlich Stärken und Schwächen diskutiert. "Viktor bringt’s" etwa funktioniert nach Ansicht der Jury sehr gut, wenn es nur einen Star in der jeweiligen Folge gibt, herausragend etwa Caroline Peters, in anderen verliert das Format leicht die Balance zwischen den Erzählsträngen Vater-Sohn-Konflikte und Konflikte der Firma mit der Kundschaft.
Eine andere Art von Unwucht irritierte die Jury beim "Grundgesetz der Tiere". Einerseits hatte die Idee, die Entstehung des Grundgesetzes als Ergebnis der Intervention von Tieren im Bonner Museum Koenig zu beschreiben großen Charme, die liebevolle Umsetzung als Animationsfilm nahm noch mehr für die Produktion ein, andererseits gab es für die Jury letztlich doch zu viele Tiere und zu wenig Grundgesetz.
Beim "Schleudergang" wurde einerseits die herausragende Liebe zum Detail gewürdigt, andererseits störte einige Jurymitglieder das sehr langsame Erzähltempo und dass einzelne Figuren hart am Klischee gezeichnet sind.
Zwei weiteren Nominierungen half es nicht, dass sie schon länger bekannt sind. Die hohe Qualität der Reihe "Kurzschluss" und der "Heute-Show"-Beiträge von Fabian Köster und Lutz van der Horst sind lange anerkannt, doch die Jury konnte hier nichts erkennen, was ausgerechnet die aktuellen Arbeiten besonders auszeichnenswert macht.
Schließlich vergab die Jury anders als im Vorjahr wieder drei Preise, und zwar an Produktionen, die aus jeweils völlig anderen Gründen zu den Unterhaltungslichtblicken des Jahres gehören.
Den ersten Preisträger könnte man mit der Überschrift "Endlich" versehen - Teddy Teclebrhan ist in den letzten Jahren schon oft mit bemerkenswerten Leistungen aufgefallen, seine Show "Teddy gönnt dir!" war auch 2021 bereits nominiert. Aber es fehlte noch das Format, in dem er alle seine Talente ausspielen kann. Die aufwendig produzierte "Teddy Teclebrhan Show" kommt diesem Ziel schon ziemlich nahe: In den Show-Passagen (Sonderlob für die hervorragende Band) kann er seine Qualitäten als Entertainer ausspielen, in den Comedy-Passagen hinter den Kulissen sein komisches und sein schauspielerisches Talent. Ein wenig Inspiration von "Saturday Night Live", dazu Comedy und Mockumentary, das passt nach Ansicht der Jury.
Der zweite Preisträger beweist, dass Mediensatire selbst bei Genres gelingen kann, die eigentlich als nicht karikierbar gelten, etwa bei Reality TV: "Player of Ibiza", produziert von der gleichen Firma wie die 2022 nominierten "Discounter", ist eine Mockumentary über ein fiktives Format, bei dem junge Möchtegern-Alphamännchen um eine noch unbekannte "Queen" kämpfen. Aber sie wissen nicht, dass sie in der "Feminismus Edition" der Show gelandet sind, und auch nicht nach Ibiza gebracht werden, sondern nach Buchhholz in der Nordheide. Die satirische Überzeichnung funktioniert, nicht zuletzt dank einer hervorragenden Besetzung und der geschickten Einarbeitung aktueller Diskurse über Geschlechterrollen.
Der dritte Grimme-Preis ist vielleicht die größte Überraschung: Maren Kroymann ist für die Sendung, die ihren Namen trägt, bereits 2018 und 2019 mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet worden, außerdem erhielt sie 2023 die "Besondere Ehrung des Deutschen Volkshochschul-Verbands". In diesem Jahr wurde sie für die neue Folge "Kroymann - ist die noch gut?" nominiert, in der es um eine fiktive Gala zu 30 Jahre Kroymann in der ARD geht.
Unterstützt von einer All-Star-Besetzung wird hier das immer noch aktuelle Problem verhandelt, dass es für nicht mehr ganz junge Schauspielerinnen und Moderatorinnen nur wenige und meist sehr einengende Rollen gibt. Auf dem Weg zu ihrem Auftritt landet Maren Kroymann in einer Art Alternativwelt, der "Abteilung W 50+", einer Mischung aus Vorhölle und Arbeitsamtsabteilung für Unvermittelbare. "Kroymann - ist die noch gut?", diese Frage hat die Jury bejaht. Klasse kennt kein Alter, und Maren Kroymann ist weiterhin nicht nur ein Lichtblick in der deutschen Fernseh-Unterhaltung, sondern ein Leuchtturm.
Copyright: Foto: privat
Darstellung: Autorenbox
Text: Gerd Hallenberger war Mitglied der Jury Unterhaltung.
Zuerst veröffentlicht 07.04.2025 09:10 Letzte Änderung: 07.04.2025 15:42
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Auszeichnungen, Preise, Grimme-Preis, Unterhaltung, Jury-Bericht, Hallensleben, NEU
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