Bulgarien: Gericht verurteilt Onlinemedium zur Löschung von Artikeln - epd medien

11.04.2025 09:02

Zum ersten Mal muss ein bulgarisches Onlinemedium nach einer höchstrichterlichen Entscheidung mehrere Artikel mit Beleidigungen aus dem Netz nehmen und zugleich der betroffenen Person eine Entschädigung zahlen. Der Richterspruch trifft das als unseriös geltende Portal "pik.bg".

Sofia (epd). Bulgariens Oberstes Kassationsgericht hat das Onlineportal "pik.bg" am 4. April zur Depublizierung von rufschädigenden Artikeln und einer Zahlung in Höhe von umgerechnet rund 12.700 Euro an die Richterin Wladislawa Tsarigradska verurteilt. Das Medium hatte die Richterin am Kreisgericht Plewen unter anderem als "Gangsterbraut" diffamiert und ihr unterstellt, einen "Putsch gegen den Generalstaatsanwalt" zu führen.

Als führende Repräsentantin der Vereinigung der Richter in Bulgarien und prominente Fürsprecherin für Reformen im Justizwesen hatte Tsarigradska Morddrohungen erhalten. Sie wurde unter Polizeischutz gestellt. Mit dem Urteil vom 4. April ordnete ein bulgarisches Höchstgericht erstmals sowohl eine Depublikation als auch eine Entschädigungszahlung an.

Verletzung von Standards

In der Urteilsbegründung führte das Kassationsgericht aus, jeder Bürger, dessen Persönlichkeit durch eine gegen ihn gerichtete elektronische Publikation mit Beleidigungen und Verleumdungen verletzt werde, habe neben dem Recht auf finanzielle Entschädigung auch das Recht, "dass der Eigentümer der elektronischen Veröffentlichung durch Entfernung des Artikels von seiner Website den Zustand vor dem Eintritt des unerlaubten Schadens wiederherstellt".

In der bulgarischen Medienszene ist "pik.bg" berüchtigt dafür, die journalistische Ethik und professionelle Standards zu verletzen. Das Onlinemedium wurde mehrfach wegen Diffamierungen von Bürgerrechtlern, regierungskritischen Journalisten oder Unternehmen zu Entschädigungszahlungen verurteilt, aber noch nie aber dazu, Publikationen offline zu nehmen. Die Herausgeber und die Redaktion haben den Richterspruch bisher nicht kommentiert, die inkriminierten Artikel sind weiterhin online.

Durchbruch zum Schutz des Persönlichkeitsrechts

Experten werten das Urteil als Durchbruch zum Schutz des Persönlichkeitsrechts. Im Onlinemedium "Boulevard Bulgaria" kommentierte Wladislawa Tsarigradska, die Entscheidung markiere "den Beginn der Möglichkeit für jeden betroffenen Bürger oder jedes Unternehmen, dieser die Menschenwürde verletzenden Industrie wirksam Widerstand zu leisten". Ihr Anwalt Alexander Iwanow sagte dem Bulgarischen Nationalen Radio, er habe sich jahrelang für "eine Rechtspraxis eingesetzt, die diffamierende Websites verurteilt und vom Gericht als illegal eingestufte Artikel entfernt". Doch dies sei in zahlreichen Entscheidungen immer wieder verwehrt worden.

Für den Fall, dass "pik.bg" die Umsetzung des Urteils verweigern sollte, sieht Iwanow weitere Möglichkeiten, um diese zu erreichen. Er nannte beispielhaft "die direkte Aufforderung an Google, die Indexierung dieser Materialien auf Grundlage einer Gerichtsentscheidung zu entfernen oder ihre Entfernung direkt beim Hosting-Unternehmen zu beantragen". Eine abschreckende Wirkung der richterlichen Entscheidung erwartet er nicht, da eine allgemeine Prävention allein durch Rechtspraxis nicht zu erreichen sei. Erforderlich sei ein Eingreifen des Gesetzgebers.

Medialer Druck auf Richter

Im Auftrag der Richter-Vereinigung und des Bulgarischen Instituts für Rechtsinitiativen hatte die langjährige Gerichtsreporterin Galina Girginowa im Zeitraum von 2015 bis 2019 Medienmonitorings durchgeführt und in ihren Analysen dutzende Fälle medialen Drucks auf Richter und Richterinnen dokumentiert. Wenige Tage vor der Entscheidung des Kassationsgerichts sagte sie der bulgarischen Tageszeitung "Dnewnik", Ziel solcher Verleumdungskampagnen sei "die Vernichtung widerspenstiger Richter".

Als Urheber der Attacken identifizierte Girginowa Vertreter aus Politik und Staatsanwaltschaft, als Ausführende dienten Autoren der ihnen nahestehenden Medien. Grund für die Angriffe seien häufig kritische Äußerungen von Richtern im öffentlichen Raum zu aktuellen Skandalen und ihre "Teilnahme an Protesten für Reformen des Justizsystems".

fst



Zuerst veröffentlicht 11.04.2025 11:02 Letzte Änderung: 11.04.2025 15:45

Schlagworte: Bulgarien, Recht, pik.bg, fst, Wladislawa Tsarigradska, NEU

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