16.04.2025 03:30
Ein epd-Interview mit dem ARD-Vorsitzenden Florian Hager
Herr Hager, Sie sind nun schon fast drei Monate Chef der ARD. Die gilt ja nicht unbedingt als einfaches Konstrukt. Tut Ihnen der Kopf bereits weh, weil Sie schon gegen viele Wände gelaufen sind?
Florian Hager: Ganz im Gegenteil. Ich habe mir natürlich viele Gedanken gemacht, wie das wird, wenn ich den ARD-Vorsitz übernehme. Verglichen mit meinem Vorgänger, SWR-Intendant Kai Gniffke, hatte ich den Vorteil, dass ich mehr als ein Jahr vorher wusste, was auf mich zukommt. Und ich kann auf der Arbeit meines Vorgängers gut aufsetzen, weil die Zusammenarbeit in den vergangenen zwei Jahren in der gesamten ARD deutlich besser geworden ist. Ja, diese Wände, die gibt es. Aber ich bin lange genug dabei, um manche Hintertür zu kennen, daher habe ich mir noch keine Beule geholt.
Sie sind jetzt Ende 40, damit gelten Sie für ARD-Verhältnisse immer noch als sehr jung. Haben Sie das schon zu spüren bekommen, dass man Sie als Nesthäkchen wahrnimmt?
Ehrlicherweise war das nie ein Thema. Das ist eher die Sicht von außen. Ich hatte tatsächlich schon einige Posten inne, so dass ich nicht mehr ganz neu im System bin. Aber ich bin immer noch der Berufsjugendliche, das stimmt schon. Mal sehen, wann das umschlägt. Mein Job ist es, in den nächsten Jahren jüngere Menschen auch in Führungspositionen zu bekommen.
Der ARD-Vorsitz hat mir dabei geholfen, auch in der Intendanten-Runde anzukommen.
Ihr Alter war also auch im Kreis der Intendanten nie ein Thema?
Ich bin jetzt seit drei Jahren Intendant des Hessischen Rundfunks und habe mich von Tag eins an sehr wohlgefühlt. Vorher dachte ich allerdings immer, dass ich die Gemeinschaft der ARD kenne, weil ich bereits in Gemeinschaftseinrichtungen gearbeitet hatte. Wie eine Landesrundfunkanstalt funktioniert, das war neu für mich. Davor hatte ich Respekt. Da musste ich meine Rolle erst finden, auch in der Intendanten-Runde. Das war nicht einfach, auch wenn ich einen klaren Beipackzettel habe - die ARD jünger, digitaler und neu erlebbar zu machen. Aber das muss man auch ausfüllen können. Der ARD-Vorsitz hat mir dabei geholfen, auch in der Intendanten-Runde anzukommen.
Die Hintertüren, durch die Sie zuweilen gehen, klingen interessant, Sie werden uns natürlich jetzt nicht verraten, welche das sind. Deswegen anders gefragt: Welche Fehler sollte denn ein neuer ARD-Vorsitzender unbedingt vermeiden?
Man sollte nicht denken, dass diese Rolle einem in irgendeiner Form die Macht verleiht, Dinge mal eben schnell verändern zu können. Deshalb habe ich nicht, wie klassischerweise bei jedem Vorsitzwechsel üblich, zuerst ein großes Interview gegeben und mit großem Pinsel Ideen skizziert. Wenn du intern nicht die Möglichkeit hast, Dinge einfach durchzusetzen, dann schaffst du eine externe Öffentlichkeit, die dann nach innen wirkt und versuchst so, eine Steuerung zu erreichen. Kann man machen, ich habe das nicht getan, sondern habe in den ersten Monaten erst einmal mit den Mitarbeitenden der ARD in einer Art Townhall-Tour durch die verschiedenen Häuser gesprochen. Ich sehe den Vorsitz arbeitsteilig, schließlich ist die ARD föderal aufgestellt. Deshalb versuche ich, Verantwortungen zu verteilen und möglichst viele Menschen am Gelingen dessen, was vor uns steht, zu beteiligen.
Ich versuche diesen Tross, der alle zwei Jahre von A nach B wandert, zu verkleinern.
Welche konkreten Verteilungsideen haben Sie, welche sind schon umgesetzt?
