15.04.2025 07:20
RBB-Reportage "Die Queens von Kreuzberg" porträtiert Migrantinnen
epd Firinca war fünf Jahre alt, als ihre Familie 1980 aus dem türkischen Anatolien nach Berlin kam. Als einzige türkische Familie wohnten sie damals in Kreuzberg in einem "Rentnerhaus", wie sie sagt, in dem sich die deutschen Mieter über den Kinderlärm beschwerten. Als Kind habe sie deutlich gespürt, dass sie nicht erwünscht war, und gefragt: "Was machen wir dann hier?" Alles war "grau und trist und die alten Menschen haben immer so böse geschaut". So fing sie als Kind an, kleine Blumensträußchen in der U-Bahn zu verschenken, um den Alten ein Lächeln zu entlocken.
Heute ist Firinca Fischer 50 Jahre alt, eine selbstbewusste, aparte Frau, die eine Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Marzahn leitet. Zu Beginn der Reportage sieht man sie gemeinsam mit ihren Freundinnen: Naciye Stein, die am Kreuzberger Erkelenzdamm im Schatten der Mauer aufwuchs, sich später selbstständig machte und heute eine Chocolateria in Kreuzberg betreibt, Alev Yildirim, besser bekannt als Musikerin Aziza A., die in den 90er ihre Karriere als Rapperin startete und Zerrin Atmaca, geboren 1969 in Berlin, die heute in einem beliebten Café arbeitet.
Früher wolltet ihr uns nicht sehen, jetzt müsst ihr uns sehen.
In "Die Queens von Kreuzberg" erinnern sich die vier Frauen an ihre Kindheit und Jugend im Kreuzberg der 80er Jahre und daran, wie sie sich als Töchter türkischer Einwandererfamilien in der Gesellschaft ihren Platz erkämpfen mussten. Alev sagt: "Früher wolltet ihr uns nicht sehen, jetzt müsst ihr uns sehen." Die Reportage der beiden Filmemacherinnen Susanne Heim und Carmen Gräf ist das Gegenstück zu ihrem Film "Die Kings von Kreuzberg" über vier ehemalige Mitglieder der in Berlin legendären "36 Boys". Daher war es eine naheliegende Programmentscheidung, nach den "Queens" im RBB noch einmal die Reportage über die "Kings" zu senden.
Das Gefühl von damals, nicht dazuzugehören und von der deutschen Mehrheit eher abgelehnt zu werden, verbindet wohl alle miteinander. Was die Frauen sich aber zusätzlich erkämpfen mussten, waren die kleinen und größeren Freiheiten: auf Klassenfahrten zu dürfen, auszugehen, sich zu kleiden, wie sie möchten, sich weiterzubilden. Und sich über ihr Selbstverständnis als Frau klarzuwerden, sich eigenständig zu behaupten und einen Platz im Leben zu erobern.
Es ist also die Geschichte einer mehrfachen Emanzipation, die die vier zu erzählen haben. Alle vier sind beeindruckende Persönlichkeiten: starke, unabhängige und schöne Frauen mit großer Ausstrahlung. Allerdings hätte man gern mehr über ihren Weg dorthin erfahren und auch, wie sie heute leben. Welche beruflichen Hürden mussten sie meistern, welche Ausbildungswege haben sie gesucht? Haben sie selbst Familien gegründet, Kinder bekommen? Welche Prägungen haben sie mitgenommen?
So ist es eher eine Erzählung über die deutsche und migrantische Gesellschaft und das Kreuzberg der 70er und 80er Jahre, das - wie sich nach dem Mauerfall zeigte - für sie auch ein "sicherer Ort" war, im Gegensatz zu dem Ostdeutschland, das sie erlebten. Die Reportage speist sich aus den persönlichen Kindheitserinnerungen und Erfahrungen, es sind auch TV-Aufnahmen aus dem damaligen Kreuzberg zu sehen.
Zerrin erinnert sich, dass sie schon früh Verantwortung übernommen hat: für die Eltern, die sich erst in Berlin kennengelernt hatten, aber wenig Deutsch sprachen. Die Tochter musste den Schriftwechsel mit Behörden übernehmen und als Teenager auch zu den Elternabenden ihres jüngeren Bruders gehen. Auf ihrer Schule ließ man sie, obwohl sie Klassenbeste war, nicht die Mittlere Reife machen, also besuchte sie die kaufmännische Berufsfachschule und machte den Abschluss dort.
Ihre Sorgen und Ängste habe sie meist mit sich ausgemacht, weil die Eltern zu sehr damit beschäftigt waren, sich im fremden Land zurechtzufinden, sagt Zerrin. Später habe sie manchmal große Wut auf die eigene Mutter gehabt, als sie merkte, dass eine Mutter dem eigenen Kind gegenüber viel zugewandter und liebevoller sein kann. Das ist die einzige Andeutung, die auf eine eigene Familiengründung schließen lässt. Mag sein, dass die 30 Minuten Sendezeit nicht viel mehr erlauben, dennoch hätte man gern mehr über die Biografien und die Weltsicht dieser vier Frauen erfahren.
infobox: "Die Queens von Kreuzberg", Reportage, Regie und Buch: Carmen Gräf, Susanne Heim, Kamera: Kirsten Kofahl, Arne Jannsen (RBB, 1.4.25, 20.15-20.45 Uhr und in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 15.04.2025 09:20
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KRBB, Steglich
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