Neues vom Zauberberg - epd medien

29.04.2025 13:06

Unternehmensberater Sven Schmitz hatte eigentlich seinen Urlaub schon gebucht, doch dann muss er feststellen, dass er als nicht "urlaubsfähig" gilt. In dem Hörspiel "Die Erschöpften" sollen Urlaubsreife in einer Pre-Holiday-Klinik den Müßiggang erlernen.

ARD-Hörspielserie "Die Erschöpften" von Oliver Sturm

In "Haus Müßiggang" sollen die Erschöpften lernen, wie man die Seele baumeln lässt

epd Von den vielen Skills und Fähigkeiten, die Arbeitnehmer und Selbständige heute vorweisen müssen, ist die "Erholungsfähigkeit" vermutlich die am meisten unterschätzte. Geht doch irgendwie von selbst, Erholung. Oder nicht? Burnout-Patienten wissen: Nein. Man liegt am Ostseestrand, wandert auf dem Jakobsweg, jettet zum nächsten Seelebaumelnlassen nach Indien und lässt es sich dabei für alle deutlich sichtbar gutgehen auf Insta. Aber Erholung? Keine Spur.

Nicht so in der Hörspielserie "Die Erschöpften" von Oliver Sturm. In einer von der Gegenwart nicht allzu weit entfernten Zukunft verabschiedet die Bundesregierung das sogenannte Urlaubsgewährungsgesetz: Fortan muss, wer in den Urlaub fahren will, ein ärztliches Attest vorlegen, das ihm "Urlaubsfähigkeit" bescheinigt. Wer als "zwar urlaubsreif, aber nicht urlaubsfähig" gilt, wird in eine Pre-Holiday-Klinik eingewiesen. Selbst dann, wenn er - wie Sven Schmitz (Tom Schilling) - bereits Flug, Hotel und Geländewagen gebucht hat. "Freiheitsberaubung", findet der. Andererseits: Im "Haus Müßiggang", einer 1901 gegründeten Klinik in den Bergen, ist es gar nicht so schlecht, wie sich bald herausstellt. Nur etwas seltsam.

Morgenrunden im Stuhlkreis

Sven Schmitz ist weniger von seinem Unternehmensberaterjob ausgebrannt - gegen all die Verschlankungsmaßnahmen und Effizienzsteigerungen hat er nichts - als durch seine Beziehung zu Cleo (Marleen Lohse), einer verheirateten Boderlinerin. Sie schickt ihm von draußen irrlichternde Whatsapps, die sekündlich zwischen Liebeserklärung und Zurückweisung wechseln, was er seufzend hinnimmt.

Die Morgenrunden im Stuhlkreis mit den anderen Erschöpften, die allesamt "ständige Erreichbarkeit" als wichtigsten Ausbrenn-Motor bezeichnen, verschaffen ihm etwas Abstand, bieten Unterhaltung und lassen sogar eine neue Freundschaft reifen: Astra (Inga Busch) aus Gelsenkirchen, seit acht Jahren Autorin mit Schreibblockade und wegen ihres Afro-Flechtwerks auf dem Haupt von einer woken Mitinsassin der kulturellen Aneignung bezichtigt.

Lässig-heiterer Grundton

Im Speisesaal sitzt auch der eine oder andere Promi - wie "der ehemalige Wirtschaftsminister". Die Politik erscheint sonst zunächst einmal weit weg. In der sich als nobles Hotel gebenden Rehaklinik soll es darum gehen, dass die Eingewiesenen die Basics wieder lernen: Im Strandkorb sitzen. Mit Kindern spielen (es sind Therapiekinder, nur zum Üben). Beim Waldbaden tief einatmen. In Gesprächen auch mal das Gegenüber etwas fragen "und der Antwort zuhören". Nicht zu vergessen das Cocktail-Training vor einer täuschend echten Strand-Kulisse. "An der Strandbar kommt es darauf an", doziert der bald ebenfalls ausgebrannte Einweiser in freundlichem Ton, "sich so zu betrinken, dass innere Heiterkeit und Gesprächsbereitschaft in ein Gleichgewicht kommen und die Wirkung des Alkohols zur Erweiterung unserer sozialen Kontakte beiträgt".

Doch was zunächst nach einer Satire auf das Dogma ständiger Selbstoptimierung oder auf die "Gesundheitsdiktatur" klingt, weitet Autor und Regisseur Oliver Sturm perspektivisch aus, schärft es zugleich politisch an und behält dabei bis zuletzt einen lässig-heiteren Grundton bei. Sei es der merkwürdige Teich auf dem Gelände, an dem okkulte Versammlungen stattfinden, oder seien es die heimlichen Rituale, die Sven durch den Lüftungsschacht belauscht. Ein "Prinz Preuß" taucht auf, Einheimische rufen rechte Parolen, auch linksidentäres Führungspersonal gesellt sich zur immer ominöseren Gemengelage rund um die Machenschaften der Klinik.

Der Geist Thomas Manns

Doch selbst das dystopisch heranbrandende Chaos gegen Ende bleibt witzig. Wie das geht? Der 1959 geborene Autor und Regisseur Sturm, dessen Hörspielinszenierungen mehrfach als Hörspiel des Monats und des Jahres ausgezeichnet wurden, beschwört buchstäblich den Geist Thomas Manns. Genauer gesagt, den des "Zauberbergs".

Mochte man anfangs noch hier und da vage an den 1924 erschienenen Roman denken, tauchen bald wörtliche Zitate und Situations-Zwillinge auf. Der Arzt heißt, wie bei Mann, Doktor Behrens (Sebastian Blomberg); es gibt Liegekuren und sogar eine Türen knallende Russin namens Clawdia Chauchat (Jeanette Spassova). In sie wird sich Sven Schmitz, dieser neue Hans Castorp, heillos verlieben. Doch sie spielt zugleich eine Schlüsselrolle bei den Verschwörern. Sturm platziert geschickt Deutungsangebote. Vielleicht ist das ganze Setting nur ein Traum Svens, oder gar eine Art Limbus, die literaturhistorisch unterfütterte Nahtoderfahrung eines Unternehmensberaters?

Große Gereiztheit

Auch musikalisch ist das Hörspiel ein Vergnügen. Andreas Bicks Komposition macht ebenso Spaß wie die Sprachspielereien Sturms. Der Naturverzückung wird mit einer kleinen, beiläufigen Hommage an Edvard Griegs "Morgenstimmung" gehuldigt, das Provinzielle und zugleich Abgründige findet sein Echo in altmodischen Sythesizer-Harmonien wie in Angelo Badalamentis beklemmend-heimeligem Score aus "Twin Peaks"; dazwischen wird im Salon bei Klavierklängen entspannt oder das Gerede pausiert ein paar komödienhaft dahinkullernde Slapstick-Takte lang.

Es ist schon eine prophetische Unheimlichkeit, die einen bei neuer Lektüre von Thomas Manns hundertjährigem Roman derzeit erfassen kann. Darin hält ja auch Okkultes Einzug, neben einer grandiosen Erschöpfung grassiert irgendwann auch "die große Gereiztheit". Diese Mannschen Beobachtungen nimmt Oliver Sturm beim Wort und verblendet sie immer wieder verblüffend stimmig mit aktuellen rechts- wie linksidentitären, verschwörungsgläubigen Bewegungen.

Svens Therapiegruppe beobachtet das alles und staunt ungläubig und untätig, was manchen Heutigen ganz diskret einen Spiegel vorhält. "Was ist denn nur passiert?", wird Tom Schillings leicht heisere, helle Stimme irgendwann fragen, ohne jede Panik, eher verwundert und resigniert. "Die neue Zeit ist da", lautet die schlichte Antwort.

infobox: "Die Erschöpften", zehnteilige Hörspielserie, Regie und Buch: Oliver Sturm, Komposition: Andreas Bick (ARD-Audiothek/NDR/DLF, seit 28.4.25, NDR Kultur, ab 3.5.25, samstags 18.04-20.00 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 29.04.2025 15:06 Letzte Änderung: 29.04.2025 15:12

Cosima Lutz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KNDR, KDLF, Hörspiel, Sturm, Bick, Lutz, NEU

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