11.04.2025 08:22
ARD-Reportage mit Anne Will zur "German Angst"
epd Die Fernsehjournalistin Anne Will ist zurück: als Reporterin, die durch die Republik reist und herausfinden will, wie sehr die Deutschen seit Russlands Überfall auf die Ukraine und dem Rückzug der USA aus dem Verteidigungsbündnis NATO unter Kriegsangst leiden und was sie dagegen unternehmen. Das ist kein Spaß, und Anne Will geht ihre Arbeit mit ernstem Gesicht und entschlossener Stimmführung an: "Was bedeutet es, kriegstüchtig zu sein?"
Zunächst besucht sie Mario Piejde und seine Firma "Bunker Schutzraum Systeme Deutschland". Der Firmeninhaber kann zufrieden sein, seine Auftragsbücher sind voll. Er zeigt Will eine Bunker-Musterwohnung. Natürlich zielt sein Angebot auf die Superreichen. Wer sonst kann sich einen eigenen Bunker leisten? Noch sind seine Bauten nicht benutzbar, aber er arbeitet daran. Und die ärmere Normalbevölkerung? Gibt es für sie öffentliche Schutzräume? Ja, aber nur für fünf Prozent. Und nutzbar sind diese Schutzräume noch lange nicht. Was den Zivilschutz betrifft, liegt alles im Argen.
Auf Youtube läuft die Serie: "Die Rekruten", mit der die Bundeswehr für Nachwuchs wirbt. Mancher Junge, der bald 18 wird, hat sie gesehen und möchte gern beim Schnuppercamp in Kiel ausprobieren, wie es sich anfühlt, Soldat zu sein. Will spricht mit dem 16-jährigen Theo, der Medizin studieren will, nun aber überlegt, ob er zum Bund gehen soll. Er sagt: "Ich bin mir der Risiken bewusst. Aber trotzdem bin ich bereit, Soldat zu werden. Man kann nicht immer nur hoffen, dass es andere machen."
Das Mantra in dieser Sendung und auch des öffentlichen Diskurses ist: Wir rüsten auf, damit es keinen Krieg gibt. Im Interview sagt Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der das umstrittene Wort "kriegstüchtig" erstmals aussprach: "Kriegstüchtig oder verteidigungsbereit - es ist derselbe Inhalt." "Kriegstüchtig" hießt ja keineswegs "kriegslüstern", ganz im Gegenteil. Abschreckung funktioniert nur, wenn der Gegner begreift, dass er bei einem Angriff schlecht wegkäme, und das begreift er nur, wenn er sieht, dass der Angegriffene, also "wir", ihm einen empfindlichen Schaden zufügen können. Es ist gut, dass Anne Will diesen Kampf um Worte mit Pistorius klärt. Obwohl natürlich die Tauben den Falken dieses Wort immer wieder vorhalten werden.
Zwei solcher Tauben besucht Anne Will ebenfalls: Das Ehepaar Thomas Stanger und Lotte Salingré hat von seinem bedeutenden Vermögen einige Millionen an das Bündnis Sahra Wagenknecht gespendet, weil nur diese Partei glaubhaft auf einen Verhandlungsfrieden zwischen Russland und der Ukraine setze. Was nütze ihnen all ihr Geld, wenn es Krieg gibt und die Welt untergeht? Dass es mit dem konsequenten Pazifismus nur so lange klappt, bis der böse Nachbar anfängt zu schießen, beeindruckt das Ehepaar nicht.
Will reist auch an die Ostflanke der Nato, nach Litauen, wo auch deutsche Soldaten stationiert werden sollen. Panzerkommandant Raphael zeigt ihr den Leopard 2, sie klettert hinein, es ist eng da drin. Brigadegeneral Huber erklärt: "Wir stehen dafür ein, dass jeder Zentimeter des NATO-Bündnisgebietes verteidigt wird."
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz trifft Will den CDU-Mann Norbert Röttgen, der erklärt, dass wir nunmehr in einer "neuen Wirklichkeit" leben. Denn nicht nur der Russe zeigt seine Zähne, Amerika tut es auch.
Krönender Abschluss der Reportage ist Wills Interview mit dem russischen Botschafter Sergej Netschajew. Er zeigt ihr die prunkvollen leeren Räume in seiner Botschaft in Berlin und antwortet ganz im Stil Putins mit interpretationsbedürftigen Null-Sätzen. Fragt Will: "Sind Sie unser Feind?", sagt er bedächtig: "Ich glaube nicht." Sie fragt nach: "Sie glauben nicht?" und überbetont dabei "glauben". Auf dieselbe Frage antwortet er später: "Noch nicht."
Die quälende Ungewissheit, welche die Antworten des Russen vermitteln und wohl vermitteln sollen, ist zugleich die Quintessenz dieser verdienstvollen Reportage von Anne Will und Julia Friedrichs. Die Deutschen wissen derzeit in der Tat nicht, wohin mit sich, das arbeitet der Film sehr gut heraus. Der Bunkerverkäufer, der sich vor Aufträgen nicht retten kann, macht Geschäfte mit der Angst. Das reiche Paar opfert der Angst viel Geld. Theo, der überlegt, zum Bund zu gehen, und Brigadegeneral Huber in Litauen arbeiten gegen die Angst, wollen Stärke gewinnen. Immerhin sind derzeit rund 70 Prozent der Deutschen auf ihrer Seite.
Anne Will will Gefahr deutlich machen, ohne Panik zu schüren. Sie fragt genau und gezielt nach. Sie entrollt die Landkarte der "German Angst" mit der ihr eigenen Ruhe, Konzentration und Eleganz. In jeder Szene macht sie gute Figur. Bloß in den Panzer hätte sie nicht klettern sollen. Schon deshalb nicht, weil die Zuschauer es erwarten.
infobox: "Angst vor Krieg. Die Deutschen in der Zeitenwende", Reportage mit Anne Will, Regie und Buch: Julia Friedrichs, Kamera: Nicola Krivokuca, Sebastian Klatt, Nicolai Mehring, Produktion: Tell Me Why (ARD/NDR, 7.4.25, 20.15-21.00 Uhr, ARD-Mediathek seit 7.4.25)
Zuerst veröffentlicht 11.04.2025 10:22
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KNDR, Will, Friedrichs
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