Für die Zeit unseres ARD-Vorsitzes haben wir im HR aus der Not eine Tugend gemacht. Der Hessische Rundfunk hat lediglich einen Intendanten und zwei Direktorinnen. Das würde schon allein für die Kommissionen des Vorsitzes nicht ausreichen. Deshalb haben wir Radio Bremen mit an Bord geholt. Auch um das Zeichen zu setzen, dass nicht nur die ganz großen Anstalten in der Lage sind, die ARD für zwei Jahre zu führen. Die Audio-Programmkonferenz wird von Radio Bremen und Jan Weihrauch geleitet.
Klaus Sondergeld, der Vorsitzende des Rundfunkrats von Radio Bremen, hat die Gremienvorsitzendenkonferenz übernommen. Es gibt eine Strategiegruppe auf ARD-Ebene, die von einer Mitarbeiterin des WDR geleitet wird. Ich versuche diesen Tross, der alle zwei Jahre von A nach B wandert, zu verkleinern, indem ich Aufgaben anders regle. Die müssen nicht alle am ARD-Vorsitz hängen, um dem Vorsitzenden das Gefühl einer Art von Allmacht zu geben.
Der Zukunftsrat für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hatte einen etwas anderen Vorschlag, er wollte gerne eine Art ARD-Geschäftsführung. Wäre das nicht eigentlich die bessere Idee gewesen, mit klareren Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten?
Das ist ein internes Fettnäpfchen, aber ich latsche mal mitten rein: Ja, ich bin persönlich davon überzeugt, eine Geschäftsführung wäre besser gewesen. Ich bin aber auch ein Kämpfer für inhaltliche Vielfalt und der Meinung, dass das föderale System die DNA der ARD ist. Die Idee des Zukunftsrates war es, eine Geschäftsführung für Verwaltung und Technik einzuführen. Sowohl in der Politik als auch in manchen ARD-Anstalten wurde das nicht goutiert.
Ich bezweifle, dass das unbedingt in einem Staatsvertrag geregelt werden muss und behaupte, wir bekommen das ohne hin. Wir werden uns programmfern so aufstellen, dass nicht mehr jeder alles machen muss. Der Reformstaatsvertrag sieht ein Federführungsprinzip in den Bereichen Verwaltung und Technik vor. Das zeigt, dass es in diese Richtung auch ohne klare Geschäftsführung gehen kann. Aber die hätte mir ehrlicherweise jetzt im Vorsitz geholfen, das stringenter aufzustellen.
Wir müssen die Organisation umbauen und zugleich einsparen.
Das Federführungsprinzip ist das, was im Reformstaatsvertrag vom Thema Geschäftsführung übriggeblieben ist. Bislang ist noch nicht greifbar, wie das aussehen könnte. Welche Ideen haben Sie dazu?
Die ARD-Rundfunkanstalten sind rechtlich eigenständige Einheiten. Wir haben zum Beispiel verschiedene Tarifsysteme. Eine Vereinheitlichung ist auch arbeitsrechtlich aktuell so nicht so einfach möglich. Auch wenn der Reformstaatsvertrag noch nicht ratifiziert ist, fangen wir bereits mit dem Thema Federführung an. Was ich als Intendant brauche, ist Planungssicherheit - und das fehlt durch die Unklarheiten bei den Fragen der Finanzierung und der Konsequenz der Umsetzung der Reformen.
Trotzdem haben wir im April einen Prozess beauftragt, um noch mal genauer anzuschauen, was Federführung eigentlich heißt. "Einer für alle" - das lässt sich einfach sagen, aber das ist kein "one fits all". Mein Ziel ist, dass wir im Programm die Vielfalt erhalten, obwohl es steuerungstechnisch schwierig ist, wenn redaktionell jeder seine eigene Hoheit behält - aber das genau ist die DNA der ARD, dafür wurde sie vor 75 Jahren gegründet.
Wie kann das gelingen?
Wir werden verschiedene Ansätze erarbeiten und daraus konkrete definitorische Regelungen ableiten. Das wird ein paar Jahre dauern, das ist auch der Medienpolitik bewusst. Wir müssen die Organisation umbauen und zugleich einsparen. Und da geht es am Ende um Personaleinsparungen. "Einer für alle" klingt ja so toll und einfach - das "Efa"-Prinzip wird es ja sogar genannt, heißt aber ganz klar: Es wird an einer Stelle das Personal gebündelt, um es an den anderen Stellen dann sukzessive abzubauen.
