02.05.2025 05:30
75 Jahre ARD: Verantwortung und Kooperation im dualen System
epd Vorweg ein Gedanke, der für mich nicht verhandelbar ist: Unser Mediensystem lebt von Vielfalt - aber auch von Verantwortung. Wer heute Medieninhalte für Millionen macht, steht nicht nur im Wettbewerb um Aufmerksamkeit, sondern muss auch bedingungslos Verantwortung übernehmen. Jederzeit und gegen immer größere Widerstände. Inhaltlich, gesellschaftlich, strategisch.
Genau deshalb brauchen wir ein starkes duales System heute und in Zukunft. Öffentlich-rechtlich und privat - nicht primär als Gegenspieler, sondern als gemeinsamer Rahmen, der der großen Mehrheit in Deutschland in schwierigen Zeiten Orientierung bietet. Und deshalb möchte ich eines heute deutlich sagen: Danke, ARD.
Die ARD war und ist in vielen Bereichen Wegbereiter. Unter anderem für den täglichen linearen "20.15 Uhr"- Rhythmus, für verlässliche Informationen an sieben Tagen die Woche, oder für die lokale Vor-Ort-Berichterstattung in den vielfältigen Dritten Programmen. Und ja - auch für uns bei RTL.
Als wir vor Jahren begonnen haben, RTL Deutschland grundlegend zu transformieren - mit neuen digitalen Modellen, datengetriebener Personalisierung und unserem klaren Ziel, RTL+ zum führenden Entertainment-Angebot Deutschlands zu machen, konnten wir uns auf ein solides System stützen, das auch durch die Pionierleistung der Öffentlich-Rechtlichen stark wurde.
Schade ist allerdings, dass die öffentlich-rechtlichen Kolleginnen und Kollegen bei jeder neuen Verhandlungsrunde über Medienstaatsverträge und Beitragsgelder argumentieren, dass unabhängiger Journalismus auf höchstem Niveau eigentlich nur im System von ARD und ZDF möglich sei und dort geschützt werden müsse. Dabei blenden die Kolleginnen und Kollegen die großen und wichtigen journalistischen Leistungen der privaten Anbieter und Medienhäuser meistens leider völlig aus.
Dieses duale Rundfunksystem ist eine große Stärke der deutschen Medienlandschaft.
So strahlen wir zum Beispiel täglich mit "RTL Aktuell" eine der erfolgreichsten deutschen Nachrichtensendungen aus und verantworten mit NTV den größten und reichweitenstärksten Nachrichtensender Deutschlands. Ohne einen einzigen Beitrags-Euro. Ebenso unabhängig, hochwertig und verlässlich.
Gerade dieses duale Rundfunksystem ist eine große Stärke der deutschen Medienlandschaft, die wir vor allem in der Abgrenzung zum brandgefährlichen Informationschaos auf ausländischen Plattformen viel öfter betonen als vergessen sollten. Egal, wen von uns die Deutschen einschalten, schauen, hören oder lesen - auf uns können sie sich verlassen. Jederzeit und überall, seit mehr als 40 Jahren.
Damals in den 1980er Jahren ermöglichte die Politik mit dem dualen System eine neue Medienrealität: Wettbewerb kam auf, neue Player wie RTL traten auf die Bühne - mit anderen Schwerpunkten und einer neuen Herangehensweise. Die öffentlich-rechtlichen Sender wurden dadurch herausgefordert, aber auch gestärkt. Inhalte mussten neu gedacht, Formate weiterentwickelt, Zielgruppen differenzierter angesprochen werden. Was folgte, war ein Lernprozess auf allen Seiten - und die Geburtsstunde eines der vielfältigsten, innovativsten und stabilsten Mediensysteme Europas, wenn nicht weltweit.
Aber darauf dürfen wir uns keine Sekunde mehr ausruhen, sondern unsere Anstrengungen und ja, teilweise unseren Kampf für dieses, unser System nochmal verstärken. Denn ein gutes System muss sich weiterentwickeln, wenn es zukunftsfähig bleiben will. Grundsätzlich und ganz besonders JETZT. Es ist höchste Zeit für ein schnelles, konsequentes Systemupdate und für echte Leadership auf beiden Seiten.
Wer führt, handelt nicht nur für sich selbst. Leadership bedeutet, über den Tellerrand hinauszudenken: wirtschaftlich, gesellschaftlich, kooperativ. Genau dafür stehen wir bei RTL. Als die ARD für die "Sportschau" aufgrund eines Streiks kurzfristig Produktionsunterstützung benötigte, haben wir sofort mit unserem Studio und den technischen Crews ausgeholfen. Weil es nicht um Abgrenzung, sondern um gemeinsames Gelingen ging. Oder in diesen Tagen beim ESC: Ein ikonisches europäisches Format, das im sehr vertrauensvollen Zusammenspiel von Christine Strobl, Inga Leschek und unserem RTL-Kopf Stefan Raab auf privater und öffentlich-rechtlicher Bühne eine neue Dynamik entfaltet und die jungen Zuschauer millionenfach vor die Bildschirme gelockt hat.
Und eins sei an dieser Stelle auch noch versprochen: Uns würde es im Traum nicht einfallen, starke Inhalte oder kreative Köpfe von ARD oder ZDF in einer Nacht-und-Nebel-Aktion unabgestimmt auf unserer Streaming-Plattform RTL+ einzubinden. Egal, wie groß die Not oder hart der Wettbewerb auch sein mag.
Kooperation ist für uns keine Phrase oder Politik, sondern ernsthaftes miteinander Machen. Abgestimmt, verlässlich und mit dem größtmöglichen Respekt für die Leistungen und Inhalte des jeweils anderen!
Wir bei RTL versuchen intensiv, das duale System weiterzudenken: linear UND digital, journalistisch UND unterhaltsam, national UND europäisch. Mit RTL+ investieren wir massiv in Inhalte, Technologie und Personalisierung - nicht als Selbstzweck, sondern für ein gutes Produkt, das Millionen von Menschen erreicht, relevant und vielfältig ist. Und gerade, weil globale Plattformen wie Tiktok, Youtube und Instagram zunehmend versuchen, unsere Medienrealität zu bestimmen, ist es nicht zeitgemäß, an alten Besitzständen festzuhalten. Es bedarf nationaler Player mit starker Identität - und strategischer Zusammenarbeit. Wer heute Verantwortung trägt - öffentlich-rechtlich wie privat - muss bereit sein, vertraute Positionen zu hinterfragen und neue Partnerschaften und Allianzen zu denken.
Die große Offenheit des neuen ARD-Vorsitzenden Florian Hager hierfür begrüßen wir sehr. Das gilt ausdrücklich auch für die Betrachtung sehr grundlegender Themen wie etwa, die Abhängigkeiten im Digitalen zum Beispiel bei Tech-, Data und Infrastruktur von nur wenigen internationalen Playern zu reduzieren und europäische Lösungen zu entwickeln - selbstverständlich unter Beachtung der unterschiedlichen "Geschäftsmodelle" öffentlich-rechtlicher wie privater Anbieter.
Dazu wäre es allerdings auch hilfreich, liebe öffentlich-rechtliche Kolleginnen und Kollegen, dass sich jemand unsere technischen Systeme, die bei vielen Partnern bereits sehr erfolgreich im Einsatz sind, mal unvoreingenommen anschaut und ernsthaft für gemeinsame Entwicklungen in Erwägung zieht.
Was darüber hinaus noch wichtiger ist, ist ein klares und zukunftsgerichtetes Rollenverständnis innerhalb des dualen Systems.
Wettbewerb entsteht nur dann auf fairem Boden, wenn die Rollen sauber definiert sind. Die ARD - ebenso wie das ZDF - verfügt in wirtschaftlich angespannten Zeiten über das große Glück einer stabilen und jederzeit planbaren Finanzierung. Auch in den letzten zwei Rezessionsjahren sind die Rundfunkbeiträge mit inzwischen gut neun Milliarden Euro von Rekordwert zu Rekordwert geklettert. Völlig entkoppelt von Corona, Kriegen, Trump, Regierungs- und Wirtschaftskrise.
Zeitgleich gingen die Werbeerlöse der privaten Medienhäuser in Summe im Vergleich zu 2019 um rund 20 Prozent zurück. Der Rundfunkbeitrag ist - auch wenn das der ein oder andere manchmal vergisst - ein großes Privileg. Und dieses Privileg verpflichtet ohne Wenn und Aber:
zu einem klaren Fokus auf den öffentlichen Auftrag, der in den kommenden Monaten nicht nur in Interviews betont werden darf, sondern spürbar geschärft und angepasst werden muss.
zur Zurückhaltung bei kommerziellen Formaten: Warum ist die Reaktion auf Anzahl und Gestaltung der Unterhaltungsformate im öffentlich-rechtlichen System ausgerechnet die aktuelle Beauftragung von Reality-Formaten wie die "Werwölfe vom Düsterwald"? Nicht nur, dass man damit das RTL-Erfolgsformat "Die Verräter" kopiert, sondern vor allem dringt man damit ohne Not und abseits des Auftrags auch in die letzte große Domäne der privaten Anbieter vor: Reality-TV.
zu mehr Kostenbewusstsein und zur Bereitschaft, bei großen Projekten wie Sportrechten kooperativ zu handeln, statt exklusive Märkte zu schaffen oder Preisentwicklungen zu bestimmen oder mit Beitragsgeld zu beschleunigen.
Hier sind wir nicht immer einer Meinung und werden unsere Position, wie etwa im Bereich der Sportrechte, auch weiterhin sehr deutlich machen. Die Zukunft gehört einem Mediensystem, das Synergien sucht, Doppelausgaben vermeidet und Mittel effizient und verantwortungsvoll einsetzt. Kooperation darf kein Einzelfall sein, sie muss strukturell und dauerhaft gewollt sein. Dazu gehört dann zum Beispiel auch, dass man Spiele deutscher Mannschaften, Viertel-, Halbfinal- oder Finalspiele zukünftig fair untereinander aufteilt, Großevents gemeinsam produziert und die besten Köpfe aus beiden Welten zu einem großen Team zusammenbaut.
Ich bin überzeugt, dass wir nur so in den kommenden Jahren die Übertragung von Sportevents und den kostenlosen Zugang zu großen Emotionen, Jubel und Tränen für Millionen Deutsche im Wettbewerb mit den amerikanischen Streaming-Plattformen gewährleisten und finanzieren können.
Und das ist nur ein kleiner Teil der immensen Herausforderungen, vor die uns die globalen Plattformen und die rasante Entwicklung von Künstlicher Intelligenz stellen. Aber genau diese Entwicklung verpflichtet uns auch, im nationalen System genau hinzusehen - hier sind Reibung und Kooperation notwendiger denn je. Ich bin überzeugt, dass das kein Widerspruch ist - sondern notwendiger Teil der Lösung.
Es geht nicht mehr nur darum, nebeneinander zu senden - es geht darum, gemeinsam echte Wirkung zu erzielen. In der Gesellschaft. Im Diskurs. Im digitalen Raum.
Dazu braucht es:
• Mutige Entscheiderinnen und Entscheider, die nicht im System verharren, sondern es formen.
• Medienpolitik, die sowohl den Wettbewerb im Blick hat als auch Zusammenarbeit fördert, wie dies bereits angelegt ist.
• Vertrauen auf allen Ebenen - inhaltlich, strukturell, menschlich.
Denn nur wenn wir alle das duale System neu denken, neu leben, neu führen - dann ist es kein Relikt, sondern ein Zukunftsmodell. Lassen Sie uns das alles nicht nur in Interviews und Gastbeiträge packen, sondern gemeinsam hart daran arbeiten. Und Platz dafür in unseren Kalendern schaffen. Denn der Wettbewerb wartet nicht auf uns oder das Tempo mancher Gremien!
Wir bei RTL Deutschland stehen bereit: mit einem Team, das offen ist und anpackt. Mit einem Streamingangebot RTL+, das täglich wächst, so viele junge Nutzer begeistert wie kein anderer Streamingdienst in Deutschland und somit Zielgruppen erreicht, die Sie im öffentlich-rechtlichen System so dringend und mühsam suchen.
RTL+ ist für uns Ausdruck dessen, was modernes Fernsehen sein kann: zugänglich, intelligent, emotional, gesellschaftlich relevant. Mit dem klaren Ziel vor Augen, als Unternehmen nicht nur Inhalte zu liefern - sondern auch Haltung. Und somit eine gute, sichere Heimat auch für öffentlich-rechtliche Inhalte.
Herzlichen Glückwunsch zu beeindruckenden 75 Jahren.
Wir investieren mit RTL, NTV und "Stern" in unabhängigen Journalismus, weil wir an Deutschland glauben und weil wir Verantwortung tragen - auch für das, was wir NICHT senden!
Ich bin dankbar für das, was die ARD geleistet hat. Herzlichen Glückwunsch zu beeindruckenden 75 Jahren - an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom NDR bis zum BR, von unserem Nachbarn WDR bis zum RBB.
Sie können stolz sein auf das, was Sie als großes, komplexes Team geschafft haben, auch wenn das in der aktuellen Lage und in der allgemeinen Bewertung in den letzten Monaten immer wieder viel zu kurz gekommen ist. Wir werden Ihre nächsten 75 Jahre kritisch und im besten Wettbewerb begleiten und sind fest entschlossen, das duale System von morgen aktiv mit Ihnen gemeinsam zu gestalten.
Copyright: RTL Deutschland
Darstellung: Autorenbox
Text: Stephan Schmitter ist CEO von RTL Deutschland.
Zuerst veröffentlicht 02.05.2025 07:30
Schlagworte: Medien, ARD, RTL Schmitter
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