12.04.2025 10:00
epd Wenn ein Kind stirbt, sind die Eltern nicht selten durch Trauer paralysiert. Hatte das verstorbene Kind vielleicht zeitlebens besondere Bedürfnisse, so tritt zur Trauer die meist jahrelang unterdrückte physische und seelische Erschöpfung. In solchen Situationen ist es für Eltern oft unmöglich, ihren anderen Kindern gerecht zu werden. Energie, Kraft und Liebe schienen ohnehin ungleich verteilt, Aufmerksamkeit ist nicht mehr übrig.
Die überlebenden Geschwister tragen nicht selten lebenslang Schuldgefühle mit sich. Weil sie sich, selbst klein, zuständig fühlten für die Bürden der Familie. Weil Mutter und Vater sich auf sie verließen. Weil zu viel Verständnis von ihnen verlangt wurde. Und weil man sie schlicht übersah als sogenannte gläserne Kinder.
Es ist wichtig, solche Geschichten im Fernsehen zu erzählen. "Das gläserne Kind" (ZDF) bemüht sich, die verschiedenen Perspektiven und die Dimensionen einer entsprechenden Familienaufstellung in den Blick zu nehmen, sie handlungsmäßig wirkungsvoll in Gang zu setzen, glaubwürdig mit guter Besetzung durchzuspielen und das Ende offen genug zu gestalten, um nicht in die Rührseligkeitsfalle zu tappen. Aber wie so oft, wenn Ideen im Fernsehen fiktionale Einkleidungen bekommen, ist das Resultat eher gemischt. Manches überzeugt, anderes nicht. Am Ende ahnt man, dass dieser Film von Alina Schmitt und Suki M. Roessel mehr Raum für Gedanken und eigenes Nachempfinden hätte bieten können.
"Das gläserne Kind" beginnt parallel mit einer Ankunft und einem geplanten Aufbruch, zeigt die Entfremdung zwischen Anne Schuchardt (Katharina Böhm) und ihrer Tochter Helene (Hanna Plaß), die sich nun Helen nennt. Seit sechs Jahren, seit dem Tag der Beerdigung von Sohn und Bruder Lukas (Luke Matt Röntgen), herrscht Funkstille zwischen beiden. Helen verschwand nach Amerika und blockierte alle Kontaktversuche der Mutter.
Anne, so scheint es, blieb in der Vergangenheit gefangen, im "Hexenhaus", wo Lukas' Zimmer unverändert blieb, während Helens Zimmer zur Bügelkammer wurde. Nach und nach, in immer deutlicher die Familiengeschichte freilegenden Rückblenden, entfaltet sich das frühere anstrengende Leben der alleinerziehenden Mutter mit ihrem stets auf Hilfe und Überwachung angewiesenen, mit einem Gendefekt geborenen Sohn und der "unkomplizierten"Tochter, der selbst mit Blinddarmschmerzen kaum Aufmerksamkeit zuteil wurde, weil Lukas sich just an einer Spiegelscherbe geschnitten hatte.
Diese Dreierbeziehung wird im Film wünschenswert deutlich. Katharina Böhm spielt die Mutter mit einer großen Palette an sichtbaren Emotionen, von sorgender Liebe bis krasser Erschöpfung. Auch Hanna Plaß ist glaubwürdig als nun selbst Erwachsene, der man das Kind, das sie kaum sein konnte, ansieht. Die Szenen mit Lukas sind sprechend, anrührend, auch schön und schlimm. Als es viel später zur nachgeholten Auseinandersetzung von Anne und Helen kommt, als sie zur Sprache finden, auch für ihre Wut, Angst und Trauer, da ist der Film stark.
Manches andere fällt dagegen ab. Zu Beginn kehrt Helen aus den USA zurück nach München, um Arbeit zu suchen. Der Vater ihres Sohnes Luke (Lennox Louis Steigerschmid) ist auf und davon. Genau wie ihr eigener Vater (Stephan Kampwirth) damals, der die Mutter mit beiden Kindern im Stich ließ, so dass Anne auch noch sehr viel arbeiten musste. Mit ihm versteht Helen sich nun blendend.
Kampwirths Figur bleibt seltsam unbeleuchtet, deutet bloß an, dass Anne sich nicht helfen lassen wollte. Insgesamt wirkt der Film, als habe er die Verantwortungslosigkeit der Männer und Väter in solchen Fällen zwar andeuten, aber nicht ausbuchstabieren wollen. Ein Gegengewicht hält er parat: Das schwule Nachbarspaar (David Zimmerschied und Philip Dechamps), das durch Adoption oder mit Hilfe einer Leihmutter unbedingt Vater und Vater werden will.
Mehr und mehr versucht der Film auf das Thema "unbedingte Mutterliebe" zu setzen. Anne setzt sich kritisch mit dem Nachbarn auseinander, der vielleicht ein "Designerbaby" möchte, während sie der Meinung ist, man nimmt ein Kind, wie es kommt. Später streitet sie mit Helen über Mutterliebe, die erst, als Luke in große Gefahr gerät, Verständnis für diese Unbedingtheit zu zeigen scheint. Nur Mütter können verstehen, was Mütter durchmachen: das gibt dem Film etwas Schlagseite und exkulpiert die Väter.
Fast könnte der Film mit dem Drei-Generationen-Idyll mit Anne, Helen und Luke enden, mit schmatzenden Igeln im Garten und Seehund-Kuscheltieren an Lukas' Grab, doch Anne setzt schließlich doch noch ihren früheren Plan für den Ruhestand um und will unter spanischer Sonne Olivenöl produzieren. Doch auch diese Wendung wirkt zu kalkuliert, um zu überzeugen. Sehenswert allerdings bleibt die Auseinandersetzung von Mutter und Tochter in diesem Film.
infobox: "Das gläserne Kind", Fernsehfilm, Regie: Suki M. Roessel, Buch: Alina Schmitt, Kamera: Philipp Timme, Produktion: Network Movie (ZDF-Mediathek seit 11.4.25, ZDF, 18.4.25, 21.15-22.45 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 12.04.2025 12:00
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Fernsehfilm, Roessel, Schmitt, Hupertz
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