So offen spricht das niemand in der Politik aus. Auch dass das arbeits- und tarifrechtlich aktuell faktisch unmöglich und politisch auch nicht immer gewünscht ist - es geht ja dann auch um Arbeitsplätze in den Regionen, lässt man gerne unerwähnt. Ich würde mir da einen anderen Umgang mit dem Thema wünschen und möchte nicht immer nur hören: Die Intendanten sind zu doof und bekommen es nicht hin.
Wir haben geklagt, weil wir nicht wollen, dass dieses Verfahren beschädigt wird.
Sie sprachen eben von Planungssicherheit, und da kommt es natürlich auch auf den Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag an. Die Finanzkommission KEF hatte eine Beitragserhöhung zum 1. Januar 2025 um 58 Cent auf 18,94 Euro pro Monat empfohlen. Die blieb aus. Sie sagen, dass Sie nicht an die kompletten Rücklagen gehen dürfen. Schulden machen dürfen Sie aber auch nicht. De facto haben Sie zu wenig Geld. Was machen Sie jetzt?
Das Beitragsfestsetzungsverfahren ist eine Entscheidung der Politik. Die Politik formuliert unseren Auftrag, und das respektieren wir. Wir akzeptieren auch das Finanzierungsmodell. Das Verfahren zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags ist geschaffen worden, um politische Einflussnahme zu verhindern. Das gilt vor allem für den Fall, dass wir mal in Zeiten kommen, in denen politische Kräfte mitentscheiden, die uns gegebenenfalls komplett abschaffen wollen. Dieses Verfahren sichert unsere Staatsferne. Wir haben geklagt, weil wir nicht wollen, dass dieses Verfahren beschädigt oder geschwächt wird. Wir haben weder gegen den Reformstaatsvertrag geklagt noch gegen den Finanzierungsstaatsvertrag.
Das ist verwirrend: ARD und ZDF haben jetzt weniger Geld, weil die Erhöhung des Rundfunkbeitrags ausbleibt. Ministerpräsidenten wie Söder und Haseloff sagen: Das ist alles kein Problem, es sind ja noch Rücklagen da, die verwendet werden können. Ist das eine Lüge?
Lüge ist ein großes Wort. Der Punkt ist: Die KEF berechnet den Rundfunkbeitrag auf die gesamte Beitragsperiode von vier Jahren. Die Rücklagen sind in die von der KEF empfohlene Beitragserhöhung auf 18,94 Euro schon einberechnet. Wir können Geld nicht zweimal ausgeben.
Dann ist es mindestens eine irreführende Darstellung, wenn man so tut, als gäbe es einen Topf mit Rücklagen, in den Sie jetzt reingreifen können. Denn wenn Sie das täten, würde das Geld am Ende der Beitragsperiode fehlen und Sie müssten mehr abbauen.
Das ist richtig. Um bedarfsorientiert finanziert sein zu können, müsste es dann am Ende der Beitragsperiode einen riesigen Sprung beim Rundfunkbeitrag geben. Die Rücklagen führen dazu, dass unser Bedarf niedriger ist. Ich gehe nicht davon aus, dass dieser Bedarf zwingend immer weiter nach oben gehen muss. Aber um umzusteuern, brauchen wir deutlich länger, als die Medienpolitik das im Moment darstellt.
Wenn die Krise zuschlägt, ist es der Horror, wenn niemand verantwortlich ist.
Vor dem Hintergrund der Causa Thilo Mischke haben Sie neulich in Ihrer ersten Pressekonferenz als ARD-Vorsitzender gesagt, dass es künftig eine klare kommunikative Verantwortlichkeit für jede programmliche Einheit geben soll. Derzeit gibt es zwei ARD-Pressestellen, einmal die beim Vorsitz für die politischen Fragen und dann die Pressestelle der ARD-Programmdirektion in München. Wir kennen das Hin und Her mit den Zuständigkeiten, aber am Ende ist eigentlich immer klar, wer spricht. Im Fall Mischke war es allerdings seltsam, dass überhaupt niemand gesprochen hat, außer der Redaktion von "ttt - Titel, Thesen, Temperamente", die sich nach Weihnachten kryptisch auf Instagram geäußert hat. In welche Richtung geht Ihre Idee?
Das ist sehr treffend umschrieben. Beim Thema Mischke habe ich klar gespürt, dass ich als ARD-Vorsitzender nicht einfach entschuldigend sagen kann, dass ich erst dazu gekommen bin, als die Krisensituation schon da war. Allerdings kann ich nicht einfach einen Krisenstab installieren, ohne hierarchisch die Verantwortung für die Menschen zu haben. Ich muss erst mal meine Intendantenkollegen davon überzeugen, dass sie die Leute in den Krisenstab schicken. Das ist hier ohne Probleme gelungen, und der Krisenstab ist derzeit bei der Aufarbeitung. Als erste Konsequenz wird der MDR ab sofort die Verantwortlichkeit für die gesamte ttt-Markenfamilie übernehmen. Das heißt, der MDR ist Ansprechpartner für Medien und Öffentlichkeit für beide Formate, das lineare ttt-Magazin sowie ttt-social. Und das für die nächsten zwei Jahre.
Das könnte also ein Modell auch für andere Einheiten sein?
Es war mein Ziel, dass wir künftig zumindest auf kommunikativer Seite klare Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner haben. Da geht es gar nicht so sehr um die Pressestellen, sondern um die inhaltlichen Ansprechpartner, die dann auch für ein Statement zur Verfügung stehen. Wir haben eine unglaubliche inhaltliche Eigenständigkeit im System, und das ist wie gesagt auch gut so. Aber wenn die Krise zuschlägt, ist es der Horror, wenn niemand verantwortlich ist. Und das ändern wir jetzt. Damit in Krisensituationen eine Person auskunftsfähig ist und dafür auch alle nötigen Informationen bekommt. Unter Aufrechterhaltung einer möglichst großen redaktionellen Freiheit wollen wir eine Struktur mit klaren Verantwortlichkeiten schaffen.
Wir sollten ein modulares Infrastruktursystem aufbauen.
Die Digitalisierung ist Ihr persönliches Leitthema. Ihr Vorgänger Kai Gniffke hat dabei das Streaming-Netzwerk mit dem ZDF sehr nach vorne gestellt. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Hager: Hinter der Idee eines gemeinsamen Plattformsystems, die auch schon in der letzten Version des Rundfunkstaatsvertrags enthalten war, steckt die Überzeugung, dass wir sogar als ARD zu klein sind, um die nötigen Skaleneffekte, die Robustheit und die digitale Souveränität gegenüber den großen Plattformen zu haben. Dahinter steht nicht die Idee, eine gemeinsame Mediathek zu bauen. Es geht darum, Module einer Infrastruktur gemeinsam oder arbeitsteilig zu entwickeln. Und da sind wir schon mittendrin.
Wir haben einen gemeinsamen Player, ein gemeinsames Empfehlungssystem und ein gemeinsames Login. ARD-Inhalte sind über die ZDF-Mediathek verfügbar und andersrum. Das ist die Basis, auf der wir jetzt aufsetzen wollen. Ich bin sogar davon überzeugt, dass nicht nur ARD und ZDF in die Überlegungen mit einbezogen sein müssen, sondern eigentlich alle Medienunternehmen, also auch die Verlage und die privaten Rundfunkanbieter. Wir sollten ein modulares Infrastruktursystem aufbauen, auf das dann jeder sein eigenes Frontend aufsetzen kann. Das größte Ziel wäre es, auch einen gemeinsamen strukturierten Datenraum zu haben.
Welche Rolle spielt hier das Thema Künstliche Intelligenz?
Ich mache mir Sorgen um die Mediennutzungsveränderungen, die durch KI entstehen. Da geht es am Ende vielleicht gar nicht mehr um eine Produktsicht, sondern um Datenstrukturiertheit und Auffindbarkeit in Agentensystemen. Relevant ist nur, was auch gefunden wird. Ich sehe auch an meinen eigenen Kindern, wie radikal sich Mediennutzung gewandelt hat. Sie erschließen sich die Welt, indem sie Antwortagenten befragen. Wenn Menschen sich also über Fragen und Antworten Inhalte erarbeiten und wir nicht in der Lage sind, unsere Inhalte entsprechend aufzubereiten, dann werden wir nicht mehr genutzt werden.
Die dominierenden Plattformen reduzieren uns auf Inhalte-Zulieferer.
Sie haben gerade die Zusammenarbeit mit privaten Medienunternehmen angesprochen. ProSiebenSat.1 ist da mit Joyn schon mutig vorangeprescht und hat die Mediatheken von ARD und ZDF einfach in sein Angebot eingebunden. Das kam nicht so gut an bei Ihnen. Wie kann eine Kooperation denn funktionieren?
Wir sind in Gesprächen mit allen Marktteilnehmern. Wir haben, wie gesagt, selbst ein Interesse daran, weil wir sehen, dass die Zukunft der Medien in Deutschland und in Europa davon abhängt, dass wir eine kollektive Zusammenarbeit finden. Das duale Rundfunksystem war ein Garant dafür, dass sich die Gesellschaft in Deutschland so entwickeln konnte, wie sie sich entwickelt hat. Auch die Verlagslandschaft gehört dazu. Wir haben in den verschiedenen Medienmärkten bislang eine gute Aufteilung gefunden. Im Digitalen wird das immer schwieriger, weil wir in ähnlichen Medienmärkten unterwegs sind und am Ende das relevant ist, was gefunden wird. Ich bin trotzdem überzeugt, dass wir es nur gemeinsam schaffen.
Das setzt gemeinsame Interessen voraus. Wo liegen die?
Die dominierenden Plattformen reduzieren uns auf Inhalte-Zulieferer. Aber wir sehen uns nicht nur als Produzenten von Inhalten, sondern auch als Plattform. Und das ist, glaube ich, ein gemeinsames Interesse mit den Verlagen. Das zeigen unsere Gespräche mit dem BDZV-Vorstand, aber auch mit RTL und ProSiebenSat.1. Da gibt es eine breite gemeinsame Basis, weil wir der Meinung sind, dass unser Mediensystem in Deutschland auch in Zukunft ein Garant dafür sein muss, dass wir gesellschaftlich nicht dorthin wandern, wo andere schon sind.
Aber es bleibt trotzdem nicht aufzulösen, dass wir verschiedene Geschäftsmodelle haben und dass wir auf einem gemeinsamen Feld um Aufmerksamkeit kämpfen. Wir werden also auch hier nicht alle Konflikte lösen können. Wir sind bereit, zu überlegen, wie wir in Zukunft gemeinsamer vorgehen, wie wir zum Beispiel unsere Reichweiten auch für die Verleger nutzbar machen, indem wir Inhalte einbinden oder darauf hinweisen. Da gibt es von unserer Seite sehr viel Offenheit. Unser Interesse ist es explizit nicht, die Verlagslandschaft noch stärker anzugreifen, als sie jetzt schon von externen Kräften angegriffen wird.
Wir sind da schnell unterwegs, auch wenn das nicht immer so nach außen dringt.
Aber müsste das nicht eigentlich alles sehr viel schneller gehen? Der frühere BR-Intendant Ulrich Wilhelm hatte schon vor sieben Jahren, als er Vorsitzender war, ein ganz ähnliches Thema gesetzt. Er hat das immer auf den Begriff "europäisches Youtube" gebracht, was zu dem passt, was Sie skizzieren. Nur wurde ja nichts daraus. Und dann sind viele Sachen passiert, von Corona über den russischen Angriffskrieg bis hin zur zweiten Trump-Regentschaft. Müssen Sie das jetzt nicht ganz schnell auf die Beine stellen, bevor wieder irgendwas passiert?
Unser Ansatz ist eben nicht, von einer neuen, wie auch immer gearteten großen Plattform zu reden, sondern zu schauen, was gibt es, wie können wir da ein Netzwerk schaffen? Wie können wir die Kräfte bündeln? Wir haben sehr viele Module, die supergut funktionieren und anschlussfähig sind.
Wilhelm hat auch von Zeitungsverlagen gesprochen, von Kulturinstitutionen, die mitwirken könnten. Da steckte schon etwas drin von dem, was Sie sich jetzt auch vorgenommen haben.
Ja, nur dass ich versuche, das an bestehende Infrastrukturen zu knüpfen. Es ist nicht meine Idee zu sagen, das bauen wir jetzt mal neu auf, ich möchte schauen, was sich konkret machen lässt mit dem, was wir schon haben. Wir haben einen Player, den wir selbst entwickeln, den dann gegebenenfalls auch andere Institutionen nutzen können. Am Ende kann man überlegen, welche Größe das dann haben kann. Wir sind da schnell unterwegs, auch wenn das nicht immer so nach außen dringt.
Ist das eines Ihrer Hauptziele für die zwei Vorsitzjahre, dass Sie Ende 2026 mit diesem Projekt sehr viel weiter sind?
Meine Aufgabe sehe ich darin, dass ich jetzt zwei Jahre Zeit habe, Prozesse aufzusetzen, die dann hoffentlich in die richtige Richtung weitergehen. Da will ich auch meine Rolle und die Zeit, die ich habe, nicht überbewerten. Das Thema Tech-Unit ist ja bekannt und schon in der Zeit von Kai Gniffke als ARD-Vorsitzendem beschlossen. Wir müssen jetzt schauen, dass wir das auf die Reihe bekommen, dass wir die neun Landesrundfunkanstalten in eine Struktur bringen, die eben nicht neun verschiedene Elemente hat, sondern mit einem Element arbeitet. Und da gehen wir mit großen Schritten voran. Es kann immer alles schneller gehen. Mit dem Druck, den wir jetzt aktuell auch weltpolitisch spüren, wäre es mir lieber, wir wären schon zehn Schritte weiter. Aber Sie können sicher sein, dass das alle verstanden haben, worum es geht.
Die Politik greift damit in den Programmauftrag ein.
Sie hatten gerade angesprochen, dass es auch darum geht, auf kleinerem Level Angebote zu machen, zum Beispiel an die Verleger, Stichwort Einbindung von diversen Playern. Das ist ein Angebot, das es auch schon länger für die Verlage gibt. Da lautete die Rückmeldung bislang sinngemäß: Och nö, wir reichen lieber eine Beihilfebeschwerde bei der EU ein, lasst das mal mit den Angeboten. Haben Sie wirklich Hoffnung, dass bei dem Thema die Tür irgendwann doch noch mal aufgeht?
Klar habe ich die. Lassen Sie mich es so sagen: Die Verlagslandschaft ist so heterogen wie die ARD. Da gibt es auch verschiedene Strömungen, und ich glaube schon, dass wir uns unter dem gemeinsamen Schirm versammeln können, dass wir alle merken: Die wahren Gegner sind nicht wir untereinander. Wenn wir nicht aufpassen, dann sind wir alle weg. Am Ende bleiben wir aber auch Konkurrenten, und es wird immer Differenzen geben, die wir nicht auflösen können.
Schauen wir jetzt mal genauer auf ein paar Themen aus den aktuellen Staatsvertragsnovellen. Sie müssen insgesamt viel sparen und kürzen, aber in einem Bereich nicht: Bei den Sportrechten können Sie nach dem Willen des Gesetzgebers weiter aus dem Vollen schöpfen. Die Fußball-WM 2034 wurde jüngst nach Saudi-Arabien vergeben, die Medienrechte kommen sicher demnächst auf den Markt. Deswegen fragen wir mal Sie persönlich und als HR-Intendanten: Kaufen oder nicht kaufen?
Zunächst einmal: Die Politik hat eine Deckelung für die Sportrechte-Kosten beschlossen, und das ist rein rechtlich gesehen schwierig. Sie greift damit in den Programmauftrag ein. Aber es ist passiert. Da steht jetzt explizit eine Deckelung drin, auch wenn diese Deckelung den Gürtel nicht so eng schnallt, dass wir nicht mehr atmen können. Das würde ich mal als Gegenpunkt setzen zu "aus dem Vollen schöpfen". Zum anderen haben ARD und ZDF den Etat für Sportrechte in den vergangenen Jahren selbst bereits radikal gekürzt.
Häufig sind auch wir auf Sublizenzen angewiesen.
Der Deckel friert den Sportrechte-Etat etwa auf dem aktuellen Niveau ein.
Wir kaufen aber längst nicht mehr wie früher die kompletten Rechte ein. Das stimmt einfach nicht, was da suggeriert wird, dass wir diejenigen sind, die die Preise hochtreiben, dass wir diejenigen sind, die immer alles anderen wegkaufen. Das können wir rein finanziell gar nicht. Häufig sind auch wir auf Sublizenzen angewiesen. Unser Auftrag ist, allen Menschen ein Angebot zu machen, und Sportangebote - nicht nur die Fußball-WM, sondern vor allem auch die Olympischen Spiele, Multisport-Veranstaltungen oder Wintersport - sind für mich absolut ein öffentlich-rechtliches Thema. Ich hoffe, Sie hatten 2024 die Möglichkeit, mal in unseren Olympia-Multistream-Player reinzuschauen ...
Da haben wir sogar oft reingeschaut. Aber wir haben Sie nicht nach Olympia gefragt, sondern nach Saudi-Arabien. Wir hatten das Thema schon bei der Fußball-WM 2022 in Katar, für die ARD und ZDF die TV-Rechte gekauft hatten. Sie werden wieder vor der Situation stehen, dass Sie sich überlegen müssen: Kaufen Sie oder nicht? Und wenn Sie kaufen, wird es Kritik auslösen.
Wenn wir es nicht kaufen, auch. Und die Kritik, wenn wir es nicht tun, wäre deutlich größer. Ich kann dazu nur sagen: Wir werden das, wenn es so weit ist, bewerten und dabei alle Rahmendaten berücksichtigen. Wir machen das im Kreise der Intendanten, und all das steht auch unter Gremienvorbehalt. Und die Gremien sind durchaus kritisch.
Saudi-Arabien und vergleichbare Staaten sind bei der FIFA und anderen Sportverbänden inzwischen gut im Geschäft. Man muss erwarten, dass solche Situationen in Zukunft öfter kommen. Müssen Sie da nicht mal eine klare Linie finden?
Das sind Themen, die wir einzelfallmäßig betrachten und gemeinsam mit den Gremien entscheiden werden. Ich kann und will hier jetzt nicht einfach den Moralischen machen und sagen, das sind irgendwelche Länder, die nicht unseren demokratischen Überzeugungen entsprechen, und da dürfen wir nicht berichten. Wir erreichen mit Fußball Millionen von Menschen, Zielgruppen, die wir mit vielen anderen Programmen nicht erreichen. Da bringen wir Menschen zusammen, stiften Gemeinschaft, das sind Lagerfeuermomente! Und wir sind ja dann auch in der Berichterstattung kritisch, wenn es nötig ist - wofür wir durchaus auch von Sportverbänden kritisiert werden. Deswegen halte ich es für richtig, dass wir auch den Weltfußball im Programm haben. Dennoch: Ob wir Spiele der Fußball-WM 2034 übertragen werden, hängt von so vielen Faktoren ab - das kann im Moment noch niemand sagen.
Ich empfinde Teile des Reformstaatsvertrag als extrem rückwärtsgewandt.
Kürzen müssen Sie bald im Bereich der TV-Spartenkanäle. Die politische Erwartung war ja schon länger so, dass sie da etwas streichen sollten. Frühere Staatsverträge hatten bereits die Möglichkeit eröffnet, aber dann passierte nichts. Jetzt haben Sie eine lustige Aufgabe, denn da sind vier Sender in diesem Info-Korb: Phoenix, Tageschau24, ARD-Alpha und ZDFinfo. Zwei von der ARD, einer vom ZDF und einer von beiden. Und zwei sollen weg. Jetzt gehen Sie zu ZDF-Intendant Norbert Himmler und fragen: Was machen wir mit dieser Vorgabe? Da sind wir sehr gespannt drauf.
Ich habe schon ein paar Mal gesagt, dass ich diese Teile des Reformstaatsvertrags als extrem rückwärtsgewandt empfinde. Dass wir uns 2025 noch über Sparten- und Digitalkanäle unterhalten, obwohl wir vor einer Medienrevolution mit KI stehen, das finde ich zumindest interessant. In diesem Reformstaatsvertrag steht nirgendwo auch nur ein Satz zu dem, was eigentlich unsere Aufgabe und Rolle in der Zukunft sein soll. Für einen zukunftsweisenden Staatsvertrag hätte ich mehr erwartet, als zu sagen, wir streichen euch 16 Hörfunkprogramme und ihr sollt die Digitalkanäle neu ordnen.
Spannend finde ich, dass in dem Vertrag steht, dass 2033 alle Spartenkanäle digital sein müssen. Das ist der interessante Auftrag. Zu überlegen, wie wir gemeinsam mit dem ZDF aus digitaler Sicht diese Punkte gestalten. Das beginnt beim Kika und geht bei Funk weiter. Wie stellen wir uns so auf, dass wir in einer digitalen Zukunft arbeitsteilig, aber mit klaren Verantwortungen unterwegs sind? Dazu habe ich bereits viele Gespräche geführt. Ich mache aber keine Ankündigungen zu Zwischenständen. Ich habe mir vorgenommen, Dinge zu kommunizieren, wenn sie erledigt sind.
Transparenz ist auch ein Thema, das im Reformstaatsvertrag eher am Rande eine Rolle spielt. Was hindert die ARD daran, freiwillig mehr zu machen und den Weg weiterzugehen, den Karola Wille 2017 schon begonnen hat? Warum gibt es kein zentrales Portal, in dem wirklich alle Geschäftsberichte und Kostenübersichten verfügbar sind?
Auf den ARD-Transparenzseiten steht eigentlich alles. Aber es gibt nicht diese eine Stelle, wo Sie relativ einfach durchsuchbar alle Geschäftsberichte haben. Das ist technisch und rechtlich ein bisschen schwierig, weil diese Geschäftsberichte in der jeweiligen rechtlichen Logik einer Rundfunkanstalt sind. Ich höre immer wieder, dass wir nicht transparent seien. Aber für den Hessischen Rundfunk beispielsweise kann ich das nicht verstehen. Wir machen öffentliche Hauptversammlungen und Rundfunkratsitzungen, dort muss ich Rede und Antwort stehen. Jeder kann dabei sein, wenn ich Geschäftszahlen reporte.
Seit Karola Wille diesen Transparenzprozess begonnen hat, ist es doch viel besser geworden.
Die Kritik trifft nicht Sie beim HR. Beim WDR zum Beispiel stehen zwar die Geschäftsberichte irgendwann im Netz, aber es gibt seit Jahren keine begleitenden Pressemitteilungen mehr, die die Zahlen zusammenfassen und erklären. Der RBB hat lange Zeit gar keine Geschäftsberichte veröffentlicht, seine Landesgesetzgeber hatten ihm das früher auch nicht vorgeschrieben. Können die Intendantinnen und Intendanten sich da nicht auf Standards committen, vielleicht auch mal ohne zwingende Vorschriften in Staatsverträgen?
Es gibt doch beispielsweise den Finanzbericht an die Landtage, der auf den ARD-Seiten abrufbar ist. Wir veröffentlichen alle Gehälter der Intendantinnen und Intendanten. Seit Karola Wille diesen Transparenzprozess begonnen hat, ist es im Vergleich zu früher doch viel besser geworden. Und wir gehen an einigen Stellen weit über das hinaus, was die Politik gefordert hat. Als ich mich für das Intendantenamt beim HR beworben habe, habe ich mir den HR-Geschäftsbericht durchgelesen. Schauen Sie da mal auf die letzten Seiten zum Thema Risikoanalyse, wie offen und ehrlich da Dinge drinstehen. Wir sind so transparent wie irgend möglich, was die Zahlen angeht.
Zum Schluss noch ein ganz anderes Thema: Die ARD wird 75 Jahre alt in diesem Jahr. Wir haben uns gefragt: Warum gibt es eigentlich keine zentrale Festveranstaltung?
Für uns ist dieser Geburtstag der Moment, an dem an dem wir gemeinsam mit unserem Publikum die großen emotionalen Momente der letzten 75 Jahre in TV und Radio feiern wollen, die wir in der ARD schaffen konnten. Ich glaube, da können wir uns schon mit breiter Brust hinstellen und sagen, dass die ARD ein sehr wichtiges Element für die Entwicklung unserer demokratischen Gesellschaft war, gerade in der Nachkriegszeit und beim Aufbau der Bundesrepublik, und danach auch in der Wiedervereinigung. Da waren wir ein Stabilisierungsfaktor.
Wir müssen es nun angehen, dass wir in den nächsten 75 Jahren noch genauso relevant sind. Dazu wird es Veranstaltungen geben, bei denen wir über unsere Rolle reden wollen, auch mit jungen Journalistinnen und Journalisten. Es wird aber nicht "die eine" institutionelle Feier geben, zu der wir alle möglichen Promis zum Beispiel aus der Medienpolitik einladen und uns selbst feiern. Keine Gala, kein Pomp. Ich finde, das steht uns nicht zu.
rid/nbl
Zuerst veröffentlicht 16.04.2025 05:30 Letzte Änderung: 16.04.2025 08:42
Schlagworte: Medien, Rundfunk, ARD, HR, Hager, Medienpolitik, rid, nbl, NEU
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