28.04.2025 07:40
ZDF-Dokumentation "Wie Kriege enden"
epd Im Mythos gilt der Krieg als Kunst, weniger seine Beendigung. Ziel ist Sieg, nicht Vermittlung. Wer verliert, hat das Nachsehen. Dauerhaft ist solcher Friede nicht. Unrecht bleibt bestehen, Heldentode werden gefeiert und betrauert, die Beute schließt Frauen und Kinder ein. Bis zur nächsten kriegerischen Auseinandersetzung. Nicht nur die "Ilias" singt ein Lied vom Zyklus der Gewalt und ihrer bloß vorübergehenden Abwesenheit. Wer das Neue Testament liest, bekommt freilich andere Vorstellungen: Friedlichkeit und Frieden sind Aufgabe des Menschen.
Heute, so stellt es der höchst informative Film "Wie Kriege enden - und Frieden möglich ist" dar, geht die allgemeine Vorstellung noch immer davon aus, dass im Kriegsfall und in sogenannten bewaffneten Konflikten einer allein umfassend siegt und der oder die andere(n) gänzlich unterliegen. Das Denkmuster ist geprägt vom Ende des Zweiten Weltkriegs und den Nürnberger Prozessen.
Diese Vorstellung allerdings, so beschreiben es die zahlreichen Vermittler, Friedensnobelpreisträger und Friedensforscher im Film, ist für aktuelle und die in den vergangenen Jahrzehnten beigelegten Kriege nicht zutreffend. "Siegfrieden" und "Siegerjustiz" entsprechen weder ihrer Erfahrung, noch sind sie in ihren Augen Wege zu einem dauernden Frieden.
Es geht um Verhandlungsfrieden, kompliziert, herausfordernd. Er benötigt Strategie, Taktik und Planung sowie Ziele auf jeder Seite, außerdem Ausdauer, Wille und Gesprächsgeschick. Nicht die Treffen im Rampenlicht der Weltgeschichte sind das Entscheidende, sondern die Öffnung von Gesprächskanälen im Hintergrund. Und für Politiker und andere exponierte Beteiligte ist der mutige Prozess der Suche nach Frieden risikoreich, manchmal tödlich.
"Man schließt Frieden nicht mit Freunden, man schließt Frieden mit Feinden", sagte Jitzchak Rabin. Das Zitat des ermordeten israelischen Ministerpräsidenten steht am Beginn des Films. Vertrauen, sagt einer der Gesprächspartner, ist jedoch keine Voraussetzung von Verhandlungen, sondern entsteht bestenfalls im Prozess der Verhandlungen. Überhaupt erfährt man hier manches, in sehr konzentrierter Weise, das man noch nicht wusste über diese schwierigste Aufgabe, die Diplomatie haben kann.
Dass ein nachhaltig verhandelter und gelebter Frieden die viel größere Kunst ist als Krieg, wird niemand bezweifeln, der die dichten 90 Filmminuten gesehen hat. Dass hier Naturbeobachtungs-Füllbilder Zeit und Raum für das Mitdenken geben, ist ausnahmsweise angemessen. Eine Stärke dieser Dokumentation ist, dass ihre zahlreichen hochkarätigen Zeugen keine eindeutigen Blaupausen liefern. Sie zeigen zwar Sackgassen und Hindernisse auf, aber aus ihren relevanten Erfahrungen werden die Extrapolationen erstellt, auf induktive Weise.
Kolumbien, Südafrika, Westjordanland, Afghanistan: Die Beispiele, bei denen leider der Nordirland-Konflikt mit seinem historischen Karfreitagsabkommen fehlt, sind zwar sehr unterschiedlich, haben aber auch Gemeinsamkeiten. Der Film bietet für jedes Beispiel eine Rückblende zu Ursachen und Verlauf, dazu einen Ausblick auf die aktuelle Situation und mögliche Zukunft der Friedensprozesse.
Mit dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg in Kolumbien und seiner Beendigung fängt es an, mit Ausführungen des ehemaligen Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Juan Manuel Santos und seines früheren Feindes, des Kommandanten der FARC-Rebellengruppe Pablo Catatumbo. Der Weg zum Frieden wird nachgezeichnet. Es ist ein nicht abgeschlossener Prozess, das wird unmittelbar klar.
Beispiel Südafrika: Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa, der an der Seite Mandelas mit dem Apartheidsregime verhandelte, ist ein weiterer sehr interessanter Gesprächspartner, auf der anderen Seite wird der damalige stellvertretende Polizeiminister Roelf Meyer in die Nacherzählung eingebunden.
Es geht immer um Entscheidungen.
Nicht alle Protagonisten freilich leben noch: Nelson Mandela und Willem de Klerk, Yassir Arafat und Jitzchak Rabin sind in Archivaufnahmen zu sehen. Personenkult wird ausgespart. Stattdessen zeigt der Film, der auch den 7. Oktober und den israelischen Krieg in Gaza in den Blick nimmt, zwei Friedensaktivisten, den Juden Eliaz Cohen auf der einen und den Palästinenser Khaled Abu Awwad auf der anderen Seite, und damit stellvertretend eine Versöhnung auf privater Ebene. Ihre Erzählung erinnert stark an das dokumentarisch-fiktionale Buch "Apeirogon" von Colum McCann, in dem der Israeli Rami Elhanan und der Palästinenser Bassam Aramin im Mittelpunkt stehen, die beide Töchter bei Attentaten des Feindes verloren haben und später als Friedensaktivisten Freunde werden.
Dem Film geht es konsequent darum, Möglichkeiten des Friedens aufzuzeigen, ohne die Hindernisse zu verschweigen, aber sie eben als Hindernisse zu sehen und nicht als das Ende des Endes von Kriegen. Es geht immer um Entscheidungen. "Wie Kriege enden" entscheidet sich für eine vorsichtig optimistische Bestandsaufnahme. Wer Marcel Mettelsiefens aktuelle Dokumentation "Aufwachsen im Westjordanland" über die Radikalisierung von palästinensischen und israelischen Kindern und Teenagern gesehen hat, sollte "Wie Kriege enden" danach schauen, um die Hoffnung nicht zu verlieren.
infobox: "Wie Kriege enden - und Frieden möglich ist", Dokumentation, Regie und Buch: Jobst Knigge, Cristina Trebbi, Susanne Utzt, Kamera: Jörg Adams, James Boon, u. a.Produktion: Broadview Pictures (Arte/ZDF, 22.4.25, 20.15-21.45 Uhr, Arte-Mediathek, bis 14.10.25)
Zuerst veröffentlicht 28.04.2025 09:40 Letzte Änderung: 28.04.2025 11:07
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, KZDF, Knigge, Trebbi, Utzt, Hupertz, NEU
zur Startseite von epd